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Frage von René K. •

Frage an Oliver Keymis von René K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Keymis,

in wenigen Tagen stimmt der Landtag über das neue Modell zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (des weiteren ÖRR) ab. Es gilt als relativ sicher, dass auch NRW dieses Vorhaben durchwinken wird.

Nun stelle ich mir eine Frage, die sich auch viele in unserer Republik stellen:

Warum leisten wir uns einen ÖRR bestehend aus 23 Fernseh- und 77 Radiosendern mit zusätzlich Hunderten von Internetauftritten?

Der ÖRR wird durch 7,6 Mrd. p. a. aus Gebühren finanziert. Ab 2013 steigen die Einnahmen auf über 8 Mrd. Viel Geld für etwas, dass nicht zu den Grundbedürfnissen der Bevölkerung gehört. Wie erklären Sie das Ihren Wählern? Sicher nicht indem man das gleiche wiederholt und dabei versucht, den ÖRR auf die gleiche Höhe wie z. B. soziale Sicherheit, Schutz und Förderung von Familien und Kindern, Bildung, Ausbildung, Gesundheits- und Altersvorsorge zu setzen.

Während für wichtige Staatsaufgaben die finanziellen Mittel fehlen, werden Bevölkerung und Wirtschaft verpflichtet, durch Zwangsbeiträge einen nicht mehr in dieser Form und Größe benötigten ÖRR zu finanziellen. Wie erklären Sie das Ihren Wählern?

Wie lange braucht die Politik, bis sie begreift, dass im 21. Jahrhundert keinen Bedarf mehr an einer Grundversorgung durch den ÖRR besteht? Das sogenannte Niedersachsenurteil, das die Grundversorgung definieren soll, stammt aus 1986 – einer Zeit, als der private Rundfunk gerade das Licht der Welt erblickte und lange bevor das Internet erfunden war. Seitdem ist aber viel passiert und der ÖRR wird heute de Facto – zumindest in der jetzigen Form und Größe – nicht mehr gebraucht.

Jedem, der für den ÖRR und dessen Finanzierung abstimmt, muss es klar sein, dass er gegen den Willen seiner Wähler entscheidet. Diese werden bei den nächsten Wahlen solche Entscheidungen gebührend zu honorieren wissen.

Wie werden Sie abstimmen? Vertreten sie uns, das Volk oder den ÖRR?

Für eine ausführliche Antwort wäre ich Ihnen dankbar.

René Ketterer

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Ketterer,

vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 5.12.2011, die Sie mir über „abgeordnetenwatch.de“ gesendet haben.

Die von Ihnen angeführten Argumente, die aus Ihrer Sicht gegen die Rundfunkgebühren-Reform sprechen, überzeugen mich nicht. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Meinung, dass es weltweit kein vergleichbar vielfältiges und hochqualitatives Rundfunkangebot gibt, wie wir es in Deutschland kennen. Dazu tragen meiner Meinung nach die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die ja auch in den einzelnen Bundesländern nochmals für vielfältigen Qualitätsjournalismus mit stehen, erheblich bei, ja sie bilden aus meiner Sicht eben genau die Grundlage dafür.

Außerdem profitieren Bürgerinnen und Bürger auch direkt vom technischen Fortschritt, sei es durch die digital-terrestrische Verbreitung (DVBT) oder die Einführung des HD-Fernsehens, all diese Neuerungen werden ebenfalls aus der seit Jahren stabilen und bei Annahme des neuen 15. Rundfunkgebühren-Staatsvertrages (15. RÄStV) auch weiterhin zunächst stabil bleibenden Rundfunkgebühr in Höhe von 17.98 EURO pro Monat (und dann demnächst pro Haushalt - und eben nicht mehr pro Gerät!) finanziert.

Gerne schreibe ich Ihnen, welche Punkte aus meiner Sicht außerdem für die Annahme des neuen „Gebührenstaatsvertrags“ sprechen:

1. Der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag regelt den Übergang von der Geräte- zur Haushaltsabgabe. Das war - sowohl im Sinne der Beitragsgerechtigkeit als auch im Sinne der heutigen Medienrealität - ein absolut sinnvoller Schritt, der eine zentrale Rolle für die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spielt. Insofern haben auch wir GRÜNE diesen Schritt immer als notwendige Veränderung angesehen und begrüßen es, dass inzwischen alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten diese Position im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag durch ihre Unterschriften manifestiert haben und nun auch fast alle Landesparlamente sich, wenn nicht einstimmig, so doch mindestens mehrheitlich für die Annahme des 15. RÄStV ausgesprochen haben.

