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Ministerien halten Tausende Stellungnahmen von Lobbyisten unter Verschluss

Fließen Lobby-Forderungen in Gesetzentwürfe ein – unter Umständen sogar als wörtliche Zitate? Aufschluss geben könnten die schriftlichen Stellungnahmen, mit denen sich Lobbyisten ins Gesetzgebungsverfahren einbringen. Doch nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen halten die Bundesministerien Tausende dieser Papiere unter Verschluss. Eine öffentliche Kontrolle wird dadurch so gut wie unmöglich gemacht.

von Gast / gelöscht, 25.11.2016
Foto von Lobbyisten-Stellungnahmen

Wenn die Bundesregierung ein neues Gesetz auf den Weg bringt, fragt sie oftmals Lobbyisten nach ihrer Meinung – und das sogar höchst offiziell: Geregelt ist die Beteiligung von Interessenvertretern in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, und sie geschieht in einem sehr frühen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens. Zu diesem Zeitpunkt ahnen die meisten Abgeordneten noch gar nicht, dass ein Gesetz in Vorbereitung ist.

Dass Betroffene und Experten angehört werden, ist durchaus sinnvoll, schließlich haben diese oftmals eine ganz andere Sichtweise auf eine Sache als der Referent, der den Gesetzentwurf zu Papier bringt. Allerdings birgt die Beteiligung von Interessenvertretern auch Gefahren. Denn das Ziel von Lobbyisten ist, Gesetzentwürfe im eigenen Sinne zu beeinflussen, und dies versuchen sie auf ganz unterschiedliche Weise, etwa über Hintergrundgespräche mit Ministern, Referenten und Abgeordneten, aber natürlich auch über Positionspapiere, in denen sie ihre Forderungen an ein Ministerium übermitteln. Ob eine Lobbyisten-Positionen am Ende in den Regierungsentwurf einfließt, liegt letztlich in der Hand der Ministerialbeamten.

Öffentliche Kontrolle? Fast unmöglich

Gibt es konkrete Fälle, in denen die Forderungen eines Lobbyverbandes in einen Regierungsentwurf übernommen wurden – unter Umständen sogar als wörtliches Zitat? Dies ließe sich herausfinden, indem man die Stellungnahmen der Verbände mit den Gesetzentwürfen der Ministerien in verschiedenen Stadien des Gesetzgebungsverfahren abgleicht. Das Problem ist aber: Diese Dokumente bleiben in der Regel unter Verschluss.

Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen machen die allermeisten Bundesministerien die Stellungnahmen der Lobbyisten gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang öffentlich. Bei Tausenden von Gesetzentwürfen aus dieser und früheren Legislaturperioden fehlen öffentliche Informationen darüber, welche Verbände von einem Ministerium angehört wurden und welche Stellungnahmen diese abgegeben haben. Ob und inwiefern die Positionen von Interessenvertretern in einen Gesetzentwurf eingeflossen sind, lässt sich nicht feststellen – eine öffentliche Kontrolle ist deswegen so gut wie unmöglich.

Nur ein Ministerium fällt positiv auf

Wir haben alle Bundesministerien sowie das Bundeskanzleramt schriftlich gefragt, ob diese die Stellungnahmen von Verbänden und Unternehmen sowie die Referenten- und Regierungsentwürfe auf ihrer Homepage zugänglich machen. Das Ergebnis: Von einer Veröffentlichung wollte so gut wie kein Ministerium etwas wissen, wenn überhaupt werden Dokumente nur in Einzelfällen online gestellt. Gegenüber abgeordnetenwatch.de beriefen sich die meisten Ministerien auf die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). In § 48 Absatz 3 heißt es: „Über die Einstellung des Gesetzentwurfs in das Intranet der Bundesregierung oder in das Internet entscheidet das federführende Bundesministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und im Benehmen mit den übrigen beteiligten Bundesministerien.“ Auf gut Deutsch: Wer nicht will, der muss auch nichts veröffentlichen.

