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Gert Winkelmeier
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Frage von Hermann F. •

Frage an Gert Winkelmeier von Hermann F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Winkelmeier ,

Es ist ja mal wieder allerhand los auf der Welt . " Georgien ! " Halten Sie die unkritische Parteinahme für Georgien und gegen Russland , die von unserer Regierung , und eingeimpft von Frau Merkel betrieben wird für richtig ? Letztlich hat Georgien den Krieg begonnen und angegriffen . Ist das " demokratische Georgien wirklich demokratisch und sind das deren Unterstützer auch ? Wenn ja , warum wird dann nicht in den umkämpften Gebieten eine Volksabstimmung angesetzt ?

MfG
Hermann Fuchs

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Fuchs,

vielen Dank für Ihre Fragen. Sie zeigen mir, dass Berichterstattung und Kommentierung in den deutschen Medien nicht bei allen Menschen die beabsichtigte Wirkung erzielen. In diesem Zusammenhang ist allerdings festzustellen, dass eine seit gut drei Jahren laufende Kampagne gegen Russland in Deutschland durchaus "Erfolg" hat. Dies lässt sich an den Ergebnissen der jährlichen Umfragen des "German Marshall Fund of the United States" (GMF) deutlich ablesen. Inzwischen empfinden 73 Prozent der Deutschen Russland als Bedrohung, wenn es um seine Rolle als Energielieferant geht. Der seit drei Jahren anschwellende Bocksgesang in den deutschen Mainstream-Medien kennt nämlich nur einen Text, der mit zunehmend schrilleren Tönen aus dem Kalten Krieg unterlegt wird: Putins Russland ist die Reinkarnation der Sowjetunion unter kapitalistischen Vorzeichen, aggressiv, expansiv, erpresserisch und bedrohlich. Statt von der Roten Armee wird Europa nun vom russischen Energiekonzern Gazprom in die Zange genommen. Statt "Fulda-Gap" (einst in den NATO-Planungen als Angriffspunkt des Warschauer Pakts vermutet) nun also "Energy-Trap", wie das /Spiegel/-Titelbild der Ausgabe 10/2007 ("Der Staat Gazprom") den Lesern einflüstern, oder besser noch einbrüllen wollte. Die /Süddeutsche /griff am 29. August des vergangenen Jahres gar in die unterste Schublade der Diffamierung. Auf Seite 2 unterlegte sie ein Bild des russischen Präsidenten, das ihn mit freiem Oberkörper beim Angeln an seinem Urlaubsort zeigte, mit der Textzeile: "Hirschfänger, Goldkettchen und ein verschlagener Blick". Das Frontblatt der "transatlantischen Wertegemeinschaft" mit intellektuellem Anspruch, DIE ZEIT, machte am 14. August dieses Jahres auf seiner Titelseite mit einem bezeichnenden Photo auf: Russische Infanterie im Sturmangriff und darüber in dicken, roten Lettern der Satz "Die russische Gefahr". Und weiter: "Mit ihrem Angriff auf Georgien zeigt sich die Großmacht so brutal wie zu Sowjetzeiten. Kommt ein neuer Kalter Krieg?". Direktorin des Berliner Ablegers des GMF ist übrigens Constanze Stelzenmüller, ehemalige ZEIT-Redakteurin. Das sofort nach dem 8. August dieses Jahres gemalte, dominante Meinungsbild der westlichen Medien vom aggressiven Russland mit imperialen Ambitionen reiht sich also in eine langfristig angelegte Strategie ein. Wer ihr als Bürger folgt, befindet sich in der gleichen Falle, die in den Balkankriegen der 1990er Jahre erfolgreich zu Ungunsten Serbiens zugeschnappt war.

Die entscheidende Frage ist -- da gebe ich Ihnen Recht -- wer diesen Krieg begonnen hat. Georgien hat die südossetische Hauptstadt in der Nacht vom 7. auf den 8. August mit Waffen in Schutt und Asche gelegt, die nicht geeignet sind, zwischen Kombattanten und Zivilpersonen zu unterscheiden. Dies ist ein glasklarer Verstoß gegen die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung. Georgien hatte zudem kein Recht, die abtrünnige Provinz mit Gewalt in seinen Staatsverband zurückzuholen. Dies war ein Verstoß gegen die Prinzipien des Völkerrechts. Betroffen waren von dem Angriff auch die russischen Soldaten, die im Rahmen der internationalen Friedenstruppe dort seit 1992 stationiert sind. Russland war also im Recht, sich gegen diesen Angriff zu verteidigen. Unser Altbundespräsident Richard von Weizsäcker hat dies anlässlich eines Vortrags im Deutschen Historischen Institut in Moskau am 16. August als "völlig legitim und selbstverständlich" bezeichnet.

