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Marc Biadacz
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Frage von Peter M. •

Frage an Marc Biadacz von Peter M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wie stehen Sie zu direkter Demokratie auf Bundesebene? Ihre Partei blockiert ja mit ihrer Sperrminorität eine diesbezügliche Verfassungsänderung, obwohl es einen breiten gesellschaftlichen Konsens hiefür gibt.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne teile ich Ihnen meine persönliche Einschätzung zur Diskussion um Volksentscheide auf Bundesebene mit. Ich lehne Volksentscheide auf Bundesebene ab und begründe das im Folgenden auch gerne.

Die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene würde unser politisches System auf Grundlage der repräsentativen Demokratie in seinen Grundfesten verändert. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung würden an politischer Gestaltungskraft verlieren. Es würde sich die Frage aufdrängen, ob letztlich ein in einer Volksabstimmung beschlossenes Gesetz größeres Gewicht hätte als ein Parlamentsbeschluss.

Ich bin außerdem überzeugt, dass nur ein parlamentarisches Regierungssystem komplexen Sachfragen ausreichend gerecht wird. Ein Plebiszit bringt im Kern immer die Notwendigkeit mit sich, komplexe Sachfragen auf bloße Ja- oder Nein-Alternativen zu reduzieren. Die Erfahrungen mit den Referenden, die in einigen Staaten über EU-Verträge durchgeführt wurden, zeigen darüber hinaus, dass häufig nicht die Inhalte eines Plebiszits im Mittelpunkt der Abstimmung stehen, sondern ganz andere Fragen oder sogar einfach nur aktuelle Stimmungslagen einen Volksentscheid prägen.

Wichtig ist hier in meinen Augen auch die schon von unserem ersten Bundespräsidenten vorgetragene Warnung, dass Volksbefragungen schnell zur "Prämie für Demagogen" werden können. Alleine schon die Ankündigung, ein kontrovers diskutiertes Thema einem Volksentscheid vorzulegen, würde öffentlich hohe Wellen schlagen und möglicherweise zu einer Polarisierung führen, so dass Themen auch gegen vom Volk gewählte Parlamentsmehrheiten zur Entscheidung gebracht werden müssen. Das würde unser ganz bewusst auf Kompromiss und Interessenausgleich ausgelegtes parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren möglicherweise radikal verändern.

Wenn alle entscheiden, entscheidet am Ende keiner. Wer durch direkte Demokratie auf Bundesebene die Entscheidung über wichtige Sachfragen abgibt, gibt auch die Verantwortung dafür ab. Niemand hat am Ende für die Folgen von Entscheidungen einzustehen, weil die anonyme Wählerschaft sie getroffen hat. Volksentscheide bringen damit für die gewählten Parlamentarier die Versuchung mit sich, unpopuläre oder schwierige Entscheidungen dem Volk zu überlassen, wie es bei der Brexit-Abstimmung der Fall war. So haben beispielsweise die Befürworter des Austritts des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union nach der Abstimmung keine Verantwortung für das weitere politische Vorgehen übernommen. Das entspricht nicht meinem Verständnis von verantwortungsvoller Politik.

Wie auch beim Brexit-Votum zu beobachten war, ist der Einfluss der Medien auf die Meinung der Bürger erheblich. Aktive Minderheiten und gut organisierte Gruppen sind hier in der Lage, eigene Interessen über plebiszitäre Elemente öffentlich auf die politische Agenda zu setzen, wenn nicht sogar zu verwirklichen. Gleichzeitig könnten Volksentscheide aber auch zu Lasten von Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen, die für ihre berechtigten Anliegen keine Mehrheit bei Volksentscheiden finden würden. Sowohl der nicht ausreichend gegebene Minderheitenschutz, als auch die nicht vorhandene demokratische Legitimierung der Medien als Akteur im Gesetzgebungsprozess werfen verfassungsrechtliche Bedenken auf. Hingegen sind die vom Volk gewählten Abgeordneten dem Gemeinwohl verpflichtet.

Ein beliebtes Argument für Volksentscheide auf Bundesebene ist, dass damit Politikverdrossenheit vermindert und politische Aktivität gefördert werde. Das Beispiel Schweiz als ein Land mit einer ausgeprägten Tradition direktdemokratischer Beteiligung weist eine hohe Zahl an Volksbegehren und Volksentscheiden auf. Auf kommunaler, kantonaler und gesamtstaatlicher Ebene sind die Schweizer fast jeden Monat zu einer Abstimmung aufgerufen. Hier ist in der Regel eine geringe Beteiligung – und damit eben kein gesteigertes politisches Interesse – zu verzeichnen. Die Kosten für die Abstimmungen sind im Vergleich dazu enorm. Nur bei zentralen Themen geben hier viele Menschen ihre Stimme ab.

Volksabstimmungen auf der kommunalen Ebene und auf der Landesebene halte ich für sinnvoll und bin auch dafür, sie hier auszubauen. Die Folgen staatlichen Handelns auf der Länderebene und in den Kommunen sind wesentlich überschaubarer und konkreter nachvollziehbar als auf der Bundesebene. So hätte z. B. die Senkung des Mehrwertsteuersatzes in einer Volksabstimmung auf Bundesebene sicher nicht nur in der derzeitigen Situation eine Mehrheit. Ein derartiger Schritt hätte aber erhebliche Folgen und würde zahlreiche haushaltspolitische Entscheidungen nach sich ziehen. Die Entscheidung über den Bau einer Straße oder eines Kongresszentrums auf kommunaler Ebene dagegen ist wesentlich klarer, die Folgen kalkulierbar. Mit der sog. Föderalismusreform I wurden für direktdemokratische Elemente auf Landes- und kommunaler Ebene bessere Voraussetzungen geschaffen. Dies geschah auch deshalb, weil Länder und Kommunen im Rahmen der Reform mehr Aufgaben und Kompetenzen erhalten haben.

Gerade die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beweist, dass das System der Volksvertretung ein sehr erfolgreiches Modell ist. Aus gutem Grund haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Grundsatz auf plebiszitäre Elemente in der Verfassung verzichtet. Sowohl die große Stabilität als auch das hohe Maß an politischer Entscheidungsfähigkeit sprechen für unsere repräsentative Demokratie, in der es auch viele Möglichkeiten gibt, sich direkt einzubringen. Jeder kann sich in nicht nur bei Wahlen mit seiner Stimme einbringen, sondern auch in Bürgerinitiativen, Interessengruppen oder Parteien politisch engagieren.

Mit freundlichen Grüßen

Marc Biadacz

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