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Frage von Gunnar R. •

Frage an Johanna Voß von Gunnar R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Voß,

wir sind eine Poltikarbeitsgruppe von der BBS I Fachoberschule Wirtschaft in Lüneburg.

Wir haben eine Frage bezüglich Ihrer Wahlplakatwerbung mit der Sie versprechen die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen.

Zunächst würde uns interessieren warum Sie die Truppen abziehen wollen und des Weiteren:
Wie möchten Sie so schnell wie möglich die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen UND
wie wollen Sie verhindern, dass dort der Krieg erneut ausbricht?

Über eine ausführliche Antwort würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Nina, Marcel, Gunnar und Maria
Facharbeitsgruppe

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Gunnar Ramm und die Mitglieder der Politik Arbeitsgruppe BBS1 Fachoberschule Wirtschaft in Lüneburg,

Um zu klären was Afghanistan im Jahr 2009 zermürbt, mag ein Blick in vergangene Jahrzehnte helfen:

Vor ca. 40 Jahren war König Zahir Shah Galionsfigur einer maroden Monarchie. Nach einer Hungersnot putschten 1973 junge Offiziere, die der demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) angehörten und und die Monarchie abschaffen wollten. Nach Machtübernahme betrieb die kommunistische DVPA eine Annäherung an die UDSSR um die gesellschaftl. Umgestaltung (Boden-und Bildungsreform) voranzutreiben.

Die radikalen Reformen führten zum erstarken der Gegner des Umbruchs. Bewaffnete Mudjahedin wurden von den USA unterstützt und eroberten mehrere Provinzen. Darauf hat die Regierung in Kabul die UdSSR gem. eines Freundschaftsvertrages um Militärhilfe und Truppen ersucht.

Leonid Breschnew beschließt 1979 mit 80.000 Sowjet Soldaten zu intervenieren. Die Sowjets schafften nur die Kontrolle der Städte und sind nach großen Verlusten (ca.15.000 Tote) 10 Jahre später 1989 im Zuge der Perestroika abgezogen.

Eine Fraktion der Mudjahedin bildeten die Taliban, die von USA, Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt wurden. Diese Länder waren alle an einer Pipeline interessiert, die Öl und Gas von Mittelasien über Afghanistan zum indischen Ozean führen sollte. Die Taliban Gotteskrieger eroberten am 27.09.1996 Kabul und kontrollierten 90% von Afghanistan. Die USA anerkannten sofort die Taliban Regierung und unterstützten weiter. Zu dem ersehnten Frieden kam es nicht. Die Sieger kämpften gegeneinander und gegen die Ungläubigen im eigenen Volk. Deshalb war es den Taliban nicht möglich, die Sicherheit zum Bau der Pipeline zu garantieren.

Der USA / Saudi Ölkonzern Centgas musste das Projekt 1998 wegen fehlender Sicherheit auf Eis legen.

Die USA Alliierten (Taliban) in Kabul hatten versagt. Also wurden aus „islamischen Freiheitskämpfern“ bald „menschenverachtende Terroristen“ die nach dem 11.Sept.2001 das Feindbild Nr.1 auf der „Achse des Bösen“ abgaben. Die auf Afghanistan Gebiet vorhandenen Terror Ausbildungslager von Al Kaida waren der medienwirksame Anlass für die USA Intervention (mit UN Mandat) vom 07.Okt.2001, die nach wenigen Monaten zum Sturz der Taliban Regierung führte. Danach wurde mit Hamid Karzai ein US-Afghane bzw. ehemaliger BP Manager als Staatschef eingesetzt.

Logische Folgerung: Der amerikanischen Präsenz in Afghanistan liegt ein geostrategisches Motiv zu Grunde. Es geht darum die Öl und Erdgas Zufuhr aus Zentralasien (Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan) unter US-Kontrolle zu bekommen.

