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Jürgen Trittin
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Frage von Silke I. •

Frage an Jürgen Trittin von Silke I. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Sehr geehrter Herr Trittin,
mit Sorge verfolge ich die Bemühungen von Umweltministerin Svenja Schulze um den Er-halt der Biodiversität, die wir nur mit entsprechenden Maßnahmen in der Landwirtschaft erreichen können (zur Rolle der Landwirtschaft s. auch im Blog von abgewordenten-watch.de: https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/lobbyismus/duengeverordnung-wie-sich-die-bundesregierung-fuer-die-interessen-der-agrarlobby). Die Agenda 2030 fordert Politik zu kohärentem Handeln auf. Dadurch können Maßnahmen des einen Ministeri-ums/Fachbereichs nicht mehr durch solche eines anderen ad absurdum geführt werden. Das BMZ hebt außerdem hervor: „Eine kohärente Politik sorgt (…) dafür, dass Steuermittel möglichst effizient eingesetzt werden“ (s. http://www.bmz.de/de/ministerium/ziele/politikkohaerenz/index.html). Die Bundesregie-rung hat in ihrem Newsletter über einen Workshop zur Agenda 2030 berichtet: Die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer fanden es sehr positiv und wichtig, dass alle Ziele der Agen-da 2030 gleichwertig sind. Nach Einschätzung der Teilnehmer hat Nachhaltigkeit kein Er-kenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem: Wir wissen genug, aber wir handeln häufig nicht nachhaltig. (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/newsletter-nachhaltigkeit/neue-globale-partnerschaft-fuer-nachhaltige-entwicklung-umsetzung-der-2030-agenda-in-und-durch-deutschland--417846)
Das scheint mir auch für die Auseinandersetzungen zwischen Umweltschutz und Landwirt-schaft hinsichtlich Biodiversität zu gelten. „Die Agenda 2030 hat das politische Potential, als Gegenmodell gegen nationale Borniertheit und als „Kompass“ (BMZ) für den notwen-digen Wandel in allen Politikfeldern zu dienen. Bislang wurde dieses Potential weder von der Politik noch von der Zivilgesellschaft ausgeschöpft“, formuliert Jens Martens (in: J. Martens: Zivilgesellschaft und Agenda 2030, S. 37)
Vor diesem Hintergrund interessiert mich: Wie wenden Sie persönlich das Kohärenz-Gebot an? Wie Ihre Fraktion?
Vielen Dank im Voraus, mit besten Grüßen
S. I.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau I., liebe S.,

vielen Dank für Ihre Frage! Sie haben vollkommen recht, noch nie wussten wir so viel über die globale Klimakrise und ihre Bekämpfung wie heute. Trotzdem ist in Sachen Klimaschutz viel zu wenig passiert. Ich stimme den Teilnehmer*innen des Workshops zur Agenda 2030 und Ihnen voll und ganz zu, fast könnte man sagen: Wissen ist Ohnmacht. Besonders dramatisch ist, dass Deutschland keine Vorreiterrolle mehr im Klimaschutz einnimmt. In der Nachhaltigkeitspolitik agiert die Bundesregierung permanent nach dem Motto „too little, too late“. Dabei hat Deutschland doppelte Verantwortung: Einmal als Industrieland, um aufzuzeigen, dass es die Umsetzung der Agenda als Vorreiter ernst nimmt. Und zweitens, um zur Finanzierung der Agenda 2030 auf internationaler Ebene mehr als bisher beizutragen.

Eine kohärente, an den Nachhaltigkeitszielen ausgerichtete nationale Gesetzgebung findet nicht statt. Noch immer haben nicht alle Ressorts SDG-Maßnahmenpläne erstellt oder zusätzliche Mittel bereitgestellt. Wir Grüne fordern verbindliche Vorgaben zur SDG-Umsetzung für alle Ressorts und ambitionierte Maßnahmen, wo es besonders große Defizite bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele gibt. Zudem muss die Bundesregierung ambitioniertere Indikatoren entwickeln, um dem Anspruch der Nachhaltigkeitsziele gerecht zu werden. Auch braucht es einen Nachhaltigkeits-TÜV für neue Gesetze.

Die Vorschläge des Klimakabinetts reichen bei weitem nicht aus, um das Klima- und Nachhaltigkeitsziel sowie das Pariser Klimaabkommen zu erreichen. Die Biodiversität nimmt ab, die Nitratbelastung für das Grundwasser geht nicht zurück, umweltschädliche Subventionen in Höhe von jährlich über 40 Milliarden Euro werden nicht gestrichen.

Um den Bereich Biodiversität und Landwirtschaft genauer zu beleuchten: Wir wissen schon lange, dass die industrielle Landwirtschaft Artenvielfalt vernichtet und denn wildlebenden Tieren Rückzugsräume und Lebensgrundlagen raubt. Sie schädigt die Böden und verschmutzt das Wasser mit Gülle. Vor allem die industrielle Tierhaltung treibt die Klimakrise an. Aber es geht auch anders. Eine naturverträgliche Landwirtschaft kommt ohne all das aus, was die Klimabilanz nach oben treibt. Sie schafft es ohne Überdüngung, den Großeinsatz von Pestiziden oder massenhaften Import von Futtermitteln. Wie Sie sicherlich wissen, setzen wir Grüne uns im Bundestag für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft ein. Diese Landwirtschaft behandelt Tiere respektvoll, schützt das Klima und die biologische Vielfalt, ermöglicht Bäuer*innen ein auskömmliches Wirtschaften und bekämpft den Hunger in der Welt. Wir fordern unter anderem:

* eine Förderung des Ökolandbaus,

* Düngegesetze, die unser Wasser schützen,

* eine Tierhaltung, die an die Fläche gebunden ist und ökologische Grenzen respektiert,

* eine faire Verteilung von Agrargeldern zugunsten von bäuerlichen Betrieben, die umwelt- und

tierverträglich arbeiten,

* konkrete Ausstiegspläne für besonders problematische Pestizide wie das Pflanzengift Glyphosat und

die bienengefährlichen Neonicotinoide,

* eine Entwicklungspolitik, die Entwicklungsländer in ihrer Ernährungssouveränität unterstützt, also

dabei, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu bestimmen und aktiv zu gestalten.

Mit zahlreichen Initiativen haben wir uns im Bundestag immer wieder für diese Veränderungen stark gemacht und so Druck auf die Bundesregierung ausgeübt. Wenn wir das Pariser Klimaabkommen einhalten und die Agenda 2030 umsetzen wollen, brauchen wir eine „grüne“ Landwirtschaft. Exemplarisch sei hier nur auf drei parlamentarische Initiativen verwiesen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/099/1909959.pdf,

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/108/1810872.pdf, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/060/1806046.pdf. Weitere Initiativen und Informationen können Sie dem Flyer zur Biodiversität der grünen Bundestagsfraktion entnehmen: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/publikationen/broschueren_und_flyer/flyer160x105_biodiversitaetr2aufl-web.pdf.

Wie Ihnen bestimmt ebenfalls bekannt ist, liegt das Thema Biodiversität und Klimaschutz auch den Grünen in meinem Wahlkreis Göttingen sehr am Herzen. Deshalb haben die Grünen Göttingen am 15.06. ein Webinar mit Expert*innen zum Thema Artenvielfalt und Biotope veranstaltet. Es freut mich sehr, dass Sie diese Veranstaltung moderiert haben.

Ihr

Jürgen Trittin