So arbeiten Lobbyist*innen in Deutschland

Lobbyist*innen haben nicht den besten Ruf. Das liegt auch daran, dass die Öffentlichkeit nur schwer nachvollziehen kann, was sie machen. Doch wie arbeiten Lobbyakteur*innen in Deutschland wirklich? abgeordnetenwatch.de hat mit mehreren Interessenvertreter*innen über ihre politische Einflussnahme gesprochen - und über die Forderung nach mehr Transparenz.

von Sabrina Winter, 09.05.2019
Wie arbeiten Lobbyisten

Der Arbeitstag beginnt mit einem dampfenden Kaffee. Ein*e Lobbyist*in und ein*e Politiker*in stehen am Berliner Spreeufer, schlürfen aus ihren Pappbecher und sprechen über einen neuen Gesetzesentwurf. Danach geht der*die Politiker*in in den Bundestag und der*die Lobbyist*in ins Büro. Niemand erfährt, dass dieses Treffen stattgefunden hat.

So oder ähnlich stellen sich viele die Arbeit von Lobbyist*innen vor. Aber wie ist es wirklich? abgeordentenwatch.de hat mit mehreren Interessenvertreter*innen aus verschiedenen Branchen gesprochen, unter anderem aus den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Rüstung und Umwelt. Rufen sie im Ministerium an, um einen Gesetzentwurf zu besprechen? Hilft es, einen Brief an den*die Minister*in zu schreiben? Und was halten die Interessenvertreter*innen von einem Lobbyregister?

„Eine Community, die sich gegenseitig braucht“

Wer denkt, es seien stets die Lobbyist*innen, die auf Abgeordnete zugehen, der irrt. Im Gegenteil: Nach Aussage mehrerer Lobbyist*innen suchen nicht selten Politiker*innen den Kontakt zu ihnen. „Es ist eine Community, die sich gegenseitig braucht“, sagt Hans Christoph Atzpodien, Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Der Verband vertritt unter anderem die Interessen der Rüstungskonzerne Heckler & Koch und Rheinmetall. „Abgeordnete finden es richtig und wichtig, von Interessenvertretern angesprochen zu werden. Denn wir tragen zur Meinungsbildung von Abgeordneten bei.“

Die Arbeit von Rüstungslobbyist*innen unterscheidet sich in einem Punkt von der in den meisten anderen Branchen. Denn im Bereich der Verteidigung teilen Fachpolitiker und Wirtschaft häufig die gleichen Ziele: Beide Seiten wollen mehr Geld für die Ausstattung der Bundeswehr. Der BDSV-Geschäftsführer Atzpodien sagt, sein Verband vertrete teilweise die gleichen Interessen wie etwa das Verteidigungsministerium, etwa beim Wehretat. „Hier will sowohl das Ministerium als auch der BDSV, dass genügend Budget für die Beschaffung von Industriegütern zur Verfügung steht. Dies gilt ungeachtet dessen, dass wir im Beschaffungsprozess zwei unterschiedliche Marktseiten repräsentieren.“ Im Klartext: Die Regierung will Waffen günstig einkaufen, die Industrie hingegen teuer verkaufen.

Bei ihrer Arbeit setzen Lobbyist*innen zum Teil da an, wo man es vermuten würde: Für die Rüstungslobby sind die verteidigungspolitischen Sprecher*innen der Fraktionen interessant, Autolobbyist*innen sprechen Abgeordnete des Verkehrsausschusses an – und die Abgeordneten aus Baden-Württemberg und Niedersachsen. Denn in diesen Ländern ist die Automobilindustrie stark.

Abgeordnete als Lobbyist*innen?

In einigen Fällen haben Lobbyverbände ihre eigenen Mitglieder im Bundestag sitzen – als Abgeordnete in einer Doppelrolle. So sind mehrere Parlamentarier*innen, die im Nebenberuf als Landwirt*innen tätig sind, Funktionäre im Bauernverband. Laut einer Studie der Universität Bremen zum Lobbyeinfluss in der Landwirtschaftspolitik haben über die Hälfte der Unionsmitglieder im Agrarausschuss des Bundestags einen Posten im Bauernverband inne.

Ein prominentes Beispiel ist Johannes Röring (CDU). Er sitzt im Präsidium des Bauernverbandes und hat als Mitglied des Landwirtschaftsausschusses einen privilegierten Zugang zu Informationen, etwa über bevorstehende Gesetzentwürfe. Da stellt sich die Frage, ob der Interessenverband durch Mitglieder wie Röring schneller an Informationen kommt. Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband verneint das. Vorteile eröffneten sich aber schon: „Später im politischen Prozess, etwa vor Abstimmungen im Bundestag, bietet es sich an, Landwirte im Parlament direkt anzusprechen.“ Es gebe aber auch Landwirt*innen, die eine kritische Haltung zum Bauernverband einnehmen.

