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Koalition bremst Transparenzregeln bei Nebeneinkünften aus

Vor Ostern waren sich alle Parteien einig: Die Nebeneinkünfte unserer Volksvertreter sollten transparenter werden. Doch geschehen ist bis heute nichts. Die Koalitionsfraktionen treten kräftig auf die Bremse.

von Martin Reyher, 29.11.2011

Es kommt nicht oft vor, dass Politiker sich um Transparenz in eigener Sache bemühen, und schon gar nicht, wenn es um ihre Nebeneinkünfte geht. Doch kurz vor Ostern waren sich plötzlich alle Parteien einig: Bundestagsabgeordnete sollten künftig ihre hohen Einkünfte aus Aufsichtsratsposten, Beratertätigkeiten oder Honorarvorträgen sehr viel genauer angeben müssen als bisher.

Geschehen ist seitdem: nichts.

Darüber freuen können sich nun die Spitzenverdiener. Denn so lange kein neues Gesetz beschlossen ist, ändert sich für sie erst einmal gar nichts. Das ist gut für einige Abgeordnete, aber schlecht für uns Bürger.

Warum? - Hierzu drei Beispiele:

Peter Wichtel, Karl Lauterbach und Peer Steinbrück, aber auch andere Abgeordnete mit hohen Nebeneinkünften, müssen auf der Homepage des Bundestags derzeit lediglich erklären, dass ihr Verdienst "über 7.000 Euro" liegt, dabei streichen sie in Wirklichkeit weitaus mehr ein. Das Problem ist nicht in erster Linie die Höhe der Einkünfte, sondern die fehlende Transparenz. Durch die Einführung neuer Veröffentlichungsregeln, wie vor Ostern vereinbart, käme man der Wahrheit sehr viel näher:

Wer zusätzlich zu seiner Abgeordnetendiät viel verdient, so der Plan, bei dem soll die Öffentlichkeit das auch erfahren. Dies war das Anliegen von SPD, Grünen und Linken, in deren Reihen es traditionell wenige Spitzenverdiener gibt, Karl Lauterbach und Peer Steinbrück einmal ausgenommen. Am Ende verständigten sich Koalition und Opposition darauf, das bisherige Drei-Stufen-Modell durch ein sieben stufiges System mit der Höchststufe 150.000 Euro zu ersetzen (s. rechte Grafik).

Im Gegenzug sollten jedoch alle Einkünfte unter 10.000 Euro (jährlich) von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden, was offenbar CDU/CSU und FDP am Herzen lag. Das wäre eine deutliche Verschlechterung des Ist-Zustands, denn aktuell können nur Einnahmen unter 1.000 Euro (monatlich) vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden.

Genau dieser Punkt sorgt seit Monaten für Streit - und das hat seinen Grund. Denn in Wirklichkeit verbirgt sich hinter dieser Regelung eine sperrangelweit geöffnete Hintertür für Lobbyisten. Wer zum Beispiel als Unternehmensberater von mehreren Klienten ein Honorar von jeweils unter 10.000 Euro bekommt, müsste dies künftig gar nicht mehr veröffentlichen. Theoretisch könnte also ein Abgeordneter durch die Beratung von mehreren Unternehmen beispielsweise aus der Energie- oder Versicherungsbranche hunderttausende Euro einstreichen, ohne dass es jemand mitbekäme (mehr in unserem Blogeintrag "Formulierungsfehler oder nicht durchdachter Schnellschuss? Verwirrung um Transparenz bei Nebeneinkünften").

Groß war deswegen die Empörung, als im April die Transparenzorganisation Lobbycontrol dieses Schlupfloch aufdeckte. Mehr als 50.000 Menschen unterschrieben gegen die „Verschleierung von Nebeneinkünften“. Glaubt man den Politikern, war die Aufregung vollkommen unnötig. Man habe nur etwas ungeschickt formuliert, selbstverständlich seien sich alle Beteiligten darin einig, dass ein Bundestagsabgeordneter grundsätzlich offenlegen muss, wenn seine Einkünfte über 10.000 Euro liegen, egal ob sie aus einer Quelle stammen oder aus mehren. So schrieb es zum Beispiel Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier in einem Blogartikel mit der Überschrift "Nebeneinkünfte werden transparent und unmissverständlich geregelt werden".