Ich will aber auch zum weiteren Vorgehen der russischen Streitkräfte etwas sagen. Es war und ist erkennbar darauf ausgerichtet, einen solchen Fall künftig auszuschließen, indem große Teile der georgischen militärischen Infrastruktur zerstört wurden. Leider unter Einsatz von u. a. Streumunition, die nach meiner Auffassung und der der Partei DIE LINKE nicht mit der Genfer Konvention in Einklang zu bringen ist. Insgesamt wurde das Vorgehen Russlands vom deutschen Militärattaché in Moskau jedoch am 12. August als "angemessen" bewertet. Ich erinnere auch an 1999: Damals hat die NATO in Serbien planmäßig die zivile Infrastruktur bombardiert, um das Land an den Verhandlungstisch zu zwingen, ein klarer Bruch des Kriegsvölkerrechts, an dem die deutsche Luftwaffe mit ihren ECR-Tornados zur Ausschaltung der serbischen Raketenflugabwehr entscheidend mitbeteiligt war. Russland hat hingegen militärische Ziele bombardiert und dabei auch zivile Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen, das ist ein wichtiger Unterschied.

Auch zur Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland möchte ich etwas anmerken. Sie ist derselbe Völkerrechtsbruch, wie die Anerkennung des Kosovo durch die Mehrzahl der NATO-Mitglieder und Staaten der EU, darunter auch Deutschland. Allerdings ist hierbei einiges zu bedenken.

Russland hat sich als Rechtsnachfolger der Sowjetunion seit 1992 stets als Verteidiger des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen erwiesen. Dem völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Jugoslawien hat es sich widersetzt. Die Anerkennung des Kosovo gegen den Willen des Zentralstaats Serbien und unter Bruch der Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrates wurde vom russischen Präsidenten scharf verurteilt. Und nun, als der Protegé des Westens an der unmittelbaren Grenze Russlands gezündelt hatte, war offensichtlich Moskaus Geduld am Ende.

Dabei sollte folgendes nicht vergessen werden. 1990 hatte der damalige US-Außenminister James Baker dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die deutsche Vereinigung zugesichert, die NATO nicht über das Gebiet des vereinten Deutschlands hinaus auszudehnen. Gleichwohl wurde sie inzwischen unter Ausnutzung der russischen Schwäche unter Präsident Jelzin bis an die Grenzen Russlands erweitert. Darf sich da jemand wundern, wenn Russland seine legitimen Sicherheitsbedürfnisse beeinträchtigt sieht? Ich meine: Nein. Weder Präsident Medwedjew noch Ministerpräsident Putin leiden an Paranoia, wie die US-Außenministerin Rice ihnen vorwirft. Beide wissen, dass das Ziel amerikanischer Geopolitik ist, Russland als das Herz Eurasiens zu kontrollieren, notfalls durch Zerstückelung. Sie haben dies auch in mehreren Reden und Interviews der vergangenen Jahre deutlich zu verstehen gegeben. Zbigniew Brzezinski, seit mehr als dreißig Jahren die Graue Eminenz der US-Außenpolitik und heute oberster Berater des Präsidentschaftskandidaten Obama, hat diese Absicht in seinem 1997 erschienen Buch "The Grand Chessboard" (Deutsch: "Die einzige Weltmacht", Fischer Taschenbuch-Verlag) ganz kühl, wie es seine Art ist, beschrieben. US-Vizepräsident Cheney hat vor kurzem in Lettland erklärt, dass die USA Russland "natürlich" einkreisen wollen.

