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Studie empfiehlt Verbot von bezahlten Nebentätigkeiten

Es sind nur einige wenige Abgeordnete, die durch ihre Lobbyjobs das gesamte Parlament in Verruf bringen. Eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung empfiehlt nun einen radikalen Schritt: Das Verbot von bezahlten Nebentätigkeiten.  

von Martin Reyher, 02.08.2017

 

Zunächst einige Zahlen:
 

 

  • Nur 45 Abgeordnete haben in der aktuellen Legislaturperiode keinerlei veröffentlichungspflichtige Nebentätigkeiten, was umgekehrt bedeutet: 610 von 655 Volksvertreter (inkl. Ausgeschiedene und Nachrücker) gehen oder gingen zumindest einem Nebenjob nach.
  • Fast jeder dritte Bundestagsabgeordnete verfügt über Einkünfte neben dem Mandat (29,5 Prozent bzw. 193 von 655 MdBs).
  • Mit ihren Nebentätigkeiten haben die Parlamentarier seit der Bundestagswahl 2013 zwischen 26,5 Mio. und 48,7 Mio. Euro geniert, im Mittel sind dies 37,6 Mio. Euro.

Das sind die Fakten, die in der jetzt erschienen Studie „Aufstocker im Bundestag II“ nachzulesen sind. Die Ausarbeitung im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung (OBS) ist eine „Bilanz der Nebenverdienste der Abgeordneten in der 18. Wahlperiode“ und knüpft an eine Reihe früherer OBS-Studien zum Thema Lobbyismus an.

Eine zentrale Frage der aktuellen Aufstocker-Studie des Berliner Sozialwissenschaftlers Sven Osterberg ist, ob „das Mandat nicht nur neue Aufgaben für die Politiker, sondern auch neue Nebeneinkünfte und Nebentätigkeiten generiert“. Dies ist vor allem dann ein Problem, wenn es sich um Funktionen in Unternehmen handelt. Denn über Aufsichtsrats-, Beirats- oder ähnliche Posten erhalten Unternehmen einen privilegierten Zugang zu ‚ihren Abgeordneten‘.

Abgeordnete haben 257 Aufsichtsratsmandate

Warum Nebentätigkeiten von Abgeordneten ein Problem sind

Die Studie benennt die zentralen Probleme, die sich aus Nebentätigkeiten und -einkünften von Abgeordneten ergeben:

  • Nebentätigkeiten von Abgeordneten sind ein zentrales Einfallstor für Einflussnahme durch Lobbyisten.
  • Durch Nebentätigkeiten von Abgeordneten in einer kleinen Zahl von Unternehmen und Verbänden erhalten diese einen exklusiven Zugang zu politischen Informationen.
  • Diejenigen Interessengruppen, Unternehmen (und Wähler), die diesen Zugang nicht haben, werden benachteiligt.
  • Abgeordnete mit Nebeneinkünften verschaffen sich ein höheres Einkommen als ihre Kolleginnen und Kollegen, woraus sich ein eigenes Interesse am Erhalt des Status Quo entwickelt.
  • Nebenverdienste müssen einer Arbeitsleistung und einem Zeitaufwand entsprechen, die nicht für das Mandat aufgebracht werden können.

Tatsächlich macht der Autor einen „Trend zu Funktionen in Unternehmen“ aus. Während in der vorherigen Wahlperiode (2009-2013) noch 30 Prozent der neu gewählten Abgeordneten einen Unternehmensposten innehatten, sind es zum Ende dieser Legislaturperiode 40 Prozent. Bei den Volksvertretern mit vorheriger Parlamentserfahrung stieg der Anteil von 36 auf 44 Prozent. „Zumindest innerhalb der Regierungsfraktionen bekommt man den Eindruck, dass das Interesse an Funktionen in Unternehmen bzw. das Interesse der Unternehmen an den MdB zulasten der gesellschaftlichen Vernetzung geht", schreibt Osterberg. Denn bei denn GroKo-Abgeordneten sei der Anteil derer, die eine Funktion in Vereinen, Verbänden und Stiftungen ausübten, zurückgegangen.

Im Laufe dieser Wahlperiode hat die Zahl der Funktionen in den verschiedenen Unternehmen von 434 auf 554 zugenommen. Mittlerweile nehmen Bundestagsabgeordnete in 55 Unternehmen den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden ein und üben insgesamt 257 Aufsichtsratsmandate aus.

Solche Beobachtungen sind es, die laut Autor die Vermutung verdichteten, „dass das Mandat dazu genutzt wird, neue Tätigkeiten aufzunehmen und neue gesellschaftliche Funktionen wahrzunehmen. Von Vorteil scheint es zu sein, wenn man Mitglied der Regierungskoalition ist.“

Was laut Studie zu tun ist

Die Aufstocker-Studie lässt kein gutes Haar an den bestehenden Transparenzregeln. Sie seien unzulänglich, weil sie den Eindruck nicht unterbinden könnten, der Bundestag sei in der Hand von Lobbyisten und Karriereristen. Dies treffe auch nicht zu. Das tatsächliche Problem sei ein ganz anderes: Der Vertrauensverlust. „Vertrauen ist eine notwendige Voraussetzung für die Demokratie.“

In seinem Fazit unterbreitet der Autor gleich mehrere Vorschläge:

  • Es müsse endlich ein verbindliches Lobbyregister eingeführt werden.
  • Nebentätigkeiten bei dort eingetragenen Unternehmen, Verbänden und Organisationen müssten verboten werden.
  • Grundsätzlich rege man eine „massive Einschränkung respektive das generelle Verbot von bezahlten Nebentätigkeiten“ an. Etwaige Honorare könnten beispielsweise gespendet werden.

Es gehe nicht um ein Berufsverbot, sondern um die Untersagung bestimmter, einzelner Tätigkeiten, die einen klar erkennbaren Lobbybezug hätten. Berufslobbyisten und all jene, die aufgrund ihres Berufes besonderen Interessen in erheblicher Weise verpflichtet seien, sollten durch das Verbot von Nebentätigkeiten für Lobbyorganisationen zu einem Abwägungsprozess angeregt werden: Wollen sie sich voll und ganz dem Abgeordnetenmandat verschreiben – oder eben nicht.

Der Souverän könne schließlich erwarten, dass „sich die Abgeordneten als ‚Vollzeit-Professionals‘ voll und ganz ihrem Verfassungsauftrag als ‚Vertreter des gesamten Volkes‘ und nur ‚ihrem Gewissen unterworfen‘ widmen“, so der Autor. Bei einigen Volksvertretern dränge sich durch ihre Angaben jedoch der Verdacht auf, „dass sie dies nicht tun“.

Dokument

Die Studie "Aufstocker im Bundestag II" als pdf zum Download

Anmerkung: abgeordnetenwatch.de hat Daten zu der Studie beigetragen. Diese basieren auf den Selbstangaben, die die Parlamentarier auf der Internetseite des Deutschen Bundestages getätigt haben.

Lizenz: Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0.

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