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Christian Ahrendt
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Frage von Michaela E. •

Frage an Christian Ahrendt von Michaela E. bezüglich Recht

Hallo Herr Ahrendt,

wie stehen Sie zu dem Thema Strafmaße bei Gewaltverbrechen im Vergleich zu Kaptial- und Eigentumsdelikten? Meines Erachtens ensteht in vielen Urteilen der Eindruck, als sei Materielles schützenswerter als Menschenleben. In diesem Zusammenhang interessiert mich, wie Sie zum Thema Todesstrafe stehen.

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Freundliche Grüße
Michaela Ehrt

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Antwort von
FDP

Sehr verehrte Frau Ehrt

ich danke Ihnen für Ihre interessanten Fragen.

Zur ersteren möchte ich Ihnen in aller Kürze versichern, dass auch mich regelmäßig ein großes Unbehagen befällt, wenn ich lese oder höre, dass ein Menschenleben scheinbar weniger wert ist, als ein irgendein materieller Wert. Hier ist die Rechtspolitik aufgerufen, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um dieses scheinbar aus dem Lot geratene Verhältnis wieder ins Gleichgewicht zu bekommen.

Und zum Thema Todesstrafe habe ich eine ganz klare Meinung: Ich lehne sie ab.

Die Anhänger der Todesstrafe führen nicht zuletzt die Talion, das Gesetz zur Vergeltung, wie es bereits im 2. Buch des Moses, Kapitel 21, Vers 24, steht ("Auge um Auge, Zahn um Zahn"), als ihr mit Abstand stärkstes Argument an. In seiner "Metapyhsik der Sitten" betonte Immanuel Kant (1724 -- 1804), einem Zeit- und Streitgenossen Beccarias, dass nur das Vergeltungsrecht die Qualität und Quantität der Strafe bestimmen könne. Habe der Täter gemordet, so müsse er sterben. Auf das verübte Unrecht müsse eine in Dauer, Härte und der Art nach gleiche Strafe folgen, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Nach dieser Konzeption gibt es kein anderes Mittel als die Bestrafung mit dem Tode, um einem zutiefst verletzten Rechtsgefühl Satisfaktion zu erteilen.

Die Schwäche dieser im Gewande einer der Lehren vom Zweck der Strafe bekannt gewordenen Argumentation, der Vergeltungstheorie, liegt zum einen darin, dass sie nicht nach der Schuld des Täters fragt. Die Umstände der Tat, das Persönlichkeitsbild sind bedeutungslos. Daneben wird keine Antwort auf die Frage gegeben, wie eine Strafe qualitativ zu sein hat, um den der jeweiligen Tat angemessenen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Nicht selten wird dieses Ziel mit einer milderen Form der Strafe als dem Tode zu erreichen sein. Das Strafgesetz ist gerade nicht ein von rationalen Zweckerwägungen befreites Gebot einer rein repressiven Gerechtigkeit. Der blinde Wunsch nach Rache, das archaische Verständnis von Strafe, verstellt den Blick auf diesen Umstand.

Strafe ist nichts anderes als die angemessene Reaktion auf den verübten Normenverstoß. Strafe und Delikt sind in einer Weise miteinander verknüpft, dass beide in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Aus dieser Korrelation folgt für das Strafrecht die Aufgabe, die elementaren Grundwerte des Gemeinschaftslebens zu sichern und die Erhaltung des Rechtsfriedens im Rahmen der sozialen Ordnung sowie nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durchzusetzen. Über die Feststellung des Normenverstoßes hinaus sind die Schuld, also die Vorwerfbarkeit der Tat im Hinblick auf die ihr zugrunde liegende rechtlich tadelnswerte Gesinnung als Bemessungsgrundlage für das gerechte Strafmaß sowie die Prognose für die Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft zu prüfen. Nur derart kann man zu einer dem Täter und der Gemeinschaft gerecht werdenden Rechtsfolge gelangen. Ein Recht aber, das sich eines Strafübels bedient, das diesen Zusammenhang ignoriert, steht sich selbst im Wege, denn es verlangt auch dort nach Strafe, wo sie aus Gründen des Rechtsgüterschutzes nicht notwendig wäre. Die Strafe diente dann nicht mehr den Aufgaben des Strafrechts und verlöre ihre gesellschaftliche Rechtfertigung.

Als weiteres Argument für die Todesstrafe wird ihre mutmaßlich abschreckende Wirkung genannt. Diesem Konzept liegt die Theorie der Generalprävention zugrunde. Danach ist die Strafe auf die Verbrechensverhütung durch Stärkung des Rechtsbewusstseins sowie des Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtsordnung bezogen. Strafe soll damit allein präventiv wirken. Es besteht allerdings seit langem Einigkeit darüber, dass nur ein Teil der zur Begehung einer Straftat geneigten Menschen mit soviel Überlegung an eine Tat herangehen, dass sie einer Abschreckung zugänglich sind. Unbestritten ist seit der Aufklärung zudem, dass bei diesem Personenkreis nicht die Art oder die Schwere der zu erwartenden Strafe abschreckend wirkt, sondern vielmehr nur die Gefahr, gefasst zu werden. Schließlich müssten jene, die von der abschreckenden Kraft der Todesstrafe überzeugt sind, folgerichtig für die öffentliche Form der Hinrichtung eintreten. Nur dann wäre ein Höchstmaß an Öffentlichkeit und --vielleicht- Abschreckung zu erzielen. Derweil die Verantwortlichen davon aber selbst nicht überzeugt zu sein scheinen, findet die staatliche Tötung in vielen Ländern wenn überhaupt nur vor einem kleinen, ausgewählten Kreis von Menschen statt; und zwar lediglich, um die Hinrichtung zu bezeugen.

Gelegentlich wird für die Todesstrafe noch die finanzielle Belastung des Staatshaushalts durch den lebenslangen Freiheitsentzug angeführt. Wie jüngere Untersuchungen jedoch belegen, ist aufgrund der Kosten für die sichere Unterbringung, die ständige Beobachtung des Verurteilten wegen der latenten Gefahr eines Suizids sowie das Ausschöpfen des Rechtswegs das Gegenteil der Fall. Im übrigen ist dieses Argument nicht recht nachvollziehbar, denn kranken und alten Menschen wird auch nicht ihrer Krankheit und ihres Alters und der dadurch ausgelösten Kosten für die Gemeinschaft wegen ihr Leben genommen. Der Gedanke der Vergeltung tarnt sich hier vielmehr mit einem scheinbar rationalen Argument.

Es gibt keinen logisch nachvollziehbaren Grund, der die Todesstrafe rechtfertigen könnte. Sie ist das Instrument einer irrationalen Rechtspflege. Und in der kaltblütigen Brutalität des staatlichen Tötungsaktes liegt ein Maß an Verrohung, für das im aufgeklärten Europa kein Platz ist. Sie ist seiner unwürdig. Deutschlands, gar Europas Seele ist deshalb mehr als Toleranz: Es ist Menschlichkeit. Wir dürfen niemals Verständnis für die hoheitliche Tötung im Namen der Völker haben.

Ich unterstütze deshalb die vom portugiesischen Justizminister Alberto Bernardes Costa gegenüber seinen europäischen Amtskollegen bei der Ratstagung Inneres und Justiz in Dresden angekündigte große internationale Konferenz gegen die Todesstrafe am Welttag gegen die Todesstrafe, dem 10. Oktober 2007, voll und ganz.

Mit freundlichen, liberalen Grüßen

Ihr Christian Ahrendt