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Kordula Schulz-Asche
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Benedikt L. •

Frage an Kordula Schulz-Asche von Benedikt L. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Schulz-Asche,

besondere Situationen setzen besondere aber besonnene Maßnahmen voraus.

Dennoch haben wir sehr große Sorgen rund und die Abstimmung der Änderung des Infektionsschutzgesetzes am 18.11.2020. Mit dem Gesetz wird deutlich die Freiheit des Einzelnen weiter zutiefst beschnitten und generelle Überwachungen aller Bürger ermöglicht! Der Entwurf wurde bereits von vielen Rechtswissenschaftlern deutlich Kritisiert insb. mit Hinweis auf die Verletzung des Grundgesetzes. Die Demokratie wird stark beschnitten und die politische Macht durch die Änderung stark konzentriert.

Verunsicherung, Angst und Spaltung der Gesellschaft, sind jetzt schon Nebenwirkungen der bisherigen Schutzmaßnahmen. Die schwere der Pandemie hat viele wissenschaftliche Fragezeichen und die wissenschaftliche Evidenz der Testverfahren rund um die Covid19 Infektionen ist bis heute öffentlich nicht geklärt. Dennoch, die Einschränkungen unserer allgemeinen Freiheit durch die vorgeschlagene Änderung des Infektionsschutzgesetzes sind evident! Warum bedarf es einer Änderung der aktuellen Gesetzesgrundlage, die bereits starke Einschnitte des gesellschaftlichen Lebens zulässt?

Wie und auf welcher Basis werden Sie als Abgeordnete aus dem Wahlkreis Main-Taunus stimmen und wie geben Sie uns Bürgern die Sicherheit, dass ein solches drastisches Eingreifen in unsere Grundrechte nicht zur langfristigen Normalität werden? In wie weit reicht ihres Erachtens nach die derzeitige Daten- und Faktenlage zum Corona Virus aus, um für stärkere Einschränkungen der Grundrechte durch Änderungen des Infektionsschutzgesetzes am 18.11.2020 zu stimmen?

Ich hoffe sie verstehen die Sorge von Teilen ihrer Bürger. Vielen Dank für Ihre Antwort.

Freundliche Grüße
Benedikt Löhnertz

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte*r Benedikt Löhnertz,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift. Am 18.11.2020 hat der Deutsche Bundestag das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz verabschiedet. Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden ein paar Zeilen zu dem Gesetz und meinem Abstimmungsverhalten und unserer Fraktion schreiben.

Ein kurzer Hinweis vorweg: Wir bekommen derzeit sehr viele Anfragen und Zuschriften generell zu den Themen Infektionsschutz und Pandemie, deshalb bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich nicht im Einzelnen auf alle Fragen eingehen kann. Ich werde trotzdem versuchen, meine Position transparent offenzulegen, damit Sie hoffentlich eine zufriedenstellende Antwort auf Ihre Anfrage erhalten. Falls dies nicht der Fall ist, wenden Sie sich mit Ihren offenen Fragen gerne erneut an mich.

Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz entstehen – entgegen einiger Befürchtungen – keine neuen Auflagen zum Tragen von Masken, Abstandsgebote, Ausgangsbeschränkungen oder ähnlichem. Die Infektionsschutzmaßnahmen wurden bisher von den Landesregierungen beschlossen, dies gilt auch weiterhin. Mit den jetzt beschlossenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes wird jedoch endlich eine verfassungsmäßig erforderliche Rechtsgrundlage für diese Verordnungen der Landesregierungen geschaffen.

Das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz ist weder ein „Ermächtigungsgesetz“ – wie einige behaupten – noch schafft es unsere Demokratie ab – genau das Gegenteil ist der Fall. Das Gesetz schafft die Möglichkeit, den Anforderungen des Art. 80 Grundgesetz an eine gesetzliche Verordnungsermächtigung (ein in vielen Gesetzen verwandter Begriff) nachzukommen. Vergleiche mit dem „Ermächtigungsgesetz“ von 1933, mit dem die NSDAP das Parlament zu einem Zeitpunkt, als viele demokratische Abgeordnete bereits in Gefängnissen saßen, endgültig ausschaltete, sind nicht nur falsch, sondern auch geschichtsvergessen. Nicht nur im Bundestag wird dieser Begriff vor allem von antidemokratischen Kräften für ihre Propaganda benutzt.

Für eine Stärkung unserer Demokratie spricht die funktionierende Gewaltenteilung in der Krise: Das Parlament, also die Legislative, entscheidet die wesentlichen Dinge selbst und ermächtigt die Exekutive, die Details in einer Verordnung zu regeln.

Der bisherige § 28 im Infektionsschutzgesetz war sehr kurzgefasst, denn er war bei seiner Entstehung für lokale Ereignisse oder einzelne Personen gedacht, nicht aber für umfassende Maßnahmen, wie sie in einer Pandemie notwendig sind. Mit der vorgenommenen Anpassung werden den Länderregierungen beim Erlass von Rechtsverordnungen endlich die notwendigen Leitplanken gesetzt.

