Bert Meyer
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von F.Stephan A. •

Frage an Bert Meyer von F.Stephan A. bezüglich Soziale Sicherung

Sie behaupten, dass aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung das Renteneinstiegsalter 67 notwendig sei. Bitte erläutern Sie, wie in körperlich anstrengenden Berufen die Arbeitnehmer dieses erreichen sollen, ohne aus gesundheitlichen Gründen ausgesondert, also arbeitslos werden zu müssen. Ihr Hinweis auf Erwerbsunfähigkeitsrente (richtiger Erwerbsminderungsrente) ist hier ein Aspekt, allerdings mit sehr vielen Bedingungen verknüpft. Die Realität sieht doch so aus, dass eher von Berufs- als von Erwerbsunfühigkeit gesprochen werden muss. Wollen Sie alle 60-jährigen Bauarbeiter umschulen?

Wass wird von Ihnen, bzw. der durch Sie vertretenen Partei als Lösung für die demographische Schere insbesondere im Erzgebirge angesehen. Wie wollen Sie die Gebrutenfreutigkeit der Eltern fördern?
MfG
F.S. Arnold

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Arnold,

bei "Abgeordnetenwatch" habe ich 300 Zeichen, um die Antwort auf eine These zu begründen. Es lassen sich dort nicht einzelne, wenn auch typische, Fallgestaltungen des Rentenrechts beleuchten, und ich bin zugegebenermaßen auch kein Spezialist für Rentenrecht. Aber ich war einige Jahre ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht und habe mitbekommen, wie Betroffene um Erwerbsunfähigkeits- oder auch - minderungsrenten kämpfen mussten. Gleiches galt für Berufsunfähigkeitsrenten, die die Jüngeren ja nur noch privat bekommen (oder auch nicht oder nur zu unmöglich hohen Versicherungsbeiträgen, wenn sie z.B. körperlich anstrengende Berufe ausüben). Ich habe mich allerdings gewundert, dass sich die Politik so auf die "67" fixierte und oft den "alternden Bauarbeiter" anführte als Begründung, warum das nicht ginge. Über bis ins hohe Alter arbeitsfähige Geisteswissenschaftler spricht niemand - da muss man nicht mal den 90jährigen Heiner Geißler als Extremfall hernehmen. Die zwei Jahre zwischen 65 und 67 lösen nämlich das Problem Berufsunfähige, die nicht mal den frühestmöglichen Rentenbeginn erreichen, überhaupt nicht. Und Sie haben recht: Es ist realitätsfern, "60jährige Bauarbeiter" z.B. auf Bürojobs umschulen zu wollen oder abstrakt auf andere Berufe zu verweisen. Eine perfekte Lösung wird es nicht geben, aber man könnte dem wie folgt nahekommen: Die Risiken werden in den einzelnen Branchen von den Tarifparteien taxiert und bei Tarifabschlüssen berücksichtigt. Umzusetzen wäre die Fürsorge über berufsständische Versorgungswerke, vergleichbar mit der betrieblichen Altersvorsorge, oder über Sammelverträge bei privaten Versicherungen. Die Kosten dieser Risiken würden sich in den Löhnen widerspiegeln und damit in den Preisen, mit denen die jeweilige Branche am Markt agieren muss. Man kann das auch auf die einzelne Firma runterbrechen um dort das Vorsorge-Denken zu fördern.

Zur "demografischen Schere": Man darf nicht erwarten, dass Politik alle gesellschaftlichen Entwicklungen lenken kann. Früher war es gängig, dass Familien, drei, vier oder noch mehr Kinder hatten, und das unter weit schwierigeren Bedingungen. Im Vergleich zu den trüben 90er Jahren nimmt die Geburtenfreudigkeit wieder zu, allerdings auf dem heute üblichen Niveau von ein bis zwei Kindern. Die Geburtenfreudigkeit ist also nach den Maßstäben unserer Zeit gar nicht das Problem. Doch die nicht geborenen oder weggezogenen Mütter werden fehlen, und diese demografische Entwicklung kann man nicht mehr umkehren, sondern sich bestenfalls darauf einstellen. Und man kann vielleicht dafür sorgen, dass sie sich nicht weiter verschärft - dazu gehört z.B.
- Aufrechterhaltung einer guten Kita-Versorgung,
- sicheres und bezahlbares Wohnen,
- nicht noch mehr Schulen schließen,
- generell Vereinbarkeit Kinder und Beruf.
Wir sind also im Vergleich zu Großstädten gar nicht so schlecht aufgestellt. Was problematisch ist: der ausgedünnte ÖPNV, der für viele außerschulische Aktivitäten den "Fahrdienst" der Eltern erfordert. Generell bin ich gerade bei demografischen Fragen für lokal zu findende Lösungen anstelle der ´zig Förderprogramme, die sich irgendwie auch mit dem Thema beschäftigen, aber kreative Problemlösungen viel zu oft ausbremsen.

Viele Grüße
Bert Meyer, Mildenau