Frage an Gabriele Frechen von Mario S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Frechen,
danke für ihre Antwort. Es bleiben aber noch einige Fragen offen.
Wenn die Preise für Grundversorgungsmittel (Lebensmittel, Energie) explodieren und die Löhne nicht mitsteigen oder arg hinterherhinken, dann stellt dies doch eine außerordentliche Deflationsgefahr dar? Im Durchschnitt mögen die Preise des gesamten Warenkorbs um 3% gestiegen sein. Aber doch nur, weil Luxusgüter keinen Absatz mehr finden, da die Bürger ihr Geld eben nur einmal ausgeben können. Zur allgemein steigenden Armut brauche ich ja hoffentlich keine Quellen anzugeben.
Desweiteren kann man kaum von Sicherheit reden, wenn die Mindestreserve gerade mal 2% beträgt und die Geschäftsbanken also laut Basel II bis zum gar 50fachen ihrer Einlage an Krediten herausgeben dürfen, was folglich übrigens zu einem gigantischen Betrug an Zins- und Zinseszinseinnahmen führt. Wie darf ich Sie da also verstehen? ( www.oenb.at/de/glossar/glossar_m.jsp#tcm:14-4169 )
Ich sehe die eigentliche Krisenursache an der Geldentstehung durch Schuld (Kredit) und der ausschließlich positiven Guthabenverzinsung, so dass Banken stets mehr fordern als ursprünglich erzeugt. Somit kann ein Individuum sich nur durch Umschuldung entschulden (Kettenbriefproblem), aber die Gesamtheit der Schulden ist einfach nicht tilgbar.
Auch führen stets positive Zinsforderungen zu einem Zwang von ständig höheren Renditeerwartungen und damit zu höherer Risikobereitschaft von Banken & Versicherungen bei Spekulationen, die sich nun in der Finanzkrise äußern. Natürlich sind letztlich die von Ihnen genannten Individuen schuldig. Diese haben sich aber nur dem System angepasst und sind somit nur ein Symptom und nicht die eigentliche Ursache, die in der öffentlichen Diskussion nirgends zu Sprache kommt.
Ich möchte sie abschließend fragen, wieso der Rückgang des Wirtschaftswachstums ein schwerwiegendes Problem darstellt und wie man wirtschaftspolitisch überhaupt von einem unendlichen Wachstum ausgehen kann?
Hochachtungsvoll
Mario Schieschnek
Sehr geehrter Herr Schieschnek,
vielen Dank für Ihre Nachfragen.
Wie bereits erwähnt, schätze ich die Deflationsgefahr derzeit als sehr gering ein. Vielmehr zeigen sämtliche Indikatoren derzeit inflationäre Tendenzen. Wie Sie richtig bemerken, steigen die Preise für Energie und Lebensmittel momentan weltweit stark an. Diese Entwicklung betrachte auch ich mit Sorge. Dass jedoch die Löhne nicht in gleichem Maße mitsteigen, zeigt sich bei differenzierter Betrachtung so nicht. Das statistische Bundesamt hat vergangene Woche mitgeteilt, dass die Tariflöhne und –gehälter gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 3,3 Prozent gestiegen sind. Das ist der höchste Anstieg seit 1996. Die Lohnsteigerung liegt außerdem über der Inflationsrate von derzeit 2,8 Prozent. Ich möchte beispielsweise auf den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst hinweisen, der mit ca. 8 Prozent außerordentlich hoch ausgefallen ist, oder auf den Tarifabschluss der IG Metall in Bayern, der mit mehr als 4% ebenfalls deutlich über der Inflationsrate liegt.
Was die Deflationsgefahr betrifft: Eine hohe Lohnsteigerung in Verbindung mit steigenden Preisen birgt eher die Gefahr einer nachfrageinduzierten Inflation. Ein weiteres Indiz für das Ausbleiben einer Deflation ist neben den relativ hohen Tarifabschlüssen die Entwicklung der Nachfrage. Bei einer Deflation sinken die Preise, was die Nachfrager auf weitere Preissenkungen warten lässt und den Konsum abwürgt. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat jedoch in der letzten Woche den GfK-Index veröffentlich, der im Mai um 1,1 Punkte auf den Stand von 5,9 Punkten und damit auf den höchsten Stand seit Herbst klettert. Die Nachfrager sind somit bereit zu konsumieren. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Waren 2005 noch 4,86 Millionen Menschen arbeitslos, sind es mittlerweile noch ca. 3,4 Millionen.
Auch der Index für die Konjunkturerwartungen legte den zweiten Monat in Folge von 15 auf 23,3 Punkte zu. Eine Rezession ist damit in naher Zukunft nicht zu erwarten, wohl aber eine Delle in der Konjunkturentwicklung. Ich bleibe dabei: Meine Sorge gilt momentan eher einer inflationären Entwicklung, nicht aber einer Deflation.
