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Warum Ronald Pofalla nicht beim "Jugendnetzwerk Friedrichshain-Kreuzberg" anheuert

Politiker empören sich über ein angebliches "Berufsverbot", weil abgeordnetenwatch.de und andere eine mehrjährige Karenzzeit für Ronald Pofalla fordern. Doch das ist absurd, denn dem Kanzleramtschef a.D. ständen auch weiterhin viele Türen offen. Zum Beispiel beim Jugendnetzwerk Friedrichshain-Kreuzberg. - Plädoyer für ein Abkühlbecken für Spitzenpolitiker.

von Martin Reyher, 07.01.2014

Beim "Jugendnetzwerk Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg gGmbH" ist dieser Tage eine Stelle frei. Gesucht wird ein Sozialpädagoge zur Krisenintervention innerhalb der Familie, der über ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeit verfügt. Geboten werden: flexible Arbeitszeiten, ein am öffentlichen Dienst orientiertes Gehalt und die Möglichkeit, in hohem Maß selbständig zu arbeiten.

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Kurzum: Es wäre ein perfektes Betätigungsfeld für den derzeit arbeitslosen Dipl.-Sozialpädagogen Ronald Pofalla. Besonders die flexiblen Arbeitszeiten kämen ihm zupass, schließlich hat Pofalla sein Ausscheiden als Chef des Bundeskanzleramts damit begründet, dass er sich künftig mehr um seine Familie kümmern will.

 

Foto: Pofalla

Doch Ronald Pofalla steht für die vakante Stelle nicht zur Verfügung, er liebäugelt mit einem anderen Job: Die Deutsche Bahn will ihm einen gut dotierten Vorstandsposten für "Politik-Kontakte" einrichten.

Cheflobbyist statt Sozialarbeiter - das ist das Problem.

Niemand hätte von der beruflichen Neuorientierung des Kanzleramtsministers a.D. Notiz genommen, würde dieser sich künftig um die Krisenintervention in schwierigen Familien kümmern. Doch Ronald Pofalla zieht es vor, seinen Arbeitsplatz vom Bundeskanzleramt in die wenige Hundert Meter entfernte Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz zu verlegen. Finanzielle Einbußen muss er auch nicht hinnehmen, im Gegenteil: Der Bahn ist Pofallas gut gefülltes Adressbuch mehr als eine Millionen Euro pro Jahr wert.

Ronald Pofalla ist nur der jüngste Fall in einer Reihe von anstößigen Seitenwechseln. Eckart von Klaeden (Daimler), Roland Koch (Bilfinger Berger, UBS), Walter Riester (Union Investment) - die Organisation Lobbycontrol hat eine imposante Liste mit prominenten und weniger prominenten Politikern zusammengetragen, die aus dem Zentrum der Macht schnurstracks in eine Unternehmens- oder Verbandszentrale gewechselt sind. Und mit jedem neuen Fall verfestigt sich der Eindruck, dass sich Großkonzerne politischen Einfluss kaufen (können). Millionengehälter für ausgeschiedene Spitzenpolitiker sind in den seltensten Fällen Entlohnung für fachliche Kompetenz, sondern für das lange Jahre aufgebaute Beziehungsnetzwerk, das der Politiker mit zu seinem neuen Arbeitgeber bringt.

Wenn sich Einzelinteressen von finanzstarken Unternehmen durchsetzen, schürt das den Vertrauensverlust in unsere Demokratie (da spielt es auch keine Rolle, ob das Unternehmen - wie die Deutsche Bahn - sich im Staatsbesitz befindet). Befördert wird dieser Prozess durch die Tatenlosigkeit der Regierenden. Weder Schwarz-Gelb noch die Große Koalition der Jahre 2005-2009 oder gar Rot-Grün haben den Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft gesetzlich verboten. Politiker von SPD und Grünen machten sogar im besonderen Maße von der Drehtür Gebrauch, die sie vom Regierungsamt in die lukrativen Aufsichtsräte und Vorstandsetagen beförderte. Der frühere Wirtschaftsminister Werner Müller beispielsweise wurde kurz nach seinem Ausscheiden Chef der RAG (ehemals Ruhrkohle AG). Rezzo Schlauch, grüner Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, heuerte als Beiratsmitglied bei EnBW an. Europa-Staatsminister Hans Martin Bury (SPD) kam als Managing Director bei Lehman Brothers unter. Und natürlich Otto Schily (SAFE ID Solutions AG und Byometric Systems AG), Gerhard Schröder (Nordstream AG/Gazprom) und Wolfgang Clement (RWE) - das sind nur die bekanntesten Seitenwechsler aus der rot-grünen Regierungszeit.

Was die Große Koalition nun nach Jahren des allgemeinen Nichtstuns endlich anpacken muss, ist ein Gesetz zur Einführung einer Karenzzeit, also ein Abkühlbecken für ausscheidende Regierungsmitglieder. abgeordnetenwatch.de fordert seit langem eine Zwangspause von mindestens drei Jahren. Natürlich dürfen Ronald Pofalla keine Steine in den Weg gelegt werden, wenn er vom Kanzleramt zum Jugendnetzwerk Friedrichshain-Kreuzberg wechseln will. Deswegen soll das Gesetz auch nur für Regierungsmitglieder gelten, die in ihrer neuen Funktion Kontakt mit der Politik haben. Es ist daher reichlich absurd, wenn CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs und andere (z.B. der frühere FDP-Generalsekretär Patrick Döring im Fall von Klaeden) mit dem Schlagwort "Berufsverbot" gegen ein Gesetz Front machen, das für ein wenig politische Hygiene in unserer Demokratie sorgen soll.

abgeordnetenwatch.de wird die GroKo beim Wort nehmen. Im Koalitionsvertrag heißt es auf Seite 152:

Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an.

Aus "angemessener Regelung" darf allerdings kein zahnloses Placebo-Gesetz werden. Darauf werden wir drängen.

Foto Ronald Pofalla: CDU/slomifoto.de / Wikipedia / CC BY-SA 3.0 DE

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