Frage an Sebastian Kranich von Mike F. bezüglich Bildung und Erziehung
1 Was ist aus Ihrer Sicht die Ursache des demografischen Wandels in Sachsen-Anhalt und wie sollte man damit politisch umgehen (bitte eine kurze Antwort)?
2 Wie kann aus Ihrer Sicht die Bundespolitik zur Stärkung des ländlichen Raumes in Sachsen-Anhalt beitragen?
3 Wie wird sich der ländliche Raum entwickeln, wenn so viele Grundschulen geschlossen werden, wie dies die CDU/SPD-Landesregierung in Sachsen-Anhalt vorhat?
4 Kann bzw. soll aus Ihrer Sicht die SchulentwicklungsVO des Landes vom 30.5.2013 aufgehoben werden? Bitte begründen Sie Ihre Auffassung.
5 Welche Chancen sehen Sie, die Schließung vieler Grundschulen in Sachsen-Anhalt zu verhindern?
Sehr geehrter Herr Fischer,
vielen Dank für Ihre Fragen. Hier meine Antworten:
1 Was ist aus Ihrer Sicht die Ursache des demografischen Wandels in
Sachsen-Anhalt und wie sollte man damit politisch umgehen (bitte eine kurze
Antwort)?
Sachsen-Anhalt hat seine Potentiale in den letzten 15 Jahren nicht ausreichend genutzt. Zukunftsfähige Wirtschaftszweige im ländlichen Raum (Ökologische Landwirtschaft, Erneuerbare Energien, Tourismus) wurden zu wenig gefördert. In den Hochschulstandorten findet derzeit ein Angriff auf den Bestand von Bildungseinrichtungen statt, der in Deutschland beispiellos ist: Beides geht zu Lasten von Arbeitsplätzen und verschärft damit die Abwanderungstendenzen aus Sachsen-Anhalt.
Gegenmittel sind die Stärkung der genannten Wirtschaftszweige, eine bessere Versorgung mit Breitband-Internet, der Erhalt der bedrohten Kulturlandschaft, bessere Kitas und Schulen sowie - nicht zuletzt - die Stärkung der Hochschulen. Wir müssen in erster Linie in Köpfe investieren, damit wird zu intelligenten Lösungen unserer Probleme kommen. Bodenschätze sind in Sachsen-Anhalt knapp und börsenorientiere Wirtschaftsunternehmen Mangelware.
2 Wie kann aus Ihrer Sicht die Bundespolitik zur Stärkung des ländlichen
Raumes in Sachsen-Anhalt beitragen?
Leider wurde der ländliche Raum in den letzten Jahren vernachlässigt. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen wegen besserer Bildungs-, Berufs- und Lebensgestaltungsmöglichkeiten in die großen Städte Magdeburg und Halle ziehen und die, die bleiben, im Durchschnitt immer älter werden. Besonders für die strukturschwachen Regionen in Sachsen-Anhalt fehlen Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung. Deshalb müssen wir die bisherigen Förderinstrumente besser auf diese Herausforderungen ausrichten.
Klar ist, dass wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort die Rahmenbedingungen verändern müssen, denn ländliche Räume sollen sich eigenständig entwickeln können. Wir setzen deshalb Anreize zur interkommunalen Zusammenarbeit und beseitigen die beste henden Rechtsunsicherheiten und steuerlichen Hindernisse. Wir wollen das Leben wieder in die Zentren der Dörfer und Kleinstädte holen, denn kurze Wege für alle Generationen sind auch auf dem Land möglich: Statt eines Supermarkts für die Region brauchen wir viele kleine Läden in den Ortszentren. Wo nötig unterstützen wir dafür auch mobile Versorgungssysteme oder Dorfladenkonzepte, die mehr als nur Einzelhandel betreiben, sondern zusätzliche Dienstleistungen anbieten. Außerdem führen wir einen Demografiecheck zur Abschätzung der lokalen Bevölkerungsentwicklung sowie eine obligatorische Folgekostenbetrachtung vor der Ausweisung neuer Baugebiete ein. Wir müssen aber die Kommunen auch besser dabei unterstützen, für junge Menschen gut erreichbare Betreuungs- und Bildungsangebote zu schaffen. Und damit es für alte Menschen genügend Wohnungen gibt, unterstützen wir altersgerechte Umbauten durch eine gezielte Förderung, ein besseres Informationsangebot und rechtliche Änderungen.
Bei der Gesundheitsversorgung stehen wir im ländlichen Raum vor besonders großen Herausforderungen. Sie muss besser auf Bedürfnisse alter Menschen ausgerichtet werden. Wir brauchen eine bessere Vernetzung und eine andere Aufgabenteilung. Die Pflegekräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sollen mehr Verantwortung übernehmen können. Nicht zuletzt brauchen wir flexible Versorgungsformen wie Fahrdienste oder mobile Praxisteams, die Einführung und Anwendung von telemedizinischen Diensten und den Ausbau von ambulanten Wohn- und Betreuungsangeboten als übergreifende mobile Versorgungsdienste.
Auf nationaler Ebene wollen wir mehr Mittel aus den Europäischen Strukturfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes zur Verfügung stellen. Auch der integrierte Fondseinsatz muss zur Anwendung kommen, um flexible und bedarfsgerechte Fördermöglichkeiten in den Regionen zur Verfügung zu haben. Ziel muss eine integrierte ländliche Entwicklung unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sein.
3 