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Winfried Kretschmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Mathias P. •

Frage an Winfried Kretschmann von Mathias P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrteR AbgeordneteR des Landtags von Baden-Württemberg!

Im Raum Lörrach/Wiesental gibt es mehrere Initiativen, Arbeitskreise und Gruppen mit einer großen Anzahl von Menschen, die sich z.T. schon seit vielen Jahren mit den Themen „Direkte Demokratie“ und „Bedingungsloses Grundeinkommen“ intensiv beschäftigen. Diese Menschen kommen aus allen politischen Richtungen, sind also nicht parteigebunden. Der Arbeitskreis Grundeinkommen Schopfheim/Lörrach ist einer dieser Kreise und steht in engem Kontakt mit den anderen Initiativen und Gruppen.

Wir legen Ihnen deshalb die folgenden 3 Fragen vor. Ihre Antworten sollen der Öffentlichkeit Auskunft darüber geben, in welcher Weise Sie und Ihre Partei sich zu diesen entscheidenden sozialen und demokratischen Fragen positionieren und welche Optionen Sie dazu in der kommenden Legislaturperiode vertreten möchten.

Hier nun unsere Fragen:
1. Halten Sie/Ihre Partei die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens für eine geeignete Maßnahme, um der Entsolidarisierung unserer Gesellschaft entgegenzuwirken und neues, unter den aktuellen Bedingungen blockiertes Kreativi- tätspotenzial freizusetzen? Was denken Sie persönlich darüber?
2. Welche Vorschläge haben Sie zur Schaffung einer neuen Demokratie-Kultur in
unserem Land? Wie gedenken Sie, die vielfach erhobene Forderung nach Senkung der Schwelle für Volksentscheide umzusetzen?
3. Welche sonstigen Visionen haben Sie im Hinblick auf eine vorausschauende,
wirtschafts- und sozialverträgliche Politik in Baden-Württemberg?
Wir würden uns freuen, bis zum 15. Februar 2011 von Ihnen zu hören, um in der intensiven Wahlzeit der kommenden Wochen Ihren Beitrag möglichst breit bekannt zu machen.

Mit freundlichen Grüßen
Für den Arbeitskreis Grundeinkommen Schopfheim/Lörrach
Dr.Mathias Poland

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Poland,

Zu 1)
In der Grünen Partei wird das bedingungslose Grundeinkommen seit Jahren intensiv diskutiert. Auf dem baden-württembergischen Landesparteitag im Oktober 2007 gab es eine klare Mehrheit für eine negative Einkommensteuer zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens argumentierten u.a. mit der wachsenden Entsolidarisierung der Gesellschaft einerseits und der Freilegung von Kreativität und Engagement andererseits, das gesellschaftlich wichtig sei, aber auf dem Markt nicht bezahlt werde. Auf dem Bundesparteitag im November 2008 setzte sich jedoch der Vorschlag einer Grünen Grundsicherung durch. Diese sieht eine Reform des bisherigen Systems bedarfsgeprüfter Transfers mit einer vergleichbaren Erhöhung des ALG II vor. Gleichwohl sind im Beschluss des Bundesparteitags mehrere Grundeinkommenselemente enthalten: die schrittweise Einführung eines Grundeinkommens für Kinder (bedingungslose Kindergrundsicherung), der Öko-Bonus (ein Grundeinkommen finanziert aus Ökosteuern), ein temporäres Grundeinkommen (Brückenexistenzsicherung) und beim Arbeitslosengeld II der Verzicht auf jegliche finanzielle Sanktionen, die dazu führen, dass das Einkommen unterhalb des Existenzsicherungsniveaus sinkt.

Persönlich halte ich das bedingungslose Grundeinkommen für einen überaus interessanten Ansatz, den ich grundsätzlich befürworte. Allerdings ist das bedingungslose Grundeinkommen meines Erachtens höchst voraussetzungsvoll: Nur in einer hoch integrierten Gesellschaft können die erhofften Effekte des Grundeinkommens wie die Aktivierung und Freilegung von Potenzialen und Ressourcen von Menschen zugunsten der Gesamtgesellschaft wirklich eintreten. Da wir eine solche Gesellschaft noch nicht haben, ist das bedingungslose Grundeinkommen für mich noch ein Zukunftsprojekt.

