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Frage von Markus S. •

Frage an Bernd Siebert von Markus S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Siebert,

ich wende mich heute mit einer Frage an Sie, die einen großen Teil der politisch interessierten Bundesbürger beschäftigt:

Wie stehen Sie zu dem Entwurf des ESM Vertrages, welcher mit einem Startkapital von EUR 700 Milliarden, versehen mit der Möglichkeit der Nachforderung in beliebiger Höhe (also unbegrenzt), mit einer bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsverpflichtung im Wesentlichen durch die Bundesrepublik Deutschland (Zahlungsfrist: 7 Tage) ausgestaltet ist?

Der deutsche Haftungsanteil beträgt zunächst (vor unbegrenzter Nachforderungsmöglichkeit) ca. EUR 210 Milliarden. Ein deutscher Bundeshaushalt hat ein Volumen von ca. EUR 310 Milliarden.

Auf die totale Immunität der Führung des ESM und seiner Angestellten möchte ich hier gar nicht im Detail eingehen. Für mich sind die Größenordnungen der Haftungssummen, die ja nach oben offen sind, schockierend genug.

Zwar handelt es sich hier zunächst um Eventualverbindlichkeiten, doch Sie als selbständiger Kaufmann haben sicher eine Vorstellung davon, dass Bürgschaften im Zweifel auch einzulösen sind.

Besteht ein Finanzierungsplan für diese gigantischen Zahlungsverpflichtungen, welche Steuern werden erhöht, welche Leistungen gesenkt um im ersten Schritt (!) EUR 210 Milliarden leisten zu können?

Sind Sie der Ansicht ein Mandat zu haben, für eine solche weit reichende Entscheidung, die auch künftige Generationen betrifft ?

Wie steht es mit rechtlichen Bedenken (No Bailout Klausel, Grundgesetz)?

Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Schneider

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Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem sie Kritik an dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dessen Finanzierung äußern. Ihre Sorgen in der Schuldenkrise kann ich nachvollziehen, allerdings entsprechen einige Punkte, die Sie nennen, nicht den tatsächlichen Begebenheiten. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen grundsätzlich meine Position zur Situation in unserem gemeinsamen Währungsraum darzulegen. Zunächst möchte ich auf die Vorteile des Euro zu sprechen kommen, die für mich nach wie vor zu wenig in der Diskussion sind oder als allzu selbstverständlich angesehen werden.

Erstens gewährleistet der Euro einen stabilen Rahmen für Zahlungsvorgänge in der Eurozone. Das Wechselkursrisiko bei grenzüberschreitenden Geschäften ist somit ausgeschlossen. Dies erleichtert und fördert langfristige Investitionen für Unternehmen und stärkt das Wirtschaftwachstum, die Basis unseres Wohlstands. Die gemeinsame Währung fördert zudem den Binnenmarkt in der Eurozone. Besonders deutsche Unternehmen profitieren davon. Im vergangenen Jahr exportierten sie knapp die Hälfte ihrer Waren in die Länder der Eurozone. Bei einem Austritt aus der Eurozone, wie ihn manche verlangen, würde die deutsche Währung massiv aufwerten und deutsche Produkte im Ausland immens verteuern. Der deutsche Export und damit die Haupttriebfeder des deutschen Erfolgs würde in der Folge einbrechen.

Zweitens gewährleistet der Euro Preisstabilität, gerade für uns Deutsche ein wichtiges Gut. Die Inflationsrate seit Euroeinführung liegt bei im Durchschnitt bei circa 1,5 Prozent im Jahr, bei der D-Mark lag der durchschnittliche Wertverlust bei drei Prozent im Jahr. Der Euro ist damit entgegen der öffentlichen Meinung bislang deutlich stabiler als es die D-Mark war.

Drittens würde eine Renationalisierung der Währungen eine Renationalisierung der Politik in den Nationalstaaten nach sich ziehen, das gesamte europäische Projekt der vergangenen Jahrzehnte wäre zunichte gemacht. Die europäischen Staaten sind schon jetzt, vor allem aber in der Zukunft mit Herausforderungen konfrontiert, die sie nicht mehr alleine bewältigen können, z.B. die Gewährleistung von Sicherheit oder die Globalisierung der Handels, Informations- und Kapitalströme. Zudem hat Europa gewaltige demografische Herausforderungen zu meistern. Die Zahl der Europäer wird in den nächsten Jahrzehnten im Verhältnis zu anderen Weltregionen deutlich sinken, der Migrationsdruck wird zunehmen. Wenn jeder Staat für sich alleine steht, wird Europa früher oder später in die Bedeutungslosigkeit absinken. Auch die jetzige wirtschaftliche Stärke der europäischen Nationalstaaten wird sich vor allem im Vergleich mit China, Indien oder Brasilien relativieren. Nur wenn die europäischen Staaten gemeinsam auftreten, können sie weiterhin eine gewichtige Rolle in der Welt spielen und sie mitgestalten. Eine gemeinsame Währung leistet dazu einen großen Beitrag. Der Euro ist innerhalb von zehn Jahren zur zweitwichtigsten Währung der Welt nach dem Dollar aufgestiegen. Er ist heute eine gefragte Reservewährung und macht einen großen Anteil an den Währungsreserven vieler Staaten aus, die damit automatisch eine Interesse am Fortbestand und an der Stärke des Euro haben. Eigenständige nationalstaatliche Währungen würden außerdem sehr schnell zum Spielball von Spekulationen werden, wie es im Falle des Schweizer Franken bereits geschehen ist.

