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Frage von Mathias A. •

Frage an Maria Böhmer von Mathias A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Böhmer,

Am 8. September 2009 soll im Bundestag ein Gesetz verabschiedet werden, das den so genannten Lissabonner Vertrag der Europäischen Union für Deutschland rechtsverbindlich macht. Der Vertrag hat Folgen, welche die im Grundgesetz verankerten Grundwerte Demokratie und Freiheit nach Meinung vieler Experten einschränken oder gefährden und überträgt wichtige Kompetenzen auf die EU-Ebene.

So soll zum Beispiel über militärische Einsätze in Zukunft auf EU-Ebene entschieden werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil bestätigt, dass über einen Militäreinsatz im Bundestag entschieden werden muss. Allerdings wird mit der Ausnahmeregelung bei „Gefahr im Verzug“ dennoch eine Möglichkeit geschaffen, ohne Legitimierung des Bundestags die Bundeswehr einzusetzen.

Welche Stellung beziehen sie hierzu?

Zum Thema Herkunftslandprinzip: Sehen sie in dem Vertrag der eine Vermischung unterschiedlicher Rechtsformen und Bezahlung nach Herkunftsland mit sich bringt eine Schwächung der Arbeitnehmern?

Sehen sie weitere kritische Punkte im Vertrag?

Am Beispiel Irland frage ich mich was die Meinung des einzelnen Bürgers in Deutschland zählt, in wie weit Politiker im Interesse der Wähler handeln und ob direkte Volksentscheide für sie eine Ergänzung zu unserem deutschen Demokratieprinzip wären?

Vielen Dank im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen,
M. Alt

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Alt,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 26. August 2009, in der Sie Ihre Bedenken gegenüber dem Lissabonner Vertrag formuliert haben.

Am 24. April 2008 hat der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung und mit großer parlamentarischer Mehrheit dem Ratifikationsgesetz zum Vertrag von Lissabon zugestimmt. Im Folgenden möchte ich Ihnen darlegen, warum dieses Vertragswerk zustimmungswürdig war und inwiefern die von Ihnen gegen die Zustimmung vorgetragenen Argumente meines Erachtens einer anderen Bewertung bedürfen.

Lassen Sie mich zunächst auf das Argument eingehen, dass zukünftige militärische Einsätze auf EU-Ebene entschieden werden. Es ist vielmehr so, dass es einer so genannten „Koalition der Willigen“ bedarf, im Namen der EU militärische Einsätze durchzuführen. Die Entscheidung für eine Beteiligung an solchen Einsätzen, die immer nur im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen durchgeführt werden dürfen, liegt bei den Mitgliedstaaten, im Falle von Deutschland beim Deutschen Bundestag.

Das Bundesverfassungsgericht hat, wie Sie richtig darlegen, in seinem AWACS-Urteil vom 7. Mai 2008 klargestellt, dass es ohne die vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages eine Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen nicht geben darf. Bei „Gefahr im Verzug“ ist die Bundesregierung nicht an das vorherige Votum des Bundestags gebunden. Die Verantwortung für die Inanspruchnahme dieser Ausnahmeregelung liegt bei der Bundesregierung. Allerdings darf die Bundesregierung den Einsatz von Streitkräften lediglich vorläufig beschließen. Das heißt, die Bundesregierung muss in jedem Fall den Bundestag umgehend mit dem in dieser Weise beschlossenen Einsatz befassen. Diese Ausnahmeregelung ist sinnvoll. Gäbe es sie nicht, könnte zum Beispiel deutschen Staatsbürgern im Ausland, die unabsehbar in eine akute Bedrohungssituation geraten, nicht unmittelbar mit den Mitteln der Bundeswehr geholfen werden. Der mit der Herbeiführung eines Parlamentsbeschlusses verbundene Zeitaufwand kann im Einzelfall derartige Gefahren in sich tragen, dass die Anwendung der „Gefahr im Verzug-Regelung“ notwendig ist, um der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern gerecht zu werden. Ein solcher Fall lag z. B. beim ersten Einsatz deutscher Streitkräfte unter der „Gefahr im Verzug-Regelung“ vor, als deutsche und andere ausländische Staatsbürger am 14. März 1997 aus Albanien auf dem Luftweg evakuiert wurden. Der Bundestag stimmte diesem Einsatz am 20. März 1997 nachträglich zu. Bislang haben alle Bundesregierungen von der „Gefahr im Verzug-Regelung“ außerordentlich zurückhaltend Gebrauch gemacht. Zudem wurden im Vorfeld solcher Entscheidungen immer führende Vertreter des Deutschen Bundestags – z. B. die Fraktionsvorsitzenden – informiert.

Des Weiteren haben Sie die Frage gestellt, in wie weit Politiker im Interesse der Wähler handeln und ob direkte Volksentscheide für mich eine Ergänzung zum deutschen Demokratieprinzip darstellen.

Meiner Meinung nach, schließt repräsentative Demokratie Elemente unmittelbarer Demokratie nicht aus. Auf den regionalen Ebenen können diese das repräsentative System sinnvoll ergänzen. Auf Bundesebene jedoch, könnten Volksentscheide oder ähnliche Verfahren den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft kaum gerecht werden. Naturgemäß können die meisten Volksentscheide nur einfache „Ja“ oder „Nein“ Antworten anbieten. Die Gesetzgebung ist oftmals aber sehr vielschichtig und muss eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigen. Ein notwendiger detailreicher Abstimmungsprozess ist mittels Volksentscheid kaum möglich. Unser System der repräsentativen Demokratie ist bewährt und hat sich in den letzten 60 Jahren als Garant für Stabilität und Gerechtigkeit erwiesen.

Ich hoffe, dass die von mir vorgetragenen Argumente helfen, Ihr Bild
bezüglich des Vertrages von Lissabon zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

Maria Böhmer