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Frage von Rainer B. •

Frage an Ulrich Maurer von Rainer B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Maurer,

wenn ihnen das System der DDR so gefallen hat, dann stelle ich ihnen hiermit die Frage warum Sie dann nicht vor 1989 in die DDR gezogen sind?
Es wären bestimmt viele die mit ihnen gerne getauscht hätten um sich ein Leben in Freiheit aufbauen zu können.
Warum trauen Sie sich dann trotz alledem über das Leben in der DDR mitreden zu können.
Bei Herrn Knabe sieht das wiederum anders aus, denn er hat in seinem Leben schon mehr Akten aus DDR-Zeiten gesehen und kann sich schon ein Bild machen.

Warum waren sie vor 1989 im Westen geblieben ?
Das ist hier meine Frage

Mit freundlichen Grüßen
R. Buchwald

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Buchwald,

es entspricht nicht meiner politischen Erfahrung, Kultur nur in den Extremen schwarz-weiß, gut-böse, schlecht-gut, Recht-Unrecht zu denken. Daraus folgt, dass ich mich bemühe, alle Facetten von Gesellschaften, Systemen und Menschen zu erfassen. Bei meiner Argumentation ging es mir, wie Sie sicher bemerkt haben, nicht darum, dass mir das System der DDR uneingeschränkt gefallen hat. Einzig eine pauschale Verurteilung der DDR oder Reduzierung auf Willkür und Unrecht greift hier zu kurz. Was negativ war, muss genauso angesprochen werden, wie das, was positiv gewesen ist. Die DDR war kein Rechtsstaat, das ist entscheidende Aussage. Die DDR ist auch nicht gescheitert an ihrem Rechtssystem, sondern an der Entwicklung von Individualität und Individualisierung entwickelter Gesellschaften – mit katastrophalen Folgen für die Motivierung der Menschen, sich für dieses System einzusetzen. Der Begriff „Unrechtsstaat“ ist erstens kein Begriff der Rechtswissenschaft und Zweitens ein ideologischer Kampfbegriff der Konservatismus.

Seitens vieler früherer DDR-BürgerInnen gibt es berechtigten Protest gegen die pauschale Verdammung einer erlebten Realität. Zu stark unterscheidet sich die permanente Kriminalisierung der DDR mit der eignen Erfahrung und Erinnerung. Auf jeden Fall aber erscheint es mir dürftig und anmaßend zugleich, das Leben eines Staates und seiner Bürger mehr oder weniger ausschließlich aus dem Sichtwinkel der Akten eines Geheimdienstes zu bewerten, wie es bei Hubertus Knabe üblich zu sein scheint. Das hat mit Wissenschaftlichkeit nichts zu tun. Jemand, der wie er, seit Jahren für seine relativierende und unwissenschaftliche Geschichts- und Gedenkstättenpolitik bekannt ist, eignet sich kaum für eine seriöse Bewertung der BRD- und DDR-Geschichte. Unter dem alten, längst überholten Konzept der Totalitarismustheorie werden dabei die DDR und das Dritte Reich auf eine Stufe gestellt. Die himmelweiten Unterschiede zwischen den beiden Systemen würden in dem Wort von den „zwei deutschen Diktaturen“ und „Unrechtsstaat“ unzulässig eingeebnet. Hubertus Knabe, der sich unter anderem mit seiner Bezeichnung des Staatsicherheitsgefängnisses in Hohenschönhausen als „Dachau des Kommunismus“ einen Namen als Stichwortgeber der Nazi-Szene machte, der Staatssicherheit und „Schießbefehl“ an der Mauer mit dem Vernichtungskrieg des Dritten Reiches und trotz seines Beteuerns, DDR und Drittes Reich nicht gleichsetzen zu wollen, ständig den NS-Staat und den Umgang mit ihm in der Nachkriegszeit in gleichsetzender Weise als Vergleich heranzieht, desavouiert sich selbst. Mir ist dagegen eine sachkundige, differenzierte und tolerante Sichtweise wichtig.
Wenn also, wie sehr häufig im Mainstream behauptet, die DDR-Wirklichkeit ausschließlich durch klassenkämpferische Repression und ideologische Einfalt geprägt gewesen sein sollte, dann ergäbe dies ein „Feindbild“ , das Ihrer Fragestellung wohl adäquat wäre. Nein, gerade weil ich dies anders sah und sehe, hatte ich keinen Grund, für die DDR meine Heimat zu verlassen.

Im Übrigen darf nicht vergessen werden, dass das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland erhebliche und auch skandalöse Verhältnisse von Unrecht ausweist.

Ihr Ulrich Maurer