Die US-Universität New Hampshire veröffentlichte am 11. Dez.2001 die Zahl der zivilen Opfer mit 3.500 - 4.000 nach nur 2 Monaten Bombenkrieg. Die Zahl wurde durch Auswertung der Anrainerstaatenpresse ermittelt.

Tote afghanische Bauern, Frauen und Kinder die nichts zu tun haben mit den Ereignissen des 11.September in New York. Über das wahre Ausmaß des US Bombenkrieges wird offiziell nicht informiert

Laut „Stern online.de“ sind am 01.Juli 2007 an einem Tag bei Nato Luftangriffen bis zu 130 Menschen überwiegend Zivilisten getötet worden.

Verteidigungsminister Jung verteidigte die Bombardierung der 2 Tanklastwagen vor 2 Wochen Anfang September 2009 und behauptete, es seien nur Taliban getötet worden. Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ kommt eine Nato-Kommission zu dem Ergebnis, dass 70 Aufständische und 30 Zivilisten getötet wurden. Der Bombenabwurf geschah auf Befehl eines deutschen Obersten der Bundeswehr.
Wenn in US Gefangenenlagern in Afghanistan und im Irak gefoltert wird und Nato Bomben auf Zivilisten fallen, werden zunehmend auch Deutsche als Feinde betrachtet. Die US Regierung sollte das Völkerecht einhalten und den internationalen Gerichthof in Den Haag anerkennen. Stattdessen kommt die jetzige Kriegsführung in Afghanistan einer Dauerproduktion von Gegnern gleich, mit denen sich auch die Bundeswehr auseinandersetzen muss.

In Deutschland wird die Diskussion über die Beteiligung am Afghanistankrieg nicht ehrlich geführt. Die Behauptung des SPD-Politikers Peter Struck, "unsere Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt", ist nicht nur falsch. Das Gegenteil ist richtig: Wir gefährden mit unserer Beteiligung am Afghanistankrieg unsere Sicherheit. Mit jedem durch westliche Waffen getöteten afghanischen Zivilisten wächst die Gefahr des Revanche-Terrorismus in Deutschland.

Noch falscher ist die Behauptung des deutschen Verteidigungsministers Jung, "wenn wir den Terror nicht in Afghanistan bekämpften, dann komme der Terror zu uns." Die Bundeswehr bekämpft in Afghanistan gar keine internationalen Terroristen, die Deutschland bedrohen. Sie kämpft gegen nationale Aufständische, die sich gegen die westliche Besatzung wehren. Das ist etwas völlig anderes. Die Taliban werden nie deutsche Städte angreifen. Sie wollen ihr Land befreien.

Am unredlichsten ist die Behauptung Jungs, "der zivile Wiederaufbau sei (uns) genauso wichtig wie der militärische Aspekt." Deutschland gibt in Afghanistan viermal so viel für militärische Zwecke aus wie für echte Entwicklungshilfe - die USA sogar zehnmal so viel. Wie viel Unehrlichkeit verträgt eine Demokratie? Dieser Krieg, der in Deutschland nicht Krieg heißen darf, weil die UN nie ein ausdrückliches Kriegsmandat gegeben haben, ist nicht zu gewinnen.

Unsere Politiker haben nicht den Mut, der Weltmacht USA entgegenzutreten und zu sagen: "Schluss, es reicht! Hört auf dieses arme Land zu bombardieren! Acht Jahre Blut und Chaos sind genug." Der Westen sollte Afghanistan endlich jene massive Entwicklungshilfe gewähren, die er dem bettelarmen Land immer wieder versprochen hat. Und er sollte Verhandlungen Afghanistans mit dessen Nachbarn und mit den Taliban unterstützen.

Warum hat nie ein westlicher Politiker versucht, auch nur eine einzige Stunde mit den aufständischen Taliban zu sprechen? Niemand behauptet, dass derartige Gespräche zu einem schnellen Ergebnis führen würden. Wir machen uns über die Taliban keine Illusionen. Aber geduldige und zähe Gespräche könnten uns viele Jahre Krieg ersparen. Sie könnten zahllosen Afghanen, aber auch deutschen Soldaten das Leben retten.