Der altmodische Brief

Auch in Zeiten von Smartphones und E-Mails kommt dem altmodischen Brief noch immer eine besondere Bedeutung zu. Denn liegt das Schreiben erst einmal auf dem Tisch eines*r Minister*in, muss es bearbeitet werden. Darum sehen Verbände und Vereine darin ein gutes Instrument – vor allem wenn sie sich an die Führungsebene im Ministerium wenden. Mehrere Gesprächspartner*innen bestätigen, dass ein formaler Brief nachhaltiger sei als ein Telefonat oder eine E-Mail. Nur selten beantworten die Minister*innen solche Briefe persönlich. Sie werden an untere Ministeriumsebenen weitergereicht. Dann, so erzählt es ein Gesprächspartner, sei es gute Praxis, bei dem jeweiligen Referenten anzurufen und das Schreiben anzukündigen: „Du, da kommt übrigens ein Brief von uns. Um den musst du dich wahrscheinlich bald kümmern.“ Das wird als kollegiale Höflichkeit verstanden.

Eine andere Vorgehensweise sieht so aus: Ein Lobbyverein verschickt E-Mails an alle Fraktionen und verbindet das mit einem Gesprächsangebot zu dem Thema. Dann wartet er darauf, welche*r Politiker*in sich meldet und mehr dazu wissen will. Und schon ist man im Gespräch.

Dreimal täglich im Ministerium anrufen

Veranstaltungen von Verbänden und Unternehmen wie Parlamentarische Abende dienen dazu, Kontakte zu Entscheidungsträger*innen zu knüpfen und Informationen streuen. Dann kommen Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Wirtschaftsvertreter*innen beim Buffet zusammen. Manche Lobbygruppen legen dabei Wert auf ein Programm mit vielen Fachinformationen. Anderen geht es eher darum, Kontakte zu erhalten oder aufzubauen. Inhalte werden dann auf Fachtagungen, Podiumsdiskussionen oder Infoveranstaltungen besprochen, die Verbände oder NGOs organisieren. Dabei sei es wichtig, kontinuierlich Präsenz zu zeigen und als kompetente*r Ansprechpartner*in wahrgenommen zu werden, erzählt ein Interessenvertreter.

Doch die Initiative geht nicht immer von den Lobbygruppen selbst aus. Bei Bedarf laden die Ministerien zu offiziellen oder inoffiziellen Gesprächen ein. Wie eng der Kontakt zwischen Ministerien und Lobby-Vertreter*innen ist, hängt davon ab, in welcher Phase die Gesetzgebung gerade steckt. In heißen Phasen telefoniere man dreimal am Tag mit dem Ministerium, dann wieder monatelang gar nicht, berichten mehrere Lobbyist*innen.

Meist setzen Interessenvertreter*innen auf den unteren Ministeriumsebenen an. Dort sind Fachreferate angesiedelt. Die Referent*innen setzen sich inhaltlich mit Themen auseinander und bringen den ersten Entwurf eines Gesetzes zu Papier. Damit sitzen in den Referaten wichtige Kontaktpersonen für Lobbyist*innen. Denn über technische Details spricht man nicht mit dem*der Minister*in, sondern mit ihren Mitarbeiter*innen. Je weiter ein Gesetzesentwurf Form annimmt, desto politischer werden die Gespräche. Dann wenden sich Lobbyist*innen an höhere Ebenen, bis hinauf zum*r Staatssekretär*in oder dem*der Minister*in.

Zufällige Begegnungen

Während sich Lobbyist*innen und Politiker*innen in Berlin auch mal zufällig begegnen, müsse man in Brüssel seine Besuche genauer planen, erzählt ein Gesprächspartner. Denn in der europäischen Hauptstadt gibt es noch einmal deutlich mehr Interessenvertreter*innen und politische Institutionen. Auch weil inzwischen immer mehr Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen werden, haben viele Verbände und Unternehmen ein eigenes Lobby-Büro in Brüssel oder sind in einem europäischen Dachverband organisiert.

Eine Gesprächspartnerin berichtet, dass die Arbeit der Automobilindustrie in Brüssel nach dem Abgas-Skandal viel schwieriger geworden sei. Denn dort sei der Imageverlust der Branche deutlicher zu spüren als in Deutschland.

Angst vor strengen Regeln

Bleibt noch das Thema Transparenz. Wer annimmt, Interessenvertreter*innen hätten grundsätzlich etwas gegen Offenheit, liegt falsch. Einige sprechen sich für ein Lobbyregister aus, in dem sie ihre Kontakte mit Politiker*innen öffentlich dokumentieren müssten. Auch das Kaffee-Treffen an der Spree müsste dann aufgeschrieben werden. Allerdings sehen andere in der Dokumentationspflicht ein „Bürokratiemonster“, das sie am liebsten verhindern wollen. In den Gesprächen äußern sie Bedenken, dass bestimmte Themen öffentlich zu sehr hochkochen oder es den Wettbewerb verzerrt, wenn ihre Treffen mit Politiker*innen öffentlich würden.

In der Bevölkerung ist die Meinung zu mehr Lobbytransparenz dagegen ziemlich eindeutig, wie eine aktuelle Umfrage von infratest dimap im Auftrag von abgeordnetewatch.de zeigt. 77 Prozent der Befragten wollen demnach die Veröffentlichung von Treffen zwischen Politik und Interessenvertreter*innen in einem Lobbyregister.

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