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Kerstin Andreae
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Frage von Peter B. •

Frage an Kerstin Andreae von Peter B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Andreae,

ich habe seit ich 15 Jahre alt bin stets selbst gearbeitet. Zuerst machte ich eine Ausbildung, danach arbeitete ich als Geselle. Seit einiger Zeit bin ich krank, habe auch noch eine Berufserkrankung, bekomme aus einer privaten BU eine monatliche Rente, die beim Amt komplett angerechnet wird ( abzüglich der sogenannten Versicherungspauschale).

Viele Jobs die ich mir suchte, wurden dann kurzfristig von RentnerInnen oder StudentInnen übernommen, so dass ich leer ausging. Außer den "Zwangsjobs" vom Amt, bekam ich keine Alternative angeboten. Und das trotz 1.200 Bewerbungen!- Wobei das Geld dafür selten gänzlich vom Amt übernommen wird.

Und nun muss ich lesen, dass Frau Aigner erreichen möchte, dass Studenten und Rentner vom Mindestlohn ausgenommen werden. Siehe diesen Artikel:

http://www.bild.de/politik/inland/mindestlohn/csu-will-ausnahmen-beim-mindestlohn-33869252.bild.html

Wie soll ich hier in einer Studentenstadt einen Job bekommen? Sollte man nicht lieber den Altersruheständlern ausreichende Renten bezahlen, damit die Arbeitslosen in diese Jobs kommen?

Hier fiel eine Zeitungsausträgerin hin. Sie ist 72 Jahre alt und schimpft gegen Hartz-IV-Bezieher. Andererseits erzählte sie, wie teuer es für die Kasse angeblich war, ihre Operationen und Rehas zu bezahlen. Ich denke, das geht alles in eine falsche Richtung!
Warum ändert man sowas nicht?

Was tut die neue Koalition für die Menschen in Hartz IV-Bezug, was tut sie für Langzeitarbeitslose?

Mit freundlichen Grüßen

Peter Bätschli

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bätschli,

auch wenn sich ihre Fragen an die VertreterInnen der Koalition richten, teile ich Ihnen gerne mit, was aus grüner Sicht im Bereich der Arbeitsmarktpolitik getan werden muss.

Die Zahl der Arbeitslosen hat sich auf den ersten Blick zwar verringert, doch beim genauen Hinschauen wird deutlich: Der Arbeitsmarkt ist zutiefst gespalten. Er ist gespalten zwischen Beschäftigten und den knapp drei Millionen Arbeitslosen. Er ist gespalten zwischen Menschen, die einen relativ sicheren Arbeitsplatz haben, und prekär Beschäftigten. Er ist gespalten zwischen Frauen und Männern, da Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit ungleichen Lohn bekommen. Er ist gespalten, weil es viele ältere und behinderte Menschen gibt, die ihre Berufs- und Lebenserfahrung einbringen wollen, nur fragt niemand danach. Er ist gespalten zwischen Menschen, die eine Beschäftigung aufnehmen dürfen, und denen, die aufgrund ihrer Herkunft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Er ist gespalten zwischen Menschen, die unter Überlastung leiden, und jenen, die gern mehr arbeiten würden.

Arbeitsplätze, die auskömmlich sind und Sicherheit bieten, sind für mehr und mehr Menschen unerreichbar, denn neue Jobs entstehen überwiegend befristet, in der Leiharbeit, als Niedriglohnjobs oder als Minijobs. Schwarz-Gelb hat diese verheerende Entwicklung nicht nur zugelassen, sondern mit ihrer Politik massiv verstärkt. Wir müssen endlich zu fairen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt kommen und dazu benötigen wir soziale Leitplanken. Dazu gehört ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, faire Regeln für Leiharbeit, bessere Rechte von Arbeitssuchenden und Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen durch den Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes. Schlüsselpunkt, um Menschen in gute Arbeit zu bringen sind dabei gute Jobcenter. Menschen werden oft nicht gefördert, sondern nach „Schema F“ behandelt. Das müssen wir ändern. Die Jobcenter müssen flexibel örtliche Arbeitsmarktprogramme auflegen und diese mit kommunalen Beschäftigungsinitiativen verbinden können. Das Jobcenter, das ich mir vorstelle, hört den Menschen zu, unterstützt sie auf ihrem Weg, erkennt die Potentiale der Menschen und hilft ihnen den nächsten Schritt zu tun.

ArbeitsvermittlerInnen und Arbeitsuchende legen gemeinsam fest, welche Fortbildung oder welcher Job der richtige ist. Dabei gilt es, die Eigeninitiative der Arbeitsuchenden zu fördern, indem ihre Vorschläge ernst genommen werden und ihnen das Recht eingeräumt wird, zwischen geeigneten Maßnahmen zu wählen. Tatsächlich fördern statt nur zu fordern, muss das Motto sein. Dafür sind die Förderinstrumente des SGB II individueller und praxisnäher auszurichten. Die BeraterInnen im Jobcenter haben nur so viele Fälle, dass sie wissen, wer vor ihnen sitzt, und passgenaue Lösungen entwickeln können. Zugang zu Schulungen und Qualifizierungen unterstützen sie in ihrer Beratungsarbeit. Schematische Empfehlungen, etwa anhand überkommener Geschlechterrollen, gehören der Vergangenheit an. Das ist keine unrealistische Vision, das ist ein gerechtfertigter Anspruch. Die Agenturen und Jobcenter müssen allen Erwerbslosen Zugänge zu passenden Qualifizierungen, Förderangeboten, Umschulungs- und Ausbildungsangeboten eröffnen. Wir wollen wieder eine verlässliche Gründungsförderung für Arbeitslose ermöglichen, denn in der Vergangenheit war dies ein Erfolgsrezept. Nach dem finanziellen Kahlschlag von Schwarz-Gelb bei der Arbeitsförderung brauchen wir für Gründung und Qualifizierung dringend wieder ausreichend Mittel für diese Aufgaben. Neue Kriterien für die Vergabe von Fördermaßnahmen müssen gewährleisten, dass die Qualität der Integrations- und Bildungsarbeit im Vordergrund steht und nicht die Preise.

Wir dürfen allerdings nicht Jung gegen Alt ausspielen. Genauso wichtig sind neben des Schaffung qualifizierter Vollzeitstellen auch weiterhin die Möglichkeiten eines flexiblen Zuverdienstes für Schüler, Studenten und Rentner. Es geht hier nicht nur um den finanziellen Zuverdienst, sondern oftmals auch um die Teilhabe am Arbeitsmarkt als soziale Funktion.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Andreae MdB