Ich gebe Ihnen jedoch ausdrücklich Recht, was die Entwicklung der Einkommensverteilung angeht. Sie sprechen die steigende Armut an. Tatsächlich wird die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland stetig größer. Während die Einkommen an der Obergrenze immer größer werden, stagnieren die kleinen Einkommen. Dem gilt es entgegen zu steuern. Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, dass gerade in diesem Punkt die SPD handelt. So haben wir die so genannte „Reichensteuer“, also den Aufschlag um 3 Prozentpunkte bei der Einkommensteuer auf hohe Einkommen, durchgesetzt. Während der letzten Jahre habe ich als zuständige Berichterstatterin gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen die Streichung diverser Steuerausnahmebestände und Steuerschlupflöcher wie z. B. Schiffsfonds durchgesetzt (ich empfehle Ihnen dazu die Lektüre meiner Plenarreden auf www.gabi-frechen.de). Aktuell beraten wir im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages auf Initiative der SPD hin die Einschränkung des Steuerabzuges von Manager-Abfindungen sowie die Reform der Erbschaftsteuer, welche unser Koalitionspartner noch vor kurzem am liebsten ganz abschaffen wollte. Außerdem gibt es derzeit den Vorschlag der SPD, die steuerliche Abziehbarkeit von Managereinkommen von mehr als 1 Mio. € zu begrenzen. Sie sehen also, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion das Problem der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung durchaus erkannt haben und entsprechende Maßnahmen anstreben. Allerdings muss dazu auch der Koalitionspartner mitspielen.
Zu Ihrer Frage zur Absicherung von Kreditrisiken:
Tatsächlich ist der Mindestreservesatz derzeit bei 2%. Auch ist es so, dass die multiple Giralgeldschöpfung eine vielfache Neuvergabe von Sichteinlagen ermöglicht. Dieses System funktioniert seit Jahrzehnten sehr gut, und es wird auch die aktuelle Finanzmarktkrise überstehen. Wenn Sie die hundertprozentige Absicherung von Kreditrisiken bei gleichzeitiger Abschaffung der multiplen Giralgeldschöpfung fordern, fordern Sie nichts anderes als die Abschaffung von Zins und Kredit. Meinen Standpunkt dazu habe ich Ihnen bereits einmal erläutert. Ich möchte hinzufügen, dass die Kreditvergabe von Banken dadurch funktioniert, dass nicht alle Kreditgeber (also Sparer) ihre Einlagen gleichzeitig von allen Banken zurückverlangen. Würde dies geschehen, würde das Finanzsystem kollabieren. Sie werden mir jedoch zustimmen wenn ich sage, dass dieser Fall völlig utopisch ist. Außerdem würden andere Akteure des Wirtschaftssystems, beispielsweise die Zentralbanken oder der IMF, umgehend intervenieren. Mit den derzeitigen Regeln gemäß Basel II und Mindestreservepolitik ist dafür gesorgt, dass die Banken einen ausreichenden Kapitalstock vorhalten, um jederzeit die Rückzahlungsrisiken bedienen zu können. Nur weil Geld durch Giralgeldschöpfung entsteht, ist es schließlich kein nichtexistentes Geld. Und schließlich ist bei der Giralgeldschöpfung, anders als bei einem Kettenbrief, eine Grenze eingezogen: Statt unendlich weiter Giralgeld zu schöpfen, ist durch die Mindestreserve begrenzt – im Fall des Mindestreservesatz von 2% ist dies exakt der Faktor 50. Übrigens auch im umgekehrten Fall: Verkauft eine Zentralbank eine Anleihe, welche der Käufer vom Girokonto bezahlt, entzieht dies dem System Giralgeld in Höhe des 50-fachen.
Was Ihre Einschätzung der Krisenursache und des „Kettenbriefphänomens“ betrifft, so habe ich in meiner letzten Antwort bereits ausführlich Stellung bezogen. Noch einmal: Das System der Giralgeldschöpfung und des Kredithandels funktioniert seit Jahrzehnten und trägt einen großen Beitrag zur Wirtschaftsleistung bei. Eine Abschaffung von Zins und Kredit halte ich für unnötig und unrealistisch. Auch möchte Ich sie darauf hinweisen, dass Deutschland die internationale Krise bisher weitaus besser überstanden hat als andere Länder, das liegt nicht zuletzt daran, dass das Verhältnis von Realwirtschaft zu Finanzwirtschaft deutlich ausgeglichener ist als anderswo. Während sich andere Volkswirtschaften wie etwa Großbritannien stark auf den Handel mit Finanzprodukten und –dienstleistungen konzentriert hat, ist eine stark industriell geprägte Wirtschaft wie die deutsche wesentlich stabiler und krisenfester.
Zu Ihrer abschließenden Frage:
Der Rückgang des Wirtschaftswachstums führt zum Verlust von Volkseinkommen und somit zu Armut. Wenn die Wirtschaftsleistung immer weiter sinkt, sinkt der Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger. Die Wirtschaftswissenschaft geht von einem stetigen Wachstum aus. Dies ist darin begründet, dass aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts die Produktivität einer Volkswirtschaft und damit der Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger stetig wachsen. Wenn Sie sich die Entwicklung der OECD-Staaten ansehen werden Sie feststellen, dass dieses Phänomen in der Praxis bestätigt wird.
Ich fürchte somit weder eine Deflation, noch halte ich das internationale Finanzsystem für einen „Kettenbrief“. Auch halte ich unser System einer sozialen Marktwirtschaft nicht nur für zukunftsfähig und stabil, sondern für die beste Wirtschaftsform zur Versorgung der Menschen mit Wohlstand und Sicherheit. Sollten Sie über meine Antworten heraus gutachtliche Stellungnahmen wünschen, empfehle ich Ihnen den Kontakt zu Volkswirten oder den verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstituten aufzunehmen.
Mit freundlichem Gruß
Gabi Frechen, MdB