Es wäre in den letzten sieben Monaten ein Leichtes für Union, FDP, SPD, Linke und Grüne gewesen, dies ein für alle mal klarzustellen, z.B. mit dem Satz:

Einkünfte von verschiedenen Auftraggebern, die in ihrer Summe den Betrag von 10.000 Euro pro Jahr überschreiten, sind veröffentlichungspflichtig.

Aber bis heute existiert eine solche Klarstellung nicht. Es gibt eigentlich nur eine plausible Erklärung dafür, warum die vor Ostern vereinbarten Veröffentlichungspflichten noch immer nicht beschlossen sind: Das im Kleingedruckten aufgeführte Schlupfloch für Lobbyisten war kein Versehen, sondern Vorsatz. (Am Rande muss man natürlich auch die Frage stellen, warum es nicht die Opposition war, die wegen dieser „Schummel-Regel“ (SPIEGEL ONLINE) öffentlich Alarm schlug, sondern eine zivilgesellschaftliche Organisation wie Lobbycontrol. War SPD, Grünen und Linke dies nicht aufgefallen, oder haben sie es bereitwillig hingenommen? Aufklärung könnte das Protokoll der internen Sitzung vom 14. April 2011 liefern, das aber - höchst ungewöhnlich - niemand herausgeben will.)

Wenn Union und FDP das Hintertürchen tatsächlich in den Text hineinschmuggeln wollten, dann ist das Gerede vom „Formulierungsfehler“ ein dreistes Ablenkungsmanöver. Dass die Verhandlungen derzeit nicht wegen des Feinschliffs an einzelnen Textpassagen stocken, sondern aufgrund des Widerstands aus den Koalitionsfraktionen, legen auch die Antworten der Parlamentarischen Geschäftsführer nahe, die abgeordnetenwatch.de in den vergangenen Tagen befragt hat:

Thomas Oppermann, SPD:

Wie Sie sich vorstellen können, sind die Verhandlungen mit CDU/CSU und FDP schwierig.

Dagmar Enkelmann, Die Linke, auf die Frage, warum es immer noch keine Einigung gibt:

Die Frage müssten Sie den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen in der Rechtsstellungskommission stellen, vor allem der Koalition.

Volker Beck von den Grünen auf dieselbe Frage:

Fragen Sie bitte bei CDU/CSU und FDP nach. An der Antwort wäre ich auch interessiert.

Die Fraktionsgeschäftsführer von Schwarz-Gelb könnten in ihren Antworten den Eindruck korrigieren, sie seien es, die bei den Verhandlungen über die Veröffentlichungsregeln mit beiden Füßen auf die Bremse treten, doch sie tun es nicht. Peter Altmaier von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion antwortete auf unsere Fragen lediglich:

Die Fraktionen sind weiter sehr intensiv bemüht, ein Ergebnis im Konsens zu erreichen. Ich bitte angesichts dessen um Verständnis, wenn ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung in nichtöffentlichen Beratungssitzungen nicht mit öffentlichen Stellungnahmen vorgreifen möchte.

Erstaunlich offen ist dagegen die Antwort von FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen:

In meiner Fraktion hat es … erhebliche Einwände gegen die vorgeschlagene Lösung gegeben.

Noch im Mai diesen Jahres hatte van Essen auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage erklärt:

Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass sich die FDP-Bundestagsfraktion einer gemeinsamen Lösung nicht verschließen wird.

Aus Sicht von Union und FDP könnte eine Lösung des Problems so aussehen, dass man die Transparenzregeln heimlich still und leise in der sog. Rechtsstellungskommission des Ältestenrats beerdigt, wo das Thema seit April bereits vier Mal auf der Tagesordnung stand. Dafür müsste aber die Opposition stillhalten. Nach jetzigem Stand wäre es eine Überraschung, wenn es am Ende mehr Transparenz und keine Hintertürchen bei der Veröffentlichung von Nebeneinkünften geben würde.

 

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Hinweis: Nach den Plänen des Ältestenrats sollen Regierungsmitglieder, also die Kanzlerin, ihre Minister und die Parlamentarischen Staatssekretäre, ihre Einkünfte für diese Tätigkeiten künftig nicht mehr angeben müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

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