Wie der Flugtaxi-Hersteller Volocopter im Verkehrsministerium lobbyierte
Trotz interner Warnungen und Sparzwang wollte Verkehrsminister Volker Wissing Millionen in das angeschlagene Flugtaxi-Startup Volocopter stecken. Interne Dokumente zeigen, wie das Unternehmen im Ministerium um Steuermillionen warb – obwohl zahlungskräftige Großinvestoren an Bord waren.
Zurückhaltung klingt anders. "Fliegende Lufttaxis aus Deutschland erobern die Welt", verkündete das Bruchsaler Startup Volocopter im Jahr 2017. Das Unternehmen versprach nichts Geringeres, als den "Menschheitstraum vom Fliegen" zu verwirklichen – und gleichzeitig modernen Städten bei der Lösung ihrer wachsenden Mobilitätsprobleme zu helfen.
Doch es kam anders: Bis heute fehlt Volocopter die notwendige Musterzulassung für den Passagierbetrieb.
Statt die Welt zu erobern, geriet der Flugtaxi-Hersteller in finanzielle Schieflage. Wie der SPIEGEL im März 2024 berichtete, benötigte das Unternehmen Geld vom Staat. Der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) signalisierte Unterstützung und wollte Volocopter mit 150 Mio. Euro aus Steuermitteln fördern. Auch der Freistaat Bayern wollte dem Bericht zufolge einspringen und die Hälfte der Summe übernehmen.
An Warnungen mangelte es nicht. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC soll dem Magazin zufolge intern deutlich davor gewarnt haben, Volocopter derart viel Geld zu zahlen. Bedenken hatte auch das Land Baden-Württemberg. Die Landesregierung verweigerte dem Flugtaxi-Startup 2023 eine Bürgschaft über 300 Millionen Euro – das Risiko sei zu hoch.
BlackRock, Intel, Microsoft: Die zahlungskräftigen Investoren von Volocopter
Dass Wissing eine Millionen-Förderung aus dem Budget des Verkehrsministeriums aufwenden wollte, war aus zwei Gründen erstaunlich.
Zum einen musste sein Ministerium sparen. Wissings Ressort sollte voraussichtlich 5 Mrd. Euro weniger zur Verfügung haben.
Zum anderen hatte Volocopter selbst potente Geldgeber im Rücken, wie Recherchen von abgeordnetenwatch zeigen. Die Gesellschafterliste der Volocopter GmbH aus dem Januar 2024 führt unter anderem folgende Anteilseigner auf:
die saudi-arabische Projektgesellschaft NEOM Company mit dem Vorstandsvorsitzenden Kronprinz Mohammed Bin Salman (10,11 Prozent der Anteile)
die Mercedes-Benz Group AG (5,4 Prozent)
der Chip-Hersteller Intel (insgesamt 4,92 Prozent)
die Vermögensverwaltungsgesellschaft BlackRock (insg. 3,4 Prozent)
der Tech-Konzern Microsoft (0,43 Prozent)
Dazu kommen private Investoren wie Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche (0,98 Prozent) sowie mehrere in Steuerparadiesen wie den British Virgin Islands, Cayman Islands und den Bermudas ansässige Kapitalgeber.
Lobbygespräche mit Abgeordneten und Minister:innen
Um Zugang zu politischen Entscheidungsträgern zu erhalten, ließ sich Volocopter im Juli 2023 in das Lobbyregister des Bundestags eintragen. Ziel sei es, "Urban Air Mobility" als bedeutendes industrie- und verkehrspolitisches Zukunftsfeld zu etablieren, heißt es dort. Zu diesem Zweck führe man Gespräche mit Abgeordneten und Minister:innen.
Wie diese Lobbyarbeit konkret aussah, wurde erstmals im Juli 2025 sichtbar: Mit über einjähriger Verzögerung gab das Bundesverkehrsministerium auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes E-Mail-Korrespondenzen mit Volocopter an abgeordnetenwatch heraus.
Screenshot abgeordnetenwatch.de
"Können Sie in Erfahrung bringen, ob Herr Minister Wissing für ein Kennenlerngespräch zur Verfügung stünde?" Lobbyschreiben von Volocopter an das Verkehrsministerium (24. August 2022)
Antrittsbesuche, Förderbitten und Investoren-Zusagen
Die Unterlagen enthielten unter anderem E-Mails zu einem geplanten Treffen mit Verkehrsminister Wissing im Herbst 2022. Darin kündigte ein Volocopter-Lobbyist an, dass "in Kürze ein weltbekannter Manager in der Luftfahrtindustrie" CEO werde – gemeint war Dirk Hoke, der frühere Chef von Airbus Defence & Space. Er wolle dem neuen Geschäftsführer "einige hochrangige Antrittsbesuche" ermöglichen und fragte an, ob Wissing am 30. September Zeit für ein Gespräch habe.
Das Ministerium sagte wegen Terminkonflikten ab, verwies jedoch auf ein bereits vereinbartes Treffen: "Glücklicherweise haben wir ja noch einen Termin im November“, antwortete ein Ministeriumsmitarbeiter. Er meinte ein Treffen mit Wissing am 15. November 2022 in der Firmenzentrale von Volocopter in Bruchsal.