Der Euro hat auch praktische Vorteile für jeden Bürger. Er vereinfacht das Reisen in Europa und sorgt für Vergleichbarkeit von Preisen. Deutlich wird die Stärke des Euro auch daran, dass er seit seiner Einführung trotz aller Schwankungen im Vergleich zum Dollar per Saldo aufgewertet hat.

Um den Euro langfristig zu sichern ist es wichtig, die hohen Staatsverschuldungen in den Griff zu bekommen. Die Solidität der öffentlichen Haushalte in der gesamten Eurozone ist die Basis für einen langfristig stabilen Euro. Dafür müssen die Mitglieder der Währungsunion zu einer stabilen Haushaltspolitik zurückfinden, Strukturschwächen beseitigen und die vertraglichen Fundamente der Währungsunion stabilisieren. Dies wird nicht ohne Reibungen möglich sein. Der Europäische Stabilitätsmechanismus sorgt für mehr verbindliche Regeln in der Euro-Zone und hilft gezielt einzelnen Ländern, um sich langfristig zu erholen. Künftig können dabei auch vorsorgliche Maßnahmen getroffen werden, um das Übergreifen von Problemen auf andere Länder zu verhindern. Hierzu zählen z.B. die Bereitstellung vorsorglicher Kreditlinien oder die Gewährung von Darlehen an Staaten zur Refinanzierung ihrer Banken und Sparkassen.

Ich möchte nun konkret auf die von Ihnen gestellten Fragen zu sprechen kommen, dem Ganzen aber noch eine Anmerkung voranstellen. Im Internet kursiert ein Video über den ESM, das Sie möglicherweise gesehen haben und das einige Ihrer Fragen aufgeworfen hat. Das Video ist in Teilen falsch, argumentiert immer nur verkürzt und setzt auf einfache Polemik statt auf Aufklärung. Es wird der Problematik der Situation und auch der Komplexität der Stabilisierungsmechanismen in keiner Weise gerecht.

Zunächst komme ich auf das von Ihnen genannte Startkapital von 700 Milliarden Euro zu sprechen. Richtig ist, dass das Grundkapital des Stabilitätsmechanismus bei der genannten Summe liegt. Allerdings sind davon nur 80 Milliarden Euro Bareinlagen, die einem hilfsbedürftigen Land zur Verfügung gestellt werden können. Diese Finanzhilfen werden nur im Einzelfall und nur, wenn sie zur Stabilisierung der Eurozone insgesamt beitragen, gewährt. Um Hilfen zu erhalten, muss ein stark verschuldeter Staat strenge Auflagen erfüllen. Die restlichen 620 Milliarden Euro sind abrufbare Garantien. Die Annahme, dass unbegrenzte Summen nachgefordert und innerhalb von sieben Tagen erbracht werden müssten, ist falsch. Lediglich die vorliegenden Bareinlagen müssen innerhalb des genannten Zeitraumes erbracht werden können, was kein Problem darstellt.

Zweitens schreiben Sie von der Möglichkeit weiterer Kapitalforderungen in beliebiger Höhe mit einer bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsverpflichtung, die im wesentlichen von der Bundesrepublik Deutschland getätigt werden muss. Tatsächlich kann der Gouverneursrat über Änderungen beschließen. Dieser Rat setzt sich aber aus den Finanzministern der Euro-Länder zusammen, die wiederum für ihre Entscheidungen ihren nationalen Parlamenten verantwortlich sind. Somit ist es ausgeschlossen, dass ein Staat den Forderungen des ESM schutzlos ausgesetzt ist. Es gibt keinen Automatismus ohne Kontrolle. Dass Deutschland einen nicht unerheblichen Beitrag leistet, liegt in seiner wirtschaftlichen Stärke begründet um die uns die europäischen Partner im Übrigen beneiden.

