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Frage von Matias Leão R. •

Frage an Heidemarie Wieczorek-Zeul von Matias Leão R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

"Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE) von Tarifverträgen"

Sehr geehrte Frau Wieczorek-Zeul!

Laut Wikipedia hat sich seit Beginn der 1990er Jahre der Anteil der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge an allen geltenden Ursprungstarifverträgen von 5,4 % auf 1,5 % im Jahr 2008 verringert. Der wichtigste Grund für diesen Rückgang liege in der zunehmend ablehnenden Haltung der Arbeitgeberseite zu diesem Instrument: In den Tarifausschüssen hätten die Arbeitgebervertreter in den letzten Jahren sehr viel häufiger als früher von ihrem Vetorecht gegen AVE-Anträge Gebrauch gemacht – manchmal auch gegen den Willen des betreffenden Branchenarbeitgeberverbands. Die Folge sei, dass die Allgemeinverbindlichkeit in Branchen, in denen sie früher regelmäßig beantragt und ausgesprochen wurde (wie z. B. dem Einzelhandel), heute kaum noch eine Bedeutung hat.

Ich bitte Sie höflich freundlicherweise Stellung zu nehmen, wie stark die Tarifbindung in den Branchen in Wiesbaden gilt und welche Hoffnungen Tarifpartner wie im Kurzfilm vorgestellt in die zukünftige Entwicklung der AVE seitens des Bundes setzen können?

https://www.verdi.de/verditv?mivstoredata=9e51df3289YTo0OntzOjY6InZsc29ydCI7aTowO3M6NjoicnVicmljIjtzOjU6IjExMTM0IjtzOjExOiJjbWRfZXhlY3V0ZSI7aToxO3M6MTU6InZzdG9yZWVsZW1lbnRpZCI7aToxODQ1Njt9

Mit besten Dank und Grüßen

gez. Hr. Rautenberg

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Rautenberg,

vielen Dank für Ihre erneute Frage. Leider leitet der Link auf eine Videoumfrage zum Thema „Digitaler Arbeitsplatz“. Dies scheint mir der falsche Link zu sein. Somit kann ich auf die Inhalte des eigentlich gemeinten Clips nur bedingt eingehen. Vielleicht können Sie mir nochmals den richtigen Link per email an heidemarie.wieczorek-zeul@bundestag.de senden. Soweit möglich versuche ich dennoch Ihre Frage zu beantworten:
Unser Wahlprogramm sieht eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen vor. So wollen wir die Regelung, dass mindestens 50% der Beschäftigten bei tarifgebundenen Arbeitgebern arbeiten, durch eine Prüfung des öffentlichen Interesses ersetzen.
Gerade in Branchen mit einem hohen Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse und einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad kann diese Regelung helfen. Ziel ist dabei die Vermeidung von unfairen Wettbewerbsbedingungen, bei denen nicht die Qualität der Leistung und Produkte zählen, sondern die Konkurrenz um die schlechtesten Arbeitsbedingungen.

Auch mit Blick auf das Thema betriebliche und tarifvertragliche Altersversorgung wollen wir die Allgemeinverbindlichkeit stärken. Insgesamt gilt es jedoch das Urteil im noch anhängigen Rechtsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zum Thema Allgemeingültigkeitserklärung. Hier hat ein Unternehmer Klage gegen eine AVE eingelegt, weil er darin seine Rechte aus Art. 9 (Koalitionsfreiheit) verletzt sieht. In einem Zwischenurteil hat das Bundesverwaltungsgericht (http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=280110U8C38.09.0) diese Klage für zulässig erklärt. Ein abschließendes höchstrichterliches Urteil steht hier noch aus.

Gleichwohl kann die Allgemeinverbindlichkeitserklärung – wie auch die Hans-Böckler-Stiftung deutlich macht – nur zum Teil Schutz vor Armutslöhnen bieten, da in etlichen Tarifverträgen auch Löhne zwischen vier und sieben Euro pro Stunde vorgesehen sind. Deshalb ist der von uns vorgesehene gesetzliche Mindestlohn von 8,50€ von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig wollen wir den Geltungsbereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen ausweiten und stärken damit die Möglichkeit, einen tariflich vereinbarten Mindestlohn auf alle Beschäftigten einer Branche zu erstrecken, der dann über 8,50€ liegen kann.

Wenn Sie mögen, können wir auch gerne über diese und andere Themen persönlich sprechen. Bitte setzen Sie sich bei Interesse mit meinem Bürgerinnen-und Bürgerbüro in Wiesbaden unter 0611-99 99 111 in Verbindung.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Heidemarie Wieczorek-Zeul