2. Nordrhein-Westfalen hat sich, seit die neue rot-grüne Landesregierung im Amt war (die Verhandlungen für den neuen Staatsvertrag waren bei Regierungsantritt im Wesentlichen von der schwarz-gelben Vorgängerregierung abgeschlossen), für einen stärkeren Datenschutz im 15. RÄStV eingesetzt. Außerdem sollte man sich in der Abwägung auch vor Augen führen, wie das System der Geräteabgabe aussieht und dass dieses System darauf basiert, dass der GEZ-Mann (oder die GEZ-Frau) zweimal klingelt und es jedes Jahr regelmäßig Beschwerden über Außendienstmitarbeiter der GEZ gibt, die versuchen, sich aus Kontrollgründen zu Wohnungen Zutritt zu verschaffen. Dieses System fällt mit der Neuregelung künftig endlich weg.

3. Zu Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes ist auch zu sagen, dass im Nachgang zur Anhörung der Landesdatenschutzbeauftragten und der Datenschutzbeauftragten der Rundfunkanstalten verschiedene datenschutzrechtliche Bedenken im Herbst 2010 aufgegriffen und eine Vielzahl von Details nochmals angepasst wurden. So dürfen z.B. die Landesrundfunkanstalten in Anbetracht des einmaligen Meldedatenabgleichs bis zum 31.12.2014 keine Adressdaten privater Personen ankaufen. Auch die Regelung, wonach auch Vermieter zur Auskunft verpflichtet sein können, greift als ultima ratio nur, wenn zuvor alle anderen Möglichkeiten zur Feststellung des Inhabers einer Wohnung ausgeschöpft wurden. Und auch dann sollen sie lediglich den Namen des Mieters oder der Mieterin und seit wann die Wohnung gemietet ist, mitteilen. Kommen alle Wohnungsinhaber ihren Anmeldepflichten nach, läuft diese Regelung also leer.

4. Die Höhe des monatlichen Beitrags soll mit 17,98 EURO stabil bleiben. Das heißt, auch künftig erhalten Sie für den Preis eines Vollkornbrötchens (ca. 60 Cent) täglich sämtliche öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehprogramme über alle Kanäle und sogar über das Internet – einige Fernsehprogramme ARD, ZDF, ARTE sogar auch schon in HD-Qualität ohne weitere Kosten. Auch die sogenannten Gebühren-Befreiungstatbestände bleiben bestehen. Allein in NRW zahlen rund 10 % der Rundfunkteilnehmer aus sozialen Gründen keine Rundfunkgebühren, weil sie davon befreit sind. Da es sich um ein nach dem Solidarprinzip organisiertes System handelt, zahl ab dem Jahr 2013 jeder Haushalt eine solche Gebühr, unabhängig davon, ob und wie man dieses Angebot nutzt und wie viele Geräte dazu in einem Haushalt verwendet. Dies ist auch verfassungsrechtlich hinreichend geprüft, entsprechend hat der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Paul Kirchhoff dazu ein sehr umfangreiches Gutachten erstellt. Dass er dies in größter Unabhängigkeit getan hat, schon, weil er seinen wissenschaftlichen Ruf nicht aufs Spiel setzen will, sollten wir gemeinsam unterstellen. Jedenfalls liest sich sein 85-seitiges Gutachten wesentlich differenzierter, als mancher Beitrag, den man - auch in diesen Tagen in der ein oder anderen Publikation nachlesen kann.

Schließlich haben Sie mich gefragt, wie ich abstimmen werde. Ich werde, wie Sie diesem Schreiben leicht entnehmen können, für den neuen Rundfunkgebühren-Staatsvertrag stimmen, als frei gewählter Volksvertreter und meiner Einschätzung nach auch im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung, die, das wissen wir aus zahlreichen Untersuchungen und Reaktionen der Menschen - auch gegenüber den Sendern selbst - nach wie vor die überwiegend werbefreien Angebote des ÖRR in Deutschland zu schätzen wissen.

Mit Dank für Ihre Zuschrift und

mit freundlichen Grüßen

Oliver Keymis MdL