Frage an Marlene Mortler von Peter H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Mortler,
glücklicherweise ist der Koalition ihr Versuch, das Gesetz zur Änderung des Meldewesens im Schatten der die gesamte öffentliche Diskussion dominierenden Gesetzgebung rund um ESM und Eurorettung ohne Aussprache im Parlament klammheimlich durchzumogeln, noch nicht vollständig geglückt! Ich hoffe sehr, daß es der Opposition gelingen möge, dieses skandalöse Gesetz im Bundesrat zu kippen oder zumindest insoweit zu verändern, daß es den Ansprüchen an einen zeitgemäßen und bürgernahen Datenschutz gerecht wird.
Ist schon die Einführung einer "opt out"-Regelung nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität aus datenschutzrechtlichen Gründen höchst fragwürdig, wird dieses Gesetz durch die Ausnahmeregelung für Aktualisierungs- und Bestätigungsanfragen vollends zu einer Verhöhnung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, ja zum Skandal! Denn, davon können Sie ausgehen, die Anfragen des Adreßhandels werden künftig zu 100 Prozent als Update- und Bestätigungsanfragen gestellt werden! Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich in meiner früheren Tätigkeit selbst über Jahre von Adreßhändlern mit Katalogen bombardiert wurde und seitdem weiß, welche gigantischen Datenmengen dort schlummern - und schon das zu einer Zeit, als von Facebook und Google noch keine Rede war.
Bitte erklären Sie mir deshalb, wieso die CSU, die ja mit Fr. Aigner auch die Verbraucherschutzministerin stellt, nun unter eklatantester Verletzung elementarer Verbraucher- und Datenschutzinteressen ohne erkennbaren Widerstand einem Gesetz zustimmen konnte, das den Schutz von höchst privaten, aber zwangsweise erhobenen Bürgerdaten de facto völlig aushebelt und die Melderegister zu einer lebenslangen, zwangsaktualisierten Vorratsdatenspeicherung im Zugriff der Werbewirtschaft diskreditiert? Danke!
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hölzl
Sehr geehrter Herr Hölzl,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 7.7.2012 zum Thema Neues Melderecht auf der Internetplattform abgeordnetenwatch.
Die Bundesregierung sah sich zu einer neuen Regelung des Melderechts veranlasst, weil aufgrund der Föderalismusreform und einer damit einhergehenden Grundgesetzänderung gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 des Grundgesetzes der Bund für das Meldewesen ausschließlich zuständig geworden ist.
Die neue Regelung des § 44 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (BMG), das der Bundestag am 28. Juni verabschiedet hat, sieht vor, dass die Erteilung einer einfachen Melderegisterauskunft - vorrangig nur Namen und Anschrift - für Zwecke der Werbung und Auskunft ausgeschlossen ist, wenn der Bürger hiergegen Widerspruch einlegt.
Richtschnur für die geplante Widerspruchsregelung ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.6.2006 (Az: BVerwG 6 C 05.05), in dem ein Widerspruchsrecht des Betroffenen für ausreichend angesehen wurde, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 und 2 Grundgesetz, also dem Recht grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, nicht schrankenlos zu gewährleisten ist. Der Betroffene muss grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf Datenpreisgabe im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Dies hatte auch schon das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983 entschieden. Solche allgemeinen Interessen bestehen zum Beispiel bei Personen, gegen die ein gerichtlicher Titel vollstreckt werden dürfte oder bei Personen, gegen die ein Unterhaltsanspruch besteht oder auch bei Kaufleuten oder Vermietern, die ohne diese Daten ggf. auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben würden.
Der Bundestag hatte sich auch deshalb für eine Widerspruchsregelung entschieden, weil er sich weitgehend am Recht der bisherigen Landesgesetze orientieren wollte. Einem Recht auf Einwilligung des Betroffenen, so wie es der Entwurf der Bundesregierung zunächst vorgesehen hatte, ist der Bundestag nicht gefolgt, weil im Gespräch mit Praktikern aus den Kommunalverwaltungen sehr schnell deutlich geworden ist, dass eine solche Regelung nicht durchführbar gewesen wäre und die Kommunen vor erhebliche personelle und finanzielle Probleme gestellt hätte.
Als Mitglied des Verbraucherausschusses hätte ich eine die sog. Einwilligungslösung bevorzugt. Aber das neue Gesetz ist eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Rechtslage. Im Gegensatz zum noch geltenden Recht, das für eine einfache Melderegisterauskunft keine speziellen Voraussetzungen vorsieht, soll die Erteilung einer einfachen Auskunft für Zwecke der Werbung und des Adresshandels an enge Voraussetzungen und Rechtsfolgen geknüpft werden: Der Zweck muss angegeben werden, und die betroffene Person hat ein Widerspruchsrecht, auf das sie bei ihrer Anmeldung sowie einmal jährlich durch ortsübliche Bekanntmachung hingewiesen werden muss.
Für eine Widerspruchsregelung spricht auch eine Regelung aus dem Bundesdatenschutzgesetz, das in § 20 Abs. 5 auch (nur) ein Widerspruchsrecht des Betroffenen vorsieht, soweit seine personenbezogenen Daten erhoben, genutzt oder verarbeitet werden. Dieses Gesetz wurde zuletzt im Jahr 2009 durch die Große Koalition überarbeitet.
Er ist nun abzuwarten, welche Änderungen das Meldegesetz im weiteren parlamentarischen Verfahren, also den Beratungen im Bundesrat und ggf. Vermittlungsausschuss, erfahren wird.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Marlene Mortler MdB