Guten Tag Frau Reisner, laut Wikipedia bezeichnen Sie sich selbst als Anarchistin. Wie passt dies zusammen mit Ihrer Kandidatur für den Deutschen Bundestag und Ihrem Mandat?

Guten Tag,
vielen Dank für Ihre Frage – ich finde es gut, wenn politische Haltungen kritisch hinterfragt werden.
Wenn ich mich als Anarchistin bezeichne, dann meine ich damit keine romantische Vorstellung von Chaos, sondern eine macht- und herrschaftskritische Haltung. Anarchismus stellt die Frage: Wer hat Macht – und warum? Wem nützt diese Macht – und wer leidet darunter? Und was braucht es, damit Menschen ein freies, gleichberechtigtes Leben führen können – jenseits von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt?
Ich bin in den Bundestag gegangen, nicht obwohl, sondern weil ich diese Haltung habe. Weil ich glaube, dass es gut ist, wenn Menschen, die Macht grundsätzlich hinterfragen, in politische Ämter kommen. Nicht um Macht für sich zu beanspruchen, sondern um sie aufzubrechen, um Umverteilung und echte Teilhabe zu ermöglichen, um Betroffene zu stärken und Gehör zu verschaffen.
In einem Parlament zu sitzen heißt nicht automatisch, mit den bestehenden Machtverhältnissen einverstanden zu sein. Im Gegenteil: Gerade in einer Gesellschaft, in der so viele Menschen ohnmächtig gemacht werden – durch Armut, rassistische Diskriminierung, Gewalt oder fehlende demokratische Mitbestimmung – braucht es Stimmen, die den Finger in die Wunde legen.
Ich glaube nicht, dass ein Parlament allein unsere Probleme löst. Aber ich glaube, dass wir dort Druck machen können – für eine Gesellschaft, in der Menschen füreinander da sind, statt sich gegenseitig zu bekämpfen. In der nicht einige Wenige bestimmen, sondern möglichst viele mitreden. Das ist für mich kein Widerspruch zu anarchistischen Ideen – sondern ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Mit freundlichen Grüßen
Lea Reisner