Am Ende werden die USA ohnehin mit den Taliban verhandeln - so wie sie in Vietnam trotz aller Dementis am Ende mit dem Vietcong verhandelten. Auch darüber darf man sich keinen Illusionen hingeben. Wir Deutsche sollten bei der Suche nach einer friedlichen Afghanistanstrategie eine Vorreiterrolle spielen. Wir dürfen nie mehr Besatzer sein. Es tut richtig weh, wenn der deutsche Verteidigungsminister, der unser Land immer tiefer in den Sumpf dieses Krieges redet, erklärt, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geschehe "im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott." Unser Gotteskrieger hat nichts verstanden. Deutschlands Aufgabe am Hindukusch ist es nicht, kraftvolle Kriegsmacht zu sein, sondern kraftvolle Friedensmacht. Die Bundesregierung und ihr kriegerischer Verteidigungsminister sind dabei, unser Ansehen in der Welt leichtfertig zu verspielen. Der internationale Terrorismus, der einst in Afghanistan, eine seiner Zentralen hatte, wird nicht mehr in die unwirtlichen Berge des Hindukusch zurückkehren. Er hat sich längst mit Hilfe unserer Antiterrorkriege globalisiert und dezentralisiert. Er braucht keine Zentrale mehr.
Die Terroristen, die unsere Städte bedrohen, leben seit langem im Westen mitten unter uns. Warum sollten sie zurück in dieses Land am Ende der Welt, in dem jede Höhle ausgespäht und registriert ist? Bei uns im Westen lebt und bombt es sich viel bequemer. Afghanistan war gestern. Die richtige Antiterrorstrategie heißt nicht Krieg, sondern Frieden. Gerechter Frieden in Afghanistan und im Irak.
Wird Deutschland am Hindukusch verteidigt?

Laut Leitantrag CDU Bundesparteitag 2006 soll die Bundeswehr zur Sicherung der Rohstoffzugänge eingesetzt werden. Die Bundeswehr sichert in Afghanistan strategische Positionen der USA ab. Es geht um die Öl- und Erdgas Zufuhr aus Zentralasien. Deutsche Soldaten sterben am Hindukusch aus falsch verstandener Solidarität zu den USA!

Wen wundert es, dass sich eine breite Mehrheit für den Rückzug aus Afghanistan ausspricht. Laut ARD Deutschlandtrend sind 69% der Bürger für einen schnellen Rückzug der Bundeswehr.

Die NATO-Strategie, Ziviles und Militärisches miteinander zu verbinden, hat dem Wiederaufbau und vor allem dem Engagement ziviler Organisationen sogar schwer geschadet. Die Truppen sind selbst zum Unsicherheitsfaktor geworden. Die Bundesregierung hat mit der Entsendung von Tornado-Kampfflugzeugen und der Übernahme der sogenannten „Quick Reaction Force“ ihren Teil zur Ausweitung der Kampfhandlungen beigetragen. Als weiterer Eskalationsschritt kann die Entsendung von AWACS-Flugzeugen gelten, die auch Aufgaben der taktischen Gefechtsführung übernehmen. Ihr Einsatz wurde Anfang Juli mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Grünen beschlossen. DIE LINKE. hat als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an abgelehnt. Der Kampf gegen den Terror kann nicht mit militärischen Mitteln gewonnen werden. Die Bundeswehr bringt keine Lösung des Konfliktes, sondern sie ist längst Teil des Problems.

DIE LINKE. fordert den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und setzt sich für den zivilen Wiederaufbau ein.

Noch weiterer Klärungsbedarf? Dann bitte Bescheid geben. Ich werde antworten.

mit freundlichem Gruß

Johanna Voß