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Gisela Piltz
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Frage von Tobias W. •

Frage an Gisela Piltz von Tobias W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Piltz,

soeben sehe ich, dass die Jungen Liberalen mit einem Plakat für die FDP werben, auf dem eine kopftuchtragende Frau abgebildet ist, zusammen mit dem Slogen "mehr Vielfalt". Soweit ich weiß, unterstützt die NRW-FDP derzeit die CDU darin, Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches untersagen zu wollen. Sehen Sie keinen Widerspruch in diesen Sachverhalten?
Falls nein:
Sind Sie der Meinung, dass sich das Weltbild und die Wertvorstellungen eines Menschen, auch wenn er nicht religiös gebunden ist, erst recht wenn er Lehrer ist, tatsächlich verheimlichen ließen?
Kann insofern ein offenes Bekenntnis zu seinen Wertvorstellungen negativer Art sein?
Vorstellbar ist ein tätowierter Sportlehrer mit "USA"- Baseball-Kappe, der keine arbeitsrechtlichen Probleme zu erwarten hätte. Eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch, die neben vielen anderen verschiedenen Kollegen ihren Dienst tut, die alle auf ihre Weise ihre Wertvorstellungen transportieren, ausgerechnet diese Frau soll Kinder und Jugendliche negativ in ihrer Entwicklung beeinflussen?

Den Slogen Ihrer Partei "mehr Freiheit" empfinde ich, mit Verlaub, äußerst abgeschmackt, sofern er die Freiheit einer solchen Frau nicht berücksichtigt. Was ansonsten heute landläufig mit Freiheit bezeichnet wird, erscheint mir etwas zu sein, was gesellschaftliche Solidarität eher beseitigt als zu stärken, und eher dem Stärkeren zu seinem Vergnügen verhilft.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Wobisch

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Wobisch,

für Ihre E-Mail zum Thema "Kopftuchverbot" danke ich Ihnen.

Im Zusammenhang mit der Kopftuchdebatte sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Einmal geht es um die Frage der Religionsfreiheit - und zwar sowol der positiven Religionsfreiheit der betroffenen Lehrerinnen als auch der negativen Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler - und zum anderen geht es um die gesellschaftliche Wertgrundlage und die verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte.

Ob das Kopftuch ein religiöses Symbol ist, also das Tragen vom Grundrecht der Religionsfreiheit erfasst ist, ist umstritten. Wenn es eine - insbesondere zwingende - religiöse Vorschrift wäre, so wäre das Tragen des Kopftuchs allein Ausdruck des Glaubens, mithin Teil der verfassungsrechtlich geschützten Religionsausübung. Ist das Kopftuch aber eher ein Bestandteil der Kulturen arabischer oder anderer Länder, in denen zugegebenermaßen der Islam eine prägende kulturelle Kraft entfaltet, so wäre der Bedeutungsgehalt des Kopftuchs ganz anders zu bewerten und unterfiele nicht Art. 4 GG.

Selbst wenn es sich beim Tragen des Kopftuchs um Religionsausübung im Sinne des Art. 4 GG handelt, sind die verfassungsimmanenten Schranken dieses Grundrechts zu beachten. Die Religionsfreiheit kann nur afgrund anderer Verfassungsgüter eingeschränkt werden. Die religiöse Neutralität des Staates und damit seiner Beamten ist eine solche verfassungsrechtliche Norm. Sie soll die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler schützen, sofern es um staatliche Schulen geht. Die negative Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche sind und waren immer ein besonderes Anliegen der Liberalen. Sie müssen ebenso geschützt werden wie die positive Religionsfreiheit, die ein Zeichen eines toleranten und aufgeklärten Rechtsstaates ist.

Handelt es sich aber ohnehin nicht um ein religiöses Symbol, sondern vielmehr um eine kulturelle Bekleidungsvorschrift, wie dies selbst von vielen aufgeklärten Islamvertretern gesehen wird, so stellt sich natürlich die Frage, welches Gesellschafts- und Rollenverständnis dadurch ausgedrückt wird. Lehrerinnen und Lehrer sind in besonderer Weise daran gebunden, unsere Rechts- und Verfassungsordnung in einer Vorbildfunktion für die Schülerinnen und Schüler zu leben. Ihre Wertvorstellungen dürfen nicht unserer Verfassung widersprechen. Eine zentrale Verfassungsnorm ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Unabängig davon, welcher Betrachtungsweise man folgt, so gibt es jeweils sehr gute Gründe für ein Kopftuchverbot. Die FDP in Nordrhein-Westfalen ist überzeugt davon, dass das Kopftuch weder mit der religiösen Neutralität des Staates zu vereinbaren ist, woraus sich eine verfassungsimmanente Schranke für die Religionsfreiheit ergibt, noch mit der Verpflichtung der Lehrerschaft, unserer Verfassungsgrundsätze vorbildhaft zu leben, da das Kopftuch ein Rollenverständnis voraussetzt, das mit unserer Gesellschaft nicht vereinbar ist. Die Jungen Liberalen mögen hier eine andere Auffassung vertreten. Sie sind die Jugendorganisation der FDP, aber inhaltlich und programmatisch nicht an Beschlüsse der Partei gebunden.