"Als Follow-Up zu diesem Termin wenden wir uns nun an Sie"
Im März 2023 warb Volocopter bei Staatssekretär Stefan Schnorr um eine staatliche Förderung in Höhe von insgesamt 300 Millionen Euro – die "auch im Interesse des deutschen Staates" sei, wie es in der Nachricht hieß.
Zwei Wochen zuvor hatte das Unternehmen sein Anliegen bereits bei Michael Theurer (FDP), Wissings Parlamentarischen Staatssekretär, während dessen Firmenbesuch in Bruchsal vorgetragen. "Als Follow-up zu diesem Termin wenden wir uns nun an Sie", schrieb der Lobbyist nun ans Ministerium, bevor er konkret wird: Man bitte um eine ministeriumsinterne Prüfung, "ob und wie finanzielle Unterstützung durch die KfW [die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau] für Volocopter" aussehen könnte. Bei positivem Ergebnis solle das Verkehrsministerium die KfW beauftragen, "weiterführende Schritte" einzuleiten.
Seinen Brief an Staatssekretär Schnorr schloss der Volocopter-Lobbyist mit den Worten: "Ich danke Ihnen vorab für die Prüfung und freue mich auf Ihren Besuch in Bruchsal in der kommenden Woche!"
Im März 2024 schickte der finanziell angeschlagene Flugtaxi-Hersteller erneut eine Mail ans Ministerium, und wieder ging es um eine staatliche Förderung. Die Investoren von Volocopter seien bereit, zusätzliche 50 Millionen Euro bereitzustellen – vorausgesetzt, es komme zur „Finanzierungsunterstützung des Bundes/Landes“. Auch diesmal verabschiedet sich der Lobbyist mit freundlichen Worten: "Wir bedanken uns sehr für Ihre fortwährende Unterstützung."
Trotz Lobbyarbeit: Keine Förderung – Insolvenz
Doch die erhoffte staatliche Unterstützung kam nie. Warum, lässt sich aus den Unterlagen des Ministeriums nicht entnehmen. Im Dezember 2024 meldete Volocopter Insolvenz an.
Anfang 2025 wurde das Bruchsaler Unternehmen laut Medienberichten vom chinesischen Mischkonzern Wanfeng Auto Holding Group übernommen. Der Kaufpreis soll bei 10 Millionen Euro gelegen haben. In seinen besten Zeiten war Volocopter mit 1,5 Milliarden Euro bewertet worden.
Der Flugtaxi-Hersteller plant nun für 2026 die Musterzulassung für den Passagierbetrieb bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA). Dann will Volocopter "Urban Air Mobility in die Megastädte dieser Welt" bringen und "die Lebensqualität der Menschen in Städten mit einer ganz neuen Art der Mobilität verbessern".
Ein Verkehrsmittel für die Massen werden die Flugtaxis eher nicht. Das Modell VoloCity bietet Platz für zwei Personen. Eine davon ist die Pilotin bzw. der Pilot.
Dieser Artikel wurde am 3. April 2024 unter der Überschrift "Diese Investoren stecken hinter der Flugtaxi-Firma, die Millionen aus Steuermitteln erhalten sollen" veröffentlicht. Am 29. Juli 2025 wurde der Text um die Herausgabe der E-Mail-Korrespondenzen durch das Verkehrsministerium ergänzt und überarbeitet.
Hinter der Recherche
Im März 2024 stellte abgeordnetenwatch beim Bundesverkehrsministerium einen Antrag auf Herausgabe sämtlicher Unterlagen zu Kontakten mit dem Unternehmen Volocopter GmbH seit Dezember 2021 – darunter Korrespondenzen, Terminanfragen, Vermerke, Kalendereinträge und Antwortentwürfe. Laut Informationsfreiheitsgesetz (IFG) sind Behörden verpflichtet, solche Anträge innerhalb eines Monats zu bearbeiten. Das Ministerium sicherte in seiner Eingangsbestätigung zwar eine "schnellstmögliche" Bearbeitung zu – doch diese blieb aus.
Auf eine Fristsetzung durch abgeordnetenwatch im Oktober 2024 reagierte das Ministerium von Volker Wissing nicht. Im November schalteten wir deshalb den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) ein. Dieser forderte vom Ministerium eine Stellungnahme sowie Auskunft zum Bearbeitungsstand. Doch auch der BfDI wurde hingehalten.
Erst Mitte Januar 2025 meldete sich das Verkehrsministerium wieder bei abgeordnetenwatch. Man habe festgestellt, dass der Antrag "Interessen Dritter berührt" – daher sei nun ein Drittbeteiligungsverfahren eingeleitet worden. In den folgenden Monaten erkundigte sich der BfDI mehrfach nach dem Stand des Verfahrens. Im Juni teilte das Ministerium mit, der Antrag sei inzwischen abschließend bearbeitet worden und der Bescheid mit Datum vom 6. Juni 2025 an abgeordnetenwatch verschickt worden. Tatsächlich traf dieser erst Wochen später ein – datiert auf den 4. Juli 2025.
Es war nicht das erste Mal, dass das Bundesverkehrsministerium die Herausgabe von Informationen an abgeordnetenwatch verzögerte. Über ein Jahr lang versuchte die Behörde, Korrespondenzen mit Porsche zurückzuhalten – mit Verweis auf angeblich besonders schutzwürdige Inhalte. Später stellte sich raus: Das stimmte nicht. Mehr: Die Porsche-Mails, die das Verkehrsministerium geheim halten wollte