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Formulierungsfehler oder nicht durchdachter Schnellschuss? Verwirrung um Transparenz bei Nebeneinkünften

Eigentlich war alles klar: Der Bundestag wollte die Nebeneinkünfte seiner Abgeordneten neu regeln. Transparenter sollte es werden, ein Vorschlag lag auch schon auf dem Tisch (s. Grafik) und sollte an diesem Donnerstag im zuständigen Bundestagsausschuss beraten werden. Doch inzwischen herrscht in Berlin vor allem eines: große Verwirrung. Wen immer man fragt - plötzlich weiß niemand mehr, was genau vor Ostern in der Rechtsstellungskommission des Ältestenrats vereinbart wurde, und welche Partei eigentlich was will bzw. schon immer gewollt haben will. Denn dazu gibt es zwei gegensätzliche Versionen.

von Martin Reyher, 10.05.2011

 

Eigentlich war alles klar: Der Bundestag wollte die Nebeneinkünfte seiner Abgeordneten neu regeln. Transparenter sollte es werden, ein Vorschlag lag auch schon auf dem Tisch (s. Grafik) und sollte an diesem Donnerstag im zuständigen Bundestagsausschuss beraten werden. Doch inzwischen herrscht in Berlin vor allem eines: große Verwirrung. Wen immer man fragt - plötzlich weiß niemand mehr, was genau vor Ostern in der Rechtsstellungskommission des Ältestenrats vereinbart wurde, und welche Partei eigentlich was will bzw. schon immer gewollt haben will. Denn dazu gibt es zwei gegensätzliche Versionen.

Version Nummer 1 geht so: Natürlich sind CDU/CSU, FDP und SPD schon immer dafür gewesen, dass künftig alle Nebeneinkünfte eines Bundestagsabgeordneten veröffentlicht werden müssen, sofern sie in der Gesamtsumme 10.000 Euro pro Jahr übersteigen. Ein SPD-Sprecher bestätigte diese Position seiner Partei heute Morgen noch einmal gegenüber abgeordnetenwatch.de. Und auch Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, teilte auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage mit: „Es soll sich um die Summe aller Nebeneinkünfte handeln.“ Ähnlich äußerte sich laut eines Presseberichts auch Jörg van Essen von der FDP. Das Wörtchen "alle" soll im Laufe dieser Geschichte noch wichtig werden, denn es kommt auf Kleinigkeiten an, die aber ziemliche Auswirkungen haben können.

Wer die Diskussion um eine Neuregelung der Nebeneinkünfte in den vergangenen Tagen und Wochen genau verfolgt hat, merkt schnell, dass hier etwas nicht stimmen kann.

Anruf beim Pressereferat des Deutschen Bundestags. Frage: Greift die Veröffentlichungspflicht künftig dann, wenn die Summe aller Nebeneinkünfte eines Abgeordneten über 10.000 Euro pro Jahr liegen? So zumindest hatten es ja CDU/CSU, FDP und SPD dargestellt. Der Bundestagssprecher erklärt, dass dies so nicht zutreffe. Vielmehr bestätigt er Version Nummer 2, über die abgeordnetenwatch.de vergangenen Montag berichtet hatte: Die Veröffentlichungspflicht soll nur dann greifen, wenn ein Abgeordneter mehrere Einkünfte eines einzelnen Auftraggebers mit einer Gesamtsumme von 10.000 Euro pro Jahr erhält. Wer dagegen für Vorträge oder andere Tätigkeiten von mehreren Unternehmen jeweils unter 10.000 Euro Honorar bekommt, braucht diese künftig nicht mehr zu veröffentlichen:

 

Diese Version erzählt also heute Mittag der Bundestagssprecher, und so soll es nach Informationen von abgeordnetenwatch.de auch in einem internen Protokoll der Rechtsstellungskommission stehen, die die Empfehlung zur Neuregelung von Nebeneinkünften formuliert hat. Kurzum: So hatte es die Rechtsstellungskommission vor Ostern offensichtlich vereinbart, in jedem Fall wurde es so - bis gestern - unwidersprochen kommuniziert.