Eine Immunität des ESM liegt ebenfalls nur eingeschränkt vor, denn ohne das nationale Recht könnte der ESM gar nicht zustande kommen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Eurohilfen legt zudem fest, dass die Auszahlung von Milliardenhilfen jeweils vom Haushaltsausschuss des Parlaments vorher genehmigt werden muss. Somit stärkt das Gericht die Beteiligungsrechte des Parlaments. Der Bundestag behält die notwendige Flexibilität und Kontrolle, um in Krisensituationen angemessen zu reagieren. Von einer Unangreifbarkeit des ESM kann also keine Rede sein.

Die No-Bail-out-Klausel verhindert, dass ein Mitgliedsstaat für die Schulden eines anderen Mitgliedsstaates haften muss. Damit soll unsolider Haushaltspolitik eines Einzelstaates ein Riegel vorgeschoben werden. Dieser Mechanismus ist sicher richtig, in der Vergangenheit wurde allerdings zu wenig Wert auf rechtzeitige Kontrollen gelegt. Mittlerweile stellt sich die Frage, ob eine tatsächliche Durchsetzung sinnvoll wäre, da sie einzelne Staaten aus der Währungsunion in den Bankrott treiben würde, mit Kaskadeneffekten für die gesamte Weltwirtschaft.

Ein einzelner Staat der Eurozone wie Griechenland könnte die Währungsunion ohnehin nur freiwillig verlassen, was in der momentanen Lage von einigen Kritikern des ESM befürwortet wird, aber nur zur Verschärfung der Krise führt. Der Austritt des Landes wäre nicht „über Nacht“ möglich, was notwendig wäre um schwerste Verwerfungen zu verhindern. Sie können sich vorstellen, dass allein die Ankündigung vom Austritt Griechenlands zu einem Bankenrun und Abzug sämtlichen Kapitals aus dem Land führen würde. Das Land würde vermögensmäßig ausbluten und handlungsunfähig werden. Bankenpleiten würden weitere Institute außerhalb Griechenlands infizieren und somit das gesamte Weltfinanzsystem. Die griechischen Schulden würden auch nach Austritt aus der Währungsunion bestehen bleiben und vor allem weiterhin in Euro notieren. Da die neue Währung mit Sicherheit massiv gegenüber der Gemeinschaftswährung abwerten würde, stiegen die Schulden weiter an, eine Rückzahlung wäre unmöglich, der Bankrott die Folge. Da Griechenland weiterhin Mitglied der EU ist, könnten politische und gesellschaftliche Auswirkungen nicht einfach ignoriert werden. Die Folgen eines Staatsbankrotts in einem entwickelten europäischen Land wären unkalkulierbar. Sie würden sich von der wirtschaftlichen Misere auf die politische und soziale Ebene ausweiten: ein Erstarken von politischen Extremisten, die Gefahr eines Bürgerkrieges oder das Entstehen einer Diktatur wären nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit. Ein Blick in die neuere griechische Geschichte zeigt das. Griechenland würde letztlich Gefahr laufen zum Armenhaus Europas zu werden.

Es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass diese Entwicklungen sich auf andere Länder wie Portugal oder sogar Spanien und Italien ausweiten würden, denn auch hier würde der Druck der Kapitalmärkte weiter steigen, da man bereits ein Exempel statuiert hätte. Ein Flächenbrand und eine völlige Erosion der Eurozone wären die Folge. Es ist illusorisch, dass Deutschland bei einer solchen Entwicklung keinen massiven Schaden nähme.

Ich bin deshalb zutiefst davon überzeugt, dass wir alles tun müssen, um unsere Währung dauerhaft zu sichern. Der ESM ist dabei eine zielführende Maßnahme. Solide Staatsfinanzen und eine konkurrenzfähige Wirtschaft sind zwar die besten Garanten gegen diese Krise. Gerade Reformen, die sich hier auswirken, brauchen jedoch einige Zeit, Zeit die der Markt den Staaten offensichtlich nicht mehr gibt. Deswegen muss unter dem Schutzschirm die politische Arbeit weiter gehen. Der Ausschluss einzelner Mitgliedsstaaten aus der Währungsunion oder eine Rückkehr zu den alten Währungen wäre eine sehr kurzsichtige Lösung, die nur mit den geschürten Emotionen der Menschen spielt. Es gibt keine einfachen Rezepte in einer so vernetzten Welt wie der unsrigen. Unter dem Strich sind die Alternativen zur Eurorettung kostspieliger und vor allem gefährlicher, als jetzt diese zugegebenermaßen unpopuläre Entscheidung zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Siebert MdB