Zu 2)

Bündnis 90/Die Grünen setzen sich für eine Stärkung der Bürgerbeteiligung/Direkten Demokratie auf kommunaler und Landesebene ein. Demokratie lebt von interessierten und verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürgern. Nur mit einem „Mehr an Bürgerbeteiligung“ kann der zunehmenden Politikverdrossenheit und der entstandenen Distanz zwischen Politik und Zivilgesellschaft wirksam begegnet werden. Bürgerinnen und Bürger wünschen mehr direkten Einfluss, wollen hierfür Verantwortung übernehmen und fordern aus diesen Gründen direktdemokratische Formen der Bürgermitsprache. Die grüne Landtagsfraktion hat gemeinsam mit der SPD daher einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einführung einer Volksinitiative in den Landtag eingebracht. Konkret bedeutet das, dass die formalen Hürden für Volksbegehren und Volksabstimmung gesenkt werden d.h das Quorum bei Unterschriften von 16,6% (ca. 1,2 Mio) wird auf 5% (ca. 375.000) abgesenkt, die Frist zur Unterschriftensammlung wird von 2 Wochen auf 6 Monate ausgeweitet und die Eintragung soll sowohl in Ämtern als auch freie Sammlung erfolgen.

Zu 3)

Leitlinien einer vorausschauenden wirtschafts- und sozialverträglichen Politik sind für mich Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Solidarität. Meine Vision für Baden-Württemberg ist eine solidarische Bürgergesellschaft. Ich will in der Politik neue Formate der Kommunikation mit den Bürgern und Bürgerinnen und neue Instrumente der Bürgerbeteiligung entwickeln.
Aus Betroffenen müssen wieder Beteiligte werden! Das ist eine entscheidende Vorbedingung erfolgreicher und planbarer Politik in allen Politikfeldern. Baden-Württemberg ist heute ein vielfältiges Land, in dem Menschen mit unterschiedlichen nationalen und ethnischen Wurzeln, mit unterschiedlichen religiösen und sozio-kulturellen Hintergründen leben. Für mich sind Vielfalt und Verschiedenheit die Ressourcen einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert und keine Mängel. Für mich ist die politische Ausgestaltung des Sozialen, sind Bildungs- und Integrationspolitik elementar, um den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu befördern. Hier liegt für mich der Hebel für gesellschaftliche Integration in einem umfassenden Verständnis. Wir brauchen ein soziales Gewebe, eine Art sozialen Kitt, damit die verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft nicht auseinanderdriften und sich gegeneinander abschotten, sondern zusammenwachsen und sich alle als Teil derselben Gesellschaft begreifen. Mein Ziel ist es, den Zusammenhang aus sozialer Herkunft und Bildungschancen auflösen, der in Baden-Württemberg besonders ausgeprägt ist. Ich werde hier im Land dafür sorgen, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien frühzeitig eine optimale Förderung erfahren. Und ich will anstelle des auf Separieren angelegten dreigliedrigen Schulsystems eine Schule in Baden-Württemberg, die an den Stärken der Kinder ansetzt. Es darf nicht sein, dass die soziale Herkunft weiterhin den Bildungserfolg der Menschen in unserem Land so massiv mitbestimmt.

Eine zukunftsfähige Sozialpolitik erfordert aus Grüner Perspektive die Sicherung sozialer Grundstrukturen. Aktive Sozialpolitik heißt jedoch auch, dass der Staat mehr als bisher mit gesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten muss, um soziale Aufgaben bestmöglich erfüllen zu können. Für mich muss das Dreieck Staat-Markt-Bürgergesellschaft in allen Politikfeldern in Balance gebracht werden. Gerechtigkeit bedeutet für uns Grüne nicht nur Verteilungsgerechtigkeit, sondern vor allem auch Beteiligungs- und Generationengerechtigkeit.
Für mich müssen auch Ökologie und Ökonomie zusammengedacht werden, nur so können wir vernünftig mit den begrenzten Ressourcen umgehen und auch für nachkommende Generationen eine lebenswerte Umwelt erhalten.

Mit freundlichen Grüßen
Winfried Kretschmann

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