Die Frage, die wir uns jedenfalls stellen müssen, ist, ob das Kopftuch Teil einer islamischen Kultur in Europa sein kann. Eine islamische Kultur europäischer Prägung muss selbstverständlich die in ganz Europa geltenden Grundrechte beachten und ehren, so auch das Recht auf Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schreibt zum Kopftuch auf seiner Internetseite islam.de in dem Artikel, der mit der Frage „Das Kopftuch – Eine islamische Erfindung?“ überschrieben ist: „Auch bedeckten jüdische Frauen bis ins 19. Jahrhundert in Europa ihr Haupt. […]Die christliche Tradition wird in der Tracht von Nonnen sichtbar, die schon immer ihre Haare bedeckten. […] Es liegt uns fern, Judentum oder Christentum zu diffamieren, aber aus der Sichtweise des 20. Jahrhunderts erscheint die Lage der Frau in der jüdisch-christlichen Tradition wahrhaft furchterweckend. Andererseits sind fairerweise die historischen Umstände zu berücksichtigen, unter denen sich solche Traditionen entwickelten.“

Damit wird es sehr deutlich vor Augen geführt: Traditionen und Kultur unterliegen dem Wandel. Das Bild der Frau, ihre Rechte und auch die für sie geltenden Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften wurden lange Zeit in Europa von christlichen und jüdischen Traditionen und sogar Glaubenssätzen geprägt. Auch in der Bibel finden sich Textstellen, in denen die Verhüllung des Haares der Frau gefordert wird. Doch hat sich unsere Kultur geändert. Keine Christin – mit Ausnahme von Nonnen, die ihre Tracht tragen – in Europa käme heute doch auf die Idee, sie müsse ihr Haar bedecken, um ihrem Glauben genüge zu tun.

Eine islamische Kultur, die sich weiterentwickelt, wird möglicherweise auch zu einer Veränderung solcher Traditionen führen. Es ist ja schon heute sehr deutlich, dass im Islam ganz unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob es z.B. aus Glaubensüberzeugung notwendig ist, sich einen Bart stehen zu lassen. Die Taliban in Afghanistan hätten hier sicherlich eine ganz andere Antwort parat als ein Muslim in Istanbul. Die Auslegung des Koran wird eine ähnliche Entwicklung mitmachen wie die Auslegung der Bibel. Ein europäischer Islam wird andere Antworten finden auf Glaubensvorschriften und deren Bedeutung. Schon heute zeigt sich, dass die Bekleidungsvorschriften nicht mehr allgemein als zwingend für einen gläubigen Muslim oder eine gläubige Muslima angesehen werden.

Religionsfreiheit kann aber auch kein Freibrief sein für jedwedes Verhalten, welches mit unserer Verfassung und den Grundrechten insbesondere nicht in Einklang zu bringen ist. Es wäre eine falsch verstandene Toleranz, zu dulden, dass unsere Verfassungsgrundsätze und unser Recht durch widersprechende und unvereinbare religiöse Traditionen und Kulturen außer Kraft gesetzt werden.

So ist unzweifelhaft in europäischen Gesellschaften eine Zwangsverheiratung – und sei sie auch religiös in einer bestimmten Kultur verankert – nicht zu dulden. So ist auch die Schulpflicht nicht disponibel. In Deutschland gibt es eine allgemeine Schulpflicht, die die Teilnahme am Sportunterricht wie auch am Biologieunterricht vorsieht. Eine Freistellung aus religiösen Gründen, weil beispielsweise Mädchen ihre Bekleidungsvorschriften im Sportunterricht nicht einhalten könnten oder weil es grundsätzliche Vorbehalte gegen die Koedukation oder sexuelle Aufklärung gibt, darf es nicht geben. Damit gäben wir unser Recht der Beliebigkeit preis.

Zur weiteren Information empfehle ich Ihnen den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion "Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik" vom 01.12.2004 (BT-Drs. 15/4401).

Mit freundlichen Grüßen

Gisela Piltz, MdB