Allerdings will von dieser Version nun niemand mehr etwas wissen. Denn in der Zwischenzeit hat ein Transparenzbündnis aus Lobbycontrol, Transparency International, Campact und Mehr Demokratie mit einer Kampagne gegen die Pläne mächtig Wind gemacht und mobilisiert gerade mit einer Unterschriftenaktion gegen die sog. Bagatellgrenze von 10.000 Euro. Diese sei eine „Mogelpackung“, weil zahlreiche Einkünfte, und damit mögliche Abhängigkeiten, im Gegensatz zu heute künftig nicht mehr veröffentlicht werden müssten. Derzeit gibt es eine Veröffentlichungsgrenze von 1.000 Euro.

Dass die ursprüngliche, im Ältestenrat vereinbarte, Empfehlung zu der 10.000 Euro-Grenze (Version 2) vielleicht doch nicht der Transparenz dient, schwant inzwischen auch dem ein oder anderen im Bundestag. "Hier wurde möglicherweise falsch kommuniziert", heißt es. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen erklärt nun, dass es sich um einen "Fehler in der Formulierung" gehandelt habe. Und die taz legt Peter Altmaier heute das Wort "Missverständnis" in den Mund. Seine "ursprüngliche Intention" sei eine ganz andere gewesen. Altmaier: "Die Bagatellgrenze von 10.000 Euro war als Jahresgesamtsumme [für alle Einkünfte] gedacht." Mit anderen Worten: Altmaier und van Essen waren eigentlich noch nie für jene Version, die bis gestern unisono von allen Parteien und der Pressestelle des Deutschen Bundestag kommuniziert wurde. Auch Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, distanzierte sich heute eilig in einer per Mail verbreiteten Mitteilung von den ursprünglichen Plänen:

Ich begrüße, dass jetzt endlich auch die Union zu mehr Transparenz bereit ist. Mit der SPD wird es keine Regelung geben, die eine Verschleierung der Nebeneinkünfte zulässt. Auch Beträge, die kleiner sind als €10.000 müssen offen gelegt werden, wenn die Gesamtsumme der Einkünfte eines Abgeordneten €10.000 im Jahr übersteigt. Es darf keine Umgehungsmöglichkeiten durch Stückelung von Beträgen geben.

Doch es stellt sich die Frage, warum bislang in der Öffentlichkeit immer Version 2 verbreitet wurde und bis gestern im Bundestag niemand - auch Grüne und Linke nicht - die Reißleine zog und öffentlich erklärte: So, wie es jetzt überall dargestellt wird, wollten wir die Änderung bei den Transparenzregeln gar nicht?

Dies ist eine der Merkwürdigkeiten. Und es gibt noch eine weitere, eine ganz praktische:

Die Forderung, die Summe aller Nebeneinkünfte über 10.000 Euro zu veröffentlichen, passt gar nicht in ein Stufensystem, so wie es dem Ältestenrat vorschwebt. Danach soll es in Zukunft sieben Stufen geben, mit denen die Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte deklarieren. Stufe 1 entspräche dann Einkünften zwischen 10.000 und 20.000 Euro, Stufe 2 20.000 - 30.000 Euro usw. Die Obergrenze in diesem System läge bei 150.000 Euro (Stufe 7), darüber hinaus müssten dann keine genaueren Angaben mehr gemacht werden.

Wie aber soll die Summe aller Einkünfte in dieses Korsett gezwängt werden, wenn ein Abgeordnete für mehrere Unternehmen tätig ist? Es gäbe die Möglichkeit, jedes unter 10.000 Euro liegende Einzelhonorar auch einzeln zu veröffentlichen - doch für Einkünfte unter 10.000 Euro ist ja gerade keine Veröffentlichungsstufe vorgesehen. Oder man könnte, das wäre Möglichkeit zwei, die Gesamtsumme der Einkünfte mit dem Stufensystem erfassen, etwa so:

„27.000 Euro für Vorträge: Stufe 2“ (z.B. bei drei Vorträgen à 9.000 Euro bei drei verschiedenen Unternehmen)

Das allerdings wäre ein weiteres und ziemlich plumpes Verschleierungsmannöver. Denn dann würde niemand erfahren, von welchen Unternehmen ein Abgeordneter seine Einkünfte eigentlich erhält. Noch dramatischer wäre es, wenn es nicht um Honorarvorträge ginge, sondern um Bezüge, die ein Abgeordneter aus seiner Tätigkeit als freier Berater von Unternehmen bezieht.