+++ Wie halten es die Bundesministerien mit Transparenz im Gesetzgebungsverfahren? Welches Ressort Dokumente veröffentlicht, erfahren Sie in dieser Übersicht (pdf) +++

Wie halten es die Bundesministerien mit Transparenz im Gesetzgebungsverfahren?
(Fortsetzung des Textes weiter unten)

Lediglich ein Ressort fällt positiv auf, es ist das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Das Haus von Minister Heiko Maas stellt laut eigenen Angaben seit dem 22. April 2016 “Stellungnahmen kommunaler, beteiligter Fachkreise und Verbände sowie anderer amtlich nicht beteiligter Stellen oder sonstiger Personen zu Referentenentwürfen unter www.bmjv.de/transparenz ein”, wie eine Ministeriumssprecherin auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage mitteilte. Ausnahmen gebe es nur, wenn der Veröffentlichung widersprochen wurde. “In diesem Fall würde auf den Internetseiten vermerkt, dass eine Stellungnahme eingereicht wurde und wer diese verfasst hat.” Bei einer Stichprobe sind wir auf keinen derartigen Fall gestoßen.

Positionspapiere von BDI, Siemens, WWF und der Autolobby

Insgesamt werden im Transparenzportal des Justizministeriums 209 Stellungnahmen zu elf Gesetzentwürfen aufgeführt. Ein Beispiel: Zur geplanten Corporate Social Responsibility-Richtlinie (CSR-Richtlinie) finden sich sowohl die erste Fassung des Gesetzentwurfs (Referentenentwurf) und der spätere Regierungsentwurf als auch die Stellungnahmen von 55 Interessenorganisationen und Unternehmen. Mit der Richtlinie will die Bundesregierung Unternehmen zu verbindlichen Angaben verpflichten, was sie beispielsweise in Sachen Korruptionsbekämpfung, Menschenrechte und Umweltschutz unternehmen. Hierzu haben u.a. der Bundesverband der Deutschen Industrie, der WWF, der Auto-Lobbyverband VDA und der Siemens-Konzern Positionspapiere mit ihren Forderungen ans Ministerium geschickt. Allerdings könnte auch das Justizministerium noch weitaus transparenter sein. Was fehlt ist zum Beispiel eine eindeutige Markierung, welche inhaltlichen Änderungen an dem CSR-Gesetzesentwurf nach Anhörung der Interessenvertreter vorgenommen wurden – und welche Argumente aus den Stellungnahmen und weiteren Beratungen berücksichtigt wurden (sog. "legislativer Fußabdruck").

Tausende Stellungnahmen unter Verschluss – ein Rechenbeispiel

Doch auch wenn das Justizministerium mit gutem Beispiel vorangeht und die Stellungnahmen der Interessenvertreter öffentlich macht: alle übrigen Ressorts halten zusammen mehrere tausend Lobby-Papiere unter Verschluss. Ein kleines Rechenbeispiel: Zu den elf veröffentlichten Gesetzentwürfen des Justizministeriums gingen im Schnitt 20 Stellungnahmen von Interessenvertretern ein. Hochgerechnet auf die 137 Regierungsentwürfe aus diesem Jahr wären es über 2.700 Positionspapiere allein seit Januar 2016. Bezogen auf die laufende Legislaturperiode sprechen wir von etwa 7.500 Stellungnahmen.

Diese Zahlen veranschaulichen das Ausmaß des Transparenzdefizits. Politiker und Ministerien, die mit gutem Beispiel vorangehen, sind wichtig. Noch wichtiger wären allerdings verbindliche Transparenzregeln für alle. Deswegen braucht es endlich ein verbindliches und öffentliches Lobbyregister, in dem Interessenvertreter mitteilen müssen, auf welche Gesetzesvorhaben sie Einfluss nehmen. Zeichnen Sie unsere Petition Geheimen Lobbyismus stoppen - für ein verbindliches Lobbyregister!

Mitarbeit: Martin Reyher

Lizenz: Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0.

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