In diese Eurasienstrategie muss auch der vom georgischen Präsidenten vom Zaun gebrochene Krieg eingeordnet werden. Die erwartete russische Reaktion sollte dazu dienen, einen Keil zwischen das "alte" und das "neue" Europa zu treiben. Denn Brzezinskis Albtraum ist eine Partnerschaft zwischen der EU und Russland, die eine US-Präsenz auf unserem gemeinsamen Kontinent nicht mehr rechtfertigen würde. Ein neuer "Eiserner Vorhang" sollte heruntergelassen werden, um die Vernetzung zwischen der westeuropäischen Wirtschaft und dem Energielieferanten Russland rückgängig zu machen. Denn diese Vernetzung bedeutet, dass die USA keine Kontrolle über die nach Westen fließenden Energieströme ausüben können, die zudem nicht notwendigerweise in Dollar abgerechnet werden. Dazu empfehle ich dieses Video (leider nur in englischer Sprache):

http://therealnews.com/t/index.php?option=com_content&task=view&id=31&Itemid=74&jumival=2212&updaterx=2008-09-03+04%3A55%3A18

und diese Sendung des hessischen Rundfunks:

http://d621461110.l.ipx.core002.streamfarm.net/17000hr/ondemand/3435hronline/mp3/podcast/derTag/der_kaukasische_krisenkreis__die_rueckkehr_der_geopolitik..mp3?tl=html

Diese Absicht ist vorläufig gescheitert. Wesentlich dazu beigetragen hat -- neben Frankreich und Italien -- Außenminister Steinmeier. Das muss ich, bei aller Kritik an seiner Politik insgesamt, anerkennen. Er hatte dabei allerdings auch die Interessen der deutschen Exportwirtschaft auf seiner Seite. Jedenfalls ist es gelungen, die Absicht der USA zu durchkreuzen.

Ob Georgien demokratisch ist?

Egon Bahr (SPD) hat kürzlich in der Wochenzeitung "Freitag" geäußert: "Ich bin dagegen, über deren (gemeint sind Georgien und die Ukraine, G. W.) NATO-Mitgliedschaft in überschaubarer Zeit überhaupt nur zu reden"

(http://www.freitag.de/2008/35/08350601.php)

Er hat dies zwar nicht mit Blick auf den Stand der Demokratie in Georgien bezogen, aber sein Unbehagen an den politischen Verhältnissen in dem Kaukasus-Land schimmert im Interview durch.

Weder der von den USA gesteuerte Putsch gegen Präsident Schewardnadse im Jahr 2003, noch die manipulierten letzten Parlamentswahlen können als demokratisch bezeichnet werden. Im November 2007 hatte Saakaschwili eine Demonstration der Opposition gewaltsam auflösen lassen und danach für zwei Wochen den Ausnahmezustand verhängt. Auch eine freie Presse existiert in Georgien nicht. Selbst die NATO bemängelt Demokratiedefizite. Das beantwortet wohl Ihre Frage.

Volksabstimmungen in sezessionswilligen Teilen von Zentralstaaten sind allenfalls eine Möglichkeit, den Willen der jeweiligen Bevölkerung zu dokumentieren. Ergeben sich Mehrheiten für eine Unabhängigkeit, kann diese nach dem gültigen Völkerrecht, z. B. auch nach der KSZE-Schlussakte von Helsinki, nur mit Zustimmung des Zentralstaates erfolgen. Beispiele sind die Trennungen der Tschechoslowakei und Serbiens/Montenegros. Einseitige Erklärungen sind hingegen völkerrechtswidrig. Durch die russische Anerkennung der abtrünnigen Republiken sind nunmehr Fakten geschaffen worden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte Russland jedoch nicht so gehandelt, wären die NATO-/EU-Staaten mit Blick auf die Zerschlagung Jugoslawiens und die Anerkennung des Kosovo nicht die Vorreiter dieser Entwicklung gewesen. Deswegen sind die anhaltenden Vorwürfe dieser Staaten über Moskaus Verhalten nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver. Zu meinem großen Bedauern muss ich hier noch etwas anfügen: Ausgerechnet Deutschland, der Verursacher der größten politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, mit zig Millionen von Toten im Zweiten Weltkrieg, hat die fatale Entwicklung auf dem Balkan mit seiner vorpreschenden Anerkennung Kroatiens und Sloweniens im Jahr 1991 eingeleitet.

Ob der Antrag Serbiens an die gerade laufende UNO-Vollversammlung, zum Kosovo ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs einzuholen, auch an der russischen Haltung zu Südossetien und Abchasien etwas ändert, wird sich zeigen.

Mit freundlichen Grüßen

Gert Winkelmeier