Frage an Wilfried Buss von Andre M. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Buss,
tief getroffen bin ich von Ihrer Entscheidung, binnen eines Jahres eine persönliche 180°-Wende zu machen: vom Gegner, vom kategorischen! Gegner, einer jeden Schulschließung (insbesondere im Raum Barmbek-Uhlenhorst) hin zu jemandem, der Schulschließungen öffentlich fordert (und nachweislich auf Grund einer Argumentation mit zum Teil widersprüchlichen Begründungen - insbesondere wenn es um die tatsächlichen Entwicklungen der Schülerzahlen an den von Ihnen zur Schließung vorgeschlagenen Schulen geht!).
Eines möchte ich, weil ich nicht anders will und kann - vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, ich weiß es nicht...-, als meinem Gewissen zu folgen und dabei offen zu gestehen, dass ich Schüler eines der zur Schließung vorgeschlagenen Gymnasien bin (es fällt auf, dass die vorgeschlagenen Schulen überwiegend in reichen Stadtteilen liegen: Steck da machtpolitisches Kalküll hinter?). Ich möchte an dieser Stelle aber versichern, dass ich aus einer stinknormalen Arbeiterfamilie stamme - vor 100 Jahren hätte man wohl "Proletarier" gesagt - und nicht die "Reichen" verteidige weil ich einer "von ihnen" bin. Ich glaube an keine Klassen. Was ich sagen will, ist, dass ich nicht deswegen schreibe (nächste Woche habe ich meinen letzten Schultag), sondern weil ich seit längerem bei Ihnen einen, ja ich möchte fast sagen rigorosen Populismus entdecke, den ich ansonsten in der SPD nie beobachtet habe. Das schmerzt meine junge Seele, zumal Sie mich ja als Repräsentant vertreten.
Nun Konkretes: Als es um die Schließung des GUBs ging (ich bin teilweise auch auf dieser Schule und kann nichts Schlechtes über sie berichten), waren Sie auf einer Podiumsveranstaltung des KSR-Nord 1 am MRG. Tonbandaufzeichnungen existieren, auf denen Sie noch ganz anders denken und argumentieren als heute (contra Bildungsabbau).
Meine Frage: Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wie zum Teil die BBS, Schulen schließen zu wollen und dafür zu sorgen, dass unser Land gegen die Wand gefahren wird? Sie mögen mir antworten: "Junger Freund, wenn Sie älter sind werden sie begreifen,..." Aber: Wer wird Millionen Menschen die Rente zahlen, wer soll der offene Horizont, die Hoffnung sein, wenn nicht wir, die heutigen Schüler? Ist es nicht notwendig, realistisch zu denken (so utopisch das finanzpolitisch klingen mag; Politik ist immer ein Risiko), jeden Dogmatismus hinter sich zu lassen und jeden zweckorientierten Populismus? Und Realismus heißt: Deutschland hat nichts als seine Kinder. Rohstoffe haben wir keine. Eine jede Schulschließung ist gleich einem Höllenkreis Dantes, auch wenn Erwachsene das vielleicht (?) nicht mehr verstehen können. Es behindert uns Schüler bei unserer Arbeit: dem Lernen. Weitere Wege, größere Kurse, in Zeiten des Zentralabis nicht einmal unbedingt sehr viel mehr Auswahl... Das ist die bittere Realität.
Wir wollen unseren Beitrag leisten, wenn Sie aber vorhaben, Schulen zu schließen, so machen Sie sich bereit für harte Zeiten! Wiederholen Sie keine Forderungen, die die BBS vor kurzem unnötigerweise ausgesprochen hat. Es geht um Aufrichtigkeit, Gewissen, Moral und Verstand. Ein letzter Appell von meiner Seite; und ich bin keine Einzelstimme. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
(Da Politik in unserem Land transparent sein soll, behalte ich mir vor, diesen Brief als einen offenen anzusehen und dementsprechend mit ihm zu verfahren)
Danke, dass Sie sich meiner Meinung stellen.
Sehr geehrter Herr Martens,
vielen Dank für Ihre engagierte Anfrage zum Thema Schließung von Gymnasien. In der Tat war ich 2004 ein kategorischer Gegener der Schließung des Gymnasiums Uhlenhorst-Barmbek, aber das hat ja nichts damit zu tun, was dem Schulsystem Hamburgs insgesamt nützt oder nicht. Daher kann ich ich Ihr Unverständnis in Teilen gut nachvollziehen.
Doch leider hat die Presse die Anfrage von Herrn Heinemann (CDU) nicht richtig verstanden. Die 9 Gymnasien, die der Senat anführt, sind genau die, die trotz ihrer geringen Schülerzahl aus regionalen Gründen nicht geschlossen werden sollen. Auch wenn ich nicht alle Argumente des Senats zu einzelnen Standorten nachvollziehen kann, ist es aber so, dass diese 9 Standorte vorerst nicht gefährdet sind.
Nun zu Ihren Argumenten im Einzelnen: Ich kann nicht sehen, dass das Gymnasium Finkenwerder oder das Gymnasium Meiendorf in Stadtteilen liegen, die von "Reichen" bewohnt werden. Den Populismus, den Sie der SPD vorwerfen, werfe ich eher der CDU vor, die sich als Regierungspartei vor dem nötigen Handeln drückt, während ich als Oppositionspolitiker eine unpopuläre Debatte vom Zaun breche. Populistisch wäre es doch, wenn ich wider besseres Wissen eine Bestandsgarantie für die Gymnasien abgäbe, deren Schülerzahlen in absehbarer Zukunft drastisch zurückgehen werden (wie bei den anderen Schulformen auch).
Es geht meiner Meinung nach doch darum, dass die Welt eben nicht untergeht, wenn einzelne Schulstandorte geschlossen werden. Sie haben völlig Recht damit, dass Bildung unser wertvollster Rohstoff ist. Daher setze ich mich auch vehement für eine bessere Qualität von Schule in Hamburg ein. Dazu gehört ein qualitätsvolles Angebot an den jeweiligen Schulstandorten, die zwangsläufig bei einer vierzügigen Schule besser und attraktiver sind als bei einer zweizügigen, besonders was die Lern- und Auswahlangebote in der gymnasialen Oberstufe betreffen. Gleichzeitig werden die Personalkosten für Schulleitungen, Sekretariat etc. effizienter eingesetzt.
Deshalb bin ich dafür, nicht nur den Aspekt der Schulschlißungen im Auge zu haben, sondern gerade den von Ihnen gewünschten Aspekt der guten Bildung für die zukünftige Generation langfristig zu sehen. Da meine ich, hat die SPD die besseren, weil auch gerechteren Argumente.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen den Hintergrund meiner vermeintlichen "180°-Wende" nachvollziehbar darlegen.
Mit freundlichen Grüßen
Wilfried Buss