Auch ein anderer Aspekt ist offenbar nicht geklärt: Müssten eigentlich alle Einkünfte veröffentlicht werden, sofern ihre Summe 10.000 Euro pro Jahr übersteigt - auch wenn einige von ihnen bei 50 oder 100 Euro lägen? - Ziemlich viele ungeklärte Punkte für eine Empfehlung, die die Kommission des Ältestenrats dem Parlament da unterbreitet hat.

Die Frage, die sich also gerade stellt, lautet: Ist der in den letzten Stunden erstmals geäußerte Vorschlag, alle Nebeneinkünfte mit einer Gesamtsumme von über 10.000 Euro zu veröffentlichen, möglicherweise ein nicht durchdachter Schnellschuss? CDU/CSU, FDP und SPD behaupten zwar, sie hätten dies schon immer so gefordert - das allerdings würde die Sache noch viel schlimmer machen angesichts der bis heute ungeklärten zentralen Frage, in welcher Form man die jährlichen Nebenverdienste von mehreren Auftraggebern eigentlich veröffentlichen will.

Denkbar ist auch, dass manche Abgeordnete darauf spekulierten, dass schon niemand nachfragen werde, ob nun alle Nebeneinkünfte oder nur die eines einzelnen Unternehmens veröffentlicht werden müssen. Jetzt aber haben Lobbycontrol, Transparency, Campact und Mehr Demokratie Alarm geschlagen; die Politik fühlt sich ertappt und korrigiert plötzlich ihren ursprünglichen Plan. Altmaier wollte sich auf Nachfrage, wie sein Vorschlag eigentlich in das Stufensystem passen soll, nicht konkret äußern. Gegenüber abgeordnetenwatch.de ließ er lediglich mitteilen:

Da über die Einzelheiten in den nächsten Wochen zwischen den Fraktionen gesprochen wird, bitte ich um Verständnis, dass eine Beantwortung dieser Fragen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist.

Auch ein Sprecher des Bundestags wusste auf diese Frage keine Antwort.

Und so scheint es, als seien Einige im Deutschen Bundestag gerade die Getriebenen einer Transparenzkampagne, die die vier Organisationen losgetreten haben. In Berlin soll es nun so weitergehen, dass sich am Donnerstag die Rechtsstellungskommission des Ältestenrats zu einer Sondersitzung trifft. Es gibt in der Tat Gesprächsbedarf. Anschließend sollte eigentlich der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags über das Thema Nebeneinkünfte beraten, doch dessen Vorsitzender Thomas Strobl hat das Thema laut eines Zeitungsberichts inzwischen von der Tagesordnung gestrichen, was ein Bundestagssprecher gegenüber abgeordnetenwatch.de heute Mittag allerdings nicht bestätigen konnte.

Was auch immer der Bundestag am Ende beschließt: abgeordnetenwatch.de fordert eine komplette Offenlegung aller Nebeneinkünfte. Dazu braucht es kein kompliziertes Stufensystem. Und auch kein Diskussion darüber, ob nun alle Nebeneinkünfte eines Abgeordneten oder nur die eines einzelnen Auftraggebers veröffentlicht werden sollen.

Update von 22:20 Uhr Peter Altmaier hat am Abend auf blogfraktion.de einen Beitrag gepostet, in dem er "eine unmissverständliche und klare Regelung" für die Veröffentlichung von Nebeneinkünften ankündigt. Wie diese aussehen soll, ließ er offen. Gleichzeitig wundert sich Altmaier über die Opposition, die in der Vergangenheit alle Vereinbarungen mitgetragen habe und nun eine "Verschleierung" bei der Neuregelung moniere.

Update 11.5.2011: Nun will es niemand mehr gewesen sein, der die 10.000 Euro-Bagatellgrenze mit verabschiedet hat, auch Grüne und Linke nicht. In einer Pressemitteilung von Linken-Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann heißt es:

"Wer Transparenz bei den Nebeneinkünften der Abgeordneten herstellen will, darf die Bagatellgrenze nicht auf 10.000 Euro anheben", fordert die 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE, Dagmar Enkelmann. "Eine solche Schwelle für anzeigepflichtige Nebeneinkünfte konterkariert die Bemühungen um Offenheit fundamental. Die Bürgerinnen und Bürger würden mit einer solchen Mogelpackung veralbert."