In tagelangen Verhandlungen im Vorfeld des Gesetzesabschlusses haben wir versucht, den Koalitionsfraktionen unsere grünen Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Natürlich weist das Infektionsschutzgesetz weiterhin auch Leerstellen auf. Nachfolgend habe ich für Sie aufgeschlüsselt, was wir in den Gesetzentwurf hineinverhandelt haben und welche Punkte immer noch fehlen, für die wir uns weiterhin stark machen werden:

Was konnten wir verbessern?

In einer von uns durchgesetzten dreistündigen öffentlichen Anhörung im Bundestag haben viele Sachverständige Kritik am Ursprungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zum Gesetzentwurf geübt. Unser Druck und die Kritik der Sachverständigen haben sich gelohnt, denn die Koalition hat noch erhebliche Änderungen an ihrem Entwurf vorgenommen:

· Der Zweck der Maßnahmen – Schutz von Leben und Gesundheit sowie Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens – ist näher konkretisiert.

· Beschränkungen und Untersagungen von Kulturveranstaltungen werden nicht mehr gleichranging mit Einschränkungen anderer, etwa Freizeitveranstaltungen genannt. Damit wird dem besonderen verfassungsrechtlichen Rang von Kunst und Kultur Rechnung getragen.

· Besuchsbeschränkungen in Alten-/Pflegeheimen, Geburtshilfestationen oder Krankenhäusern für enge Familienangehörige dürfen nicht zur Isolation von Personen oder Gruppen führen. Ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben.

· Die Untersagung von Versammlungen und Zusammenkünften, die unter dem Schutz der Religionsfreiheit stehen, ist nur unter ganz engen Voraussetzungen zulässig.

· Die Rechtsverordnungen müssen begründet werden und sind grundsätzlich auf 4 Wochen zu befristen.

· Daten, die zur Kontaktnachverfolgung erhoben wurden, dürfen nur noch für diesen Zweck genutzt werden und nicht mehr weitergegeben werden.

· Die epidemische Lage von nationaler Tragweite wird gesetzlich definiert. Während ihrer Dauer wird eine mündliche Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag eingeführt.

· Wenn Bundesländer wegen lokal fortdauernden Infektionsgeschehen über die epidemische Lage von nationaler Tragweite hinaus Maßnahmen aus § 28a IfSG-E ergreifen, muss das durch die Landesparlamente beschlossen werden.

· Für Reha-Einrichtungen wird steuerfinanziert ein finanzieller Ausgleich gezahlt, wenn sie infolge der Pandemie weniger Behandlungen vornehmen können.

Was fehlt noch?
Für uns ist die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierates zentral, um Empfehlungen für eine Strategie für die kommenden Monate sowie Konzepte für allgemeine und zielgruppenspezifische Präventionsmaßnahmen und Kommunikation entwickeln zu können. Dies schafft auch die Grundlage für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und sorgt dafür, dass Maßnahmen auch hinsichtlich ihrer gesundheitlichen, sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen abgewogen werden können.

Wir hätten außerdem weitere Klarstellungen für sinnvoll gehalten, etwa dass bei Schließung von Einrichtungen auch Kindeswohl zu berücksichtigen ist oder bei Kontakt- und Reisebeschränkungen Ehe, Partnerschaft und Familie. Auch die Begründungspflicht gegenüber dem Parlament bleibt hinter unseren Erwartungen zurück.

Wir befinden uns noch immer mitten in der Pandemie Covid-19. Der Schutz unserer aller Gesundheit und die Vermeidung einer Überforderung unseres Gesundheitssystems ist für uns handlungsleitend. Die Zielsetzungen des Gesetzes, mehr Rechtssicherheit für die für den Infektionsschutz notwendigen Einschränkungen und Parlamentsbeteiligung zu erreichen, sind richtig.

Trotz wesentlicher Verbesserungen für eine tragfähige rechtsstaatliche Grundlage zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die unsere Zustimmung zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz rechtfertigt, bleiben weitere Ansprüche an eine demokratische Legitimation von Grundrechtseingriffen noch unerfüllt. Diese Leerstellen müssen in nachfolgenden parlamentarischen Debatten und Beschlüssen thematisiert und behandelt werden, damit der notwendige Infektionsschutz parlamentarisch und gesellschaftlich breit getragen wird.

Wir Grüne werden uns im weiteren Verlauf dafür stark machen, dass Infektionsschutzmaßnahmen immer im Einklang mit Bürgerrechten bedacht und beschlossen werden. Wir alle müssen derzeit sehr tiefgreifende Einschränkungen hinnehmen, das ist nicht leicht und wird umso schwerer, je länger sie anhalten. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft gestärkt aus dieser Krise gehen werden und die Einschränkungen besser ertragen können, wenn wir uns vor Augen führen, dass gerade durch die Grundregeln Abstand halten, Hygieneregeln, Atemschutz, Lüften und Nutzung der Corona-App die Übertragung des Corona-Virus eingedämmt und dadurch Menschenleben gerettet werden.

Ich werde mich mit meiner Fraktion weiterhin dafür einsetzen, dass wir so gut wie möglich durch diese Krise kommen. Bleiben Sie gesund.

Mit freundlichen Grüßen

Kordula Schulz-Asche

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