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Wolfgang Gerhardt
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Frage von Andreas S. •

Frage an Wolfgang Gerhardt von Andreas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Gerhardt,

im Rahmen des EU-Vertrages von Lissabon, an dessen Abstimmung Sie nicht beteiligt waren, möchte ich Sie fragen:

1. Ist es zutreffend, daß mit dem EU-Vertrag von Lissabon in ganz Europa die Todesstrafe - in besonderen Fällen - wieder eingeführt wird?

2. Wieviel wert hat nach in Kraft treten des EU-Vertrages dann noch ein Grundgesetz, in dem die Todesstrafe - in allen Fällen - für abgeschafft erklärt wird?

3. Aufgrund welcher Bevollmächtigung von wem darf der Bundestag existenzielle Soveränitätsrechte wie die Finanzhoheit und die Wehrhoheit an externe Gruppierungen wie die EU abgeben, wenn dadurch gegen die Rechtsgrundlage des Bundestages (GG) verstoßen wird?

Mit freundlichem Gruß
Andreas W. Sauer

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Sauer,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen zum Lissabonner Vertrag, zu denen ich gerne Stellung nehme. Auch nach dem irischen Nein ist eine intensive Befassung mit der Zukunft der Europäischen Union und ihren vertraglichen Grundlagen von großer Bedeutung.

Lassen Sie mich vorausschicken, dass der Lissabonner Vertrag in seiner jetzt vorliegenden Form aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion grundsätzlich sehr zu begrüßen war. Er hätte die EU einen merklichen Schritt vorangebracht und eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem derzeit geltenden Vertrag von Nizza dargestellt. Die Europäische Union muss schlagkräftiger, verständlicher und demokratischer werden. Diesen Zielen kommen wir mit dem Vertrag von Lissabon näher. Positiv hervorzuheben sind beispielsweise die gestärkte Rolle des Europäischen Parlaments, die stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente an der EU-Gesetzgebung und die neuen Abstimmungsregeln im Rat der EU ("System der doppelten Mehrheit"), durch die Deutschland angemessener repräsentiert wird.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir dem Vertrag uneingeschränkt positiv gegenüber stehen. An einigen Stellen hätten wir uns mehr und besseres gewünscht. Dies haben wir in einem Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag auch deutlich zum Ausdruck gebracht (zu finden unter http://www.fdp-fraktion.de/files/538/1608927.pdf ). Als Fazit bleibt für mich: Der EU-Reformvertrag ist besser als der Vertrag von Nizza, doch wäre der ursprüngliche Verfassungsvertrag für Europa besser gewesen. Wenn aber das Beste nicht zu erreichen ist, dann ist man gut beraten, das zweitbeste Ergebnis anzustreben. Die FDP-Fraktion hat die Ratifizierung des Vertrags durch den Deutschen Bundestag am 25. April deshalb einhellig mitgetragen und wird sich auch weiter für die mit ihm verfolgten Ziele einsetzen.

Zu Ihren Fragen:

1. Die Todesstrafe würde auch durch den Lissabonner Vertrag in Europa nicht wieder eingeführt. Der Vertrag verweist auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die unabhängig von den EU-Verträgen gilt. Im so genannten Sechsten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 28. April 1983 findet sich folgende Formulierung: "Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden;...". Das Sechste Zusatzprotokoll lässt also die Todesstrafe unter bestimmten Voraussetzungen zu. Für Deutschland und die große Mehrzahl der EU-Staaten ist aber das 13. Zusatzprotokoll vom 3. Mai 2002 einschlägig, welches die Verhängung der Todesstrafe vollständig untersagt, also auch in Kriegszeiten. Durch den Lissabonner Vertrag ändert sich an der bestehenden Rechtslage nichts -- in Deutschland nicht, und auch nicht in den anderen EU-Staaten.

2. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union richtet sich nach Artikel 23 GG. Diese Vorschrift formuliert inhaltliche und formelle Voraussetzungen, gegen die nicht verstoßen werden darf. Vom Bundesverfassungsgericht wird aufgrund einer Reihe von Klagen derzeit geprüft, ob ein solcher Verstoß vorliegt. Ohne dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgreifen zu wollen, möchte ich Ihnen doch antworten, dass die FDP-Bundestagsfraktion die Bedenken der Kläger nicht teilt. Anderenfalls hätten wir dem Lissabonner Vertrag nicht zugestimmt.

Mit freundlichen Grüße

Dr. Wolfgang Gerhardt MdB