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Matthias W. Birkwald
DIE LINKE
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Frage von F. H. •

Frage an Matthias W. Birkwald von F. H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Birkwald,

wo gibt es aus Ihrer Sicht angesichts des seit Jahrzehnten bekannten demografischen und gesellschaftlichen Strukturwandels Reformbedarf im Rentensystem und in welcher Zeitperspektive soll das Rentensystem wie reformiert werden?

Wo sollte in der nächsten Legislaturperiode prioritär angesetzt werden?

Werden die Probleme und die intergenerationellen und sozialen Problem- bzw. Schieflagen kleiner/größer/gleich, wenn man sie in die Zukunft verschiebt? Wie priosieren Sie das Thema wahlkampfpolitisch?

Freundliche Grüße

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr H.,

vielen Dank für Ihre drei Fragen zur Rentenpolitik, die ich im Zusammenhang beantworte:

Wenn man sich mal die Bevölkerungsentwicklung der Vergangenheit anschaut, dann hat sich das Verhältnis von Jungen zu Alten von 1910 bis 1950 fast halbiert. Dagegen ist der demographische Wandel der Zukunft eher ein Klacks. Entscheidend ist auch nicht das Verhältnis von Kindern zu Älteren, sondern von Beitragszahlenden zu Rentnerinnen und Rentnern. Da spielt die Beschäftigung eine sehr große Rolle, da spielt die Frage, ob wir Flüchtlinge und deren Kinder integrieren eine große Rolle und da spielt eben auch die Verteilung des ja vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums eine große Rolle.

Wir haben es ausgerechnet: Wenn die Produktivität je Erwerbstätigem auch weiterhin Jahr für Jahr nur um ein Prozent stiege, wüchse der Kuchen (das Bruttoinlandsprodukt real in Preisen von 2015) von drei Billionen Euro (2015) auf 3,8 Billionen Euro (2060) an und das bedeutet dann: Auch das Kuchenstück für jeden Einzelnen (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) wüchse von 37.000 Euro auf 50.242 Euro. Trotz Bevölkerungsrückgang und trotz Alterung wäre also noch genug Geld da, um es zwischen Alt und Jung gerecht zu verteilen.

Und übrigens: Die Rücknahme der Rente erst ab 67 würde nach den Angaben der Deutschen Rentenversicherung einen halben Beitragssatzpunkt kosten. Das wären keine achte Euro für durchschnittlich verdienende Beschäftigte und ebenfalls weniger als acht Euro für ihre Chefinnen oder Chefs. Das ist ungefähr genauso “teuer” wie die zu Unrecht aus Beitragsmitteln finanzierte “Mütterrente”.

Der größte Handlungsbedarf für die kommende Legislaturperiode besteht ganz klar beim Rentenniveau und damit bei der Frage, ob Renten noch den im Arbeitsleben erreichten Lebensstandard sichern. Das Rentenniveau darf nicht nur auf dem heutigen Stand stabilisiert werden, wie es die SPD und die Grünen fordern. Denn dann schreibt man die Rentenkürzungen der vergangenen 15 Jahre einfach in die Zukunft fort. Das Rentenniveau muss dringend und zwar in den kommenden vier Jahren auf 53 Prozent angehoben werden.

Nur ein Rentenniveau von mindestens 53 Prozent, wie es im Jahr 2000 galt, sichert den Lebensstandard im Alter. Eine Standardrentnerin oder ein Eckrentner hätte dann heute 123 Euro mehr Rente im Monat in der Tasche. Netto. Und 2030 wären es dann 313 Euro mehr!

Wichtig ist aber auch, dass Lücken in der Erwerbsbiographie, zum Beispiel durch Kindererziehung, Pflege, Niedriglöhne oder Arbeitslosigkeit, nicht zu Altersarmut führen. Deshalb fordern wir drei Entgeltpunkte für alle Kinder, also auch für diejenigen, die vor 1992 geboren wurden, finanziert aus Steuermitteln und wir brauchen wieder eine “Rente nach Mindestentgeltpunkten” und für Langzeiterwerbslose müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt werden.

Wenn das aber alles nicht reicht, dann sagt DIE LINKE: Niemand soll als Alleinlebender im Alter unter der Armutsschwelle von 1.050 Euro netto leben müssen. Das wollen wir in Form einer einkommens- und vermögensgeprüften Solidarischen Mindestrente für alle Menschen ab 65 garantieren.

Finanzierbar ist das allemal. Ein Rentenniveau von 53 Prozent würde aktuell Durchschnittsverdienende nur 33 Euro mehr im Monat kosten – und ihre »Arbeitgeber« ebenfalls. Das was für die Riester-Rente abgeführt wird, durchschnittlich oftmals deutlich mehr als der genannte Mehrbetrag, ließe sich damit einsparen – es wäre für eine lebensstandardsichernde Rente nicht mehr nötig. Und was hätte die heutige Standardrentnerin bzw. der Standardrentner davon? 123 Euro mehr Rente netto im Monat. Und 2030 wäre das ebenfalls finanzierbar und würde viele Menschen, die in ihrem Leben weniger als den Durchschnitt verdient haben, vor dem Gang zum Sozialamt bewahren.

Die Linke strebt außerdem - und das wäre ein langfristiges Reformprojekt - an, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und damit auch wirtschaftlich leistungsfähige Berufsgruppen wie Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Politikerinnen und Politiker, Selbständige und Beamtinnen und Beamte. Auch sie müssen endlich Beiträge in die Rentenkasse einzahlen.

Die Beitragsbemessungsgrenze wollen wir zunächst auf die bereits existierende Grenze der knappschaftlichen Rentenversicherung anheben, in weiteren Schritten drastisch erhöhen, um sie letztendlich vollständig aufzuheben. Gleichzeitig müssen Rentenansprüche über dem Doppelten des Durchschnittes der Standardrente (zurzeit wären das Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung von über 2.740 Euro) abgeflacht werden. Damit würde die Solidarität gestärkt werden. Mehr Versicherte bedeuteten in einem solidarischen und umlagefinanzierten System auch niedrigere Beiträge für alle.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Matthias W. Birkwald MdB
Rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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