Dabei hatte Enkelmann am 4. Mai gegenüber abgeordnetenwatch.de noch erklärt:

Wir wollten noch viel mehr Transparenz erreichen, würden jedoch mit den derzeit in der Debatte befindlichen Empfehlungen des Rechtsstellungskommission wohl letztlich mitgehen können, um die zentrale Regelung, nämlich die bessere Erkennbarkeit gerade der höheren Nebeneinkünfte für die Öffentlichkeit durchzusetzen.

Und über die Rolle der Grünen schreibt SPIEGEL ONLINE:

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck behauptet, man habe sogar schon während der Verhandlungen auf die Lücke hingewiesen.

Die Grünen-Position lautet: "Entweder muss wieder eine monatliche Bagatellgrenze her, oder die jährliche Grenze muss deutlich [auf 5.000 Euro] gesenkt werden." Die zentrale Frage ist dann: Wenn man schon immer gegen die 10.000 Euro-Bagatellgrenze war, warum stimmte man erst zu (um so in einem Kompromiss die bessere Erkennbarkeit der höheren Nebeneinkünfte durchzusetzen) - und spricht nun von einer Mogelpackung, die man einst mitbeschlossen hatte? Beck und Enkelmann haben sich inzwischen auch dem Transparenzbündnis um Lobbycontrol gegen die Bagatellgrenze angeschlossen.

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Update 13.5.2011: Entscheidung vertragt: Die Rechtsstellungskommission des Ältestenrats hat sich bei ihrer gestrigen Sitzung auf keinen neuen Textentwurf mit einer unmissverständlichen und klaren Regelung einigen können. In einer Pressemitteilung heißt es:

Die in der Öffentlichkeit diskutierte Interpretation der Jahresuntergrenze für entgeltliche Tätigkeiten in Höhe von 10.000 Euro entspricht nicht der mit den Änderungsvorschlägen beabsichtigten Intention der Rechtsstellungskommission nach mehr Transparenz. Die Kommission hat deshalb heute übereinstimmend beschlossen, die Beratungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung fortzusetzen, die eine solche Interpretation nicht zulässt

Update 18.5.2011: Die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann vermutet ein falsches Spiel der "Mehrheit im Bundestag". Auf ihrer Website schreibt sie:

Nach meinem Eindruck will die Mehrheit im Bundestag das Problem zunächst aussitzen.

Update 19.5.2011: Die Organisation Campact schreibt:

Es deutet sich immer mehr an, dass die Transparenzlücke unter 10.000 Euro kein, wie es Herr Altmeier von der CDU ausdrückte, “Missverständnis” in der Beschlussfassung gewesen ist, sondern ein Kompromiss, den die Opposition geschluckt hat. Frei nach dem Motto: Ihr kriegt die Transparenz bei den hohen Beträgen, wir die Schummelregel für Einkünfte unter 10.000 Euro. Ein starkes Indiz dafür ist, dass sich die Rechtstellungskommission jetzt erst einmal Zeit für eine Neuregelung nehmen will. Wäre es nur ein Missverständnis, man hätte es vermutlich schon bei der heutigen Sitzung ausräumen können. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Update 23.5.2011: Ende April hatten wir alle Parlamentarischen Geschäftsführer angeschrieben und um eine Stellungnahme zu den geplanten, neuen Offenlegungspflichten gebeten. Jörg van Essen von der FDP schrieb jetzt:

Herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 27. April, die ich wegen anderweitiger Belastungen erst heute beantworten kann. Ich mache von meinen Ausführungen vom 20. Oktober 2010 keinerlei Abstriche. Ich bin persönlich weiterhin sehr zurückhaltend, ob tatsächlich weitere Erkenntnisgewinne gezogen werden können, da ich schon extrem unsicher bin, ob Interessenkollisionen tatsächlich von der Höhe eines Honorars abhängen. Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass sich die FDP-Bundestagsfraktion einer gemeinsamen Lösung nicht verschließen wird. Genauso habe ich mich verhalten.

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