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Frage von Susanne T. •

Frage an Gregor Gysi von Susanne T. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr DR. Gysi,

wie ist es möglich, dass höchstinstanzliche Rechtsprechung durch Nichtanwendungserlass ausgehebelt werden kann?

Zum Fall: Am 23.07.2014 entschied das Bundessozialgericht (Az.: B 8 SO 14/13R-Az.: B 8 SO 31/12 R und Az.: B 8 SO 12/13 R), dass volljährigen erwerbsunfähig Behinderten, die im Haushalt der Eltern oder in Wohngemeinschaften leben, die Regelbedarfstufe 1 zusteht.
So hatte das BSG schon einmal in der Vergangenheit gleichlautend geurteilt.

Seit der "Hartz-4-Reform" in 2011 sind die Betroffenen der Regelbedarfstufe 3 zugeordnet worden, was eine Kürzung ihrer Grundsicherungsleistung um 20 % und auch zusätzlich eine entspr. Kürzung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs ausmacht.

Die schriftlichen Begründungen des BSG liegen mittlerweile vor, selbst die Bundesbehindertenbeauftragte freute sich öffentlich über dieses Urteil.

Nun sollte man meinen, dass nach beinahe 4 Jahren Kampf der Betroffenen die Rechtsfrage (wieder einmal) geklärt und das Urteil( ggf. auch rückwirkend bei Widerspruch und Klage, bzw. Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X) für diesen Personenkreis umgesetzt würde.
Dem ist leider nicht so. Mit Rundschreiben 2014/7 vom 08.08.2014 erging ein Nichtanwendungserlass des BMAS an die ausführenden Sozialhilfeträger.

Natürlich haben betroffene Familien, auch hier auf abgeordnetenwatch, das BMAS und auch Frau Nahles selbst, zur Umsetzung befragt, leider durchweg ohne Erfolg.

Ich komme auf meine ursprüngliche Frage zurück: wie kann es sein, dass höchstinstanzliche Rechtsprechung durch Nichtanwendungserlass ausgehebelt werden kann und was kann Die Linke unternehmen, um den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen?

Müssen sich die Familien, die finanziell meist nicht auf Rosen gebettet und durch ihren Alltag mit schwerstbehinderten Kinder äußerst belastet sind, erst wieder durch alle Instanzen klagen?

Mit freundlichen Grüßen
Susanne Thönes

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Sehr geehrte Frau Thönes,

Ihre Nachricht vom 13. Februar hat mich erreicht. Ich habe sie zuständigkeitshalber an die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sabine Zimmermann mit der Bitte weitergeleitet, Ihnen eine Antwort zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Gysi

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Sehr geehrte Frau Thönes,

die Urteile des Bundessozialgerichts und die "rechtliche Stellungnahme" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind uns bekannt. Ich teile die Auffassung des Bundessozialgerichts, dass volljährigen Menschen im SGB XII bei Bedürftigkeit der volle Regelbedarf zusteht, auch wenn sie mit anderen Erwachsenen zusammenleben, denen gegenüber keine Einstandswillen unterstellt wird. Diese Auslegung der geltenden Rechtslage wird leider vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestritten. Die ausführenden Verwaltungen werden unverändert aufgefordert, entgegen der eindeutigen Aussagen des obersten einschlägigen Gerichts die Regelbedarfe für die betreffende Personengruppe - vielfach Menschen mit Behinderungen - nur in gekürzter Höhe (80 Euro weniger) auszuzahlen. Es ist sowohl für die betroffenen Personen als auch für das Vertrauen in den Rechtsstaat massiv zu kritisieren, dass das zuständige Ministerium sich über ein eindeutiges Urteil des Bundessozialgerichts hinwegsetzt.

Wir haben dieses Verhalten gegenüber der Bundesregierung in Form von schriftlichen Fragen thematisiert und werden unsere Kritik auch weiter im Parlament zum Ausdruck bringen. In der nächsten Sitzungswoche wird das Thema im Ausschuss Arbeit und Soziales aufgesetzt. Hier werden wir die Bundesregierung auffordern, das Urteil des BSG endlich umzusetzen und bei, nach Rechtsauffassung des BSG, unzutreffenden Einstufungen ausstehende Leistungen nachzuzahlen.

Die Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Leistungsberechtigten im SGB II und im SGB XII in den Fragen der Existenzsicherung keine sachliche Grundlage hat und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG verstößt.

Die Fraktion DIE LINKE ist im Grundsatz der Auffassung, dass volljährigen Leistungsberechtigten im SGB II und im SGB XII der volle Regelbedarf zustehen sollte. U. E. gibt es keinen Grund bei erwachsenen Personen bei den Leistungsansprüchen zwischen verschiedenen Altersstufen zu unterscheiden; ebenso ist die Frage, ob jemand erwerbsfähig ist oder nicht (SGB II oder SGB XII) kein zulässiger Grund bei den Leistungen zur Existenzsicherung zu unterscheiden.

Um diese Ziele zu erreichen, sind Gesetzesänderungen notwendig. Lediglich in dem Aspekt, den das BSG im Juli entschieden hat, wäre es u. E. ausreichend, wenn das zuständige Ministerium die Rechtsauffassung des BSG akzeptiert und ein entsprechendes Verhalten der Verwaltungen anweisen würde. Die Bereitschaft scheint aber nicht vorhanden zu sein.

Insofern wäre es sinnvoll, wenn Sie die Anfrage auch Abgeordneten der Regierungsfraktionen sowie an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellen würden. Würde dies massenhaft gemacht, könnte es hier einen Lerneffekt befördern.

Mit besten Grüßen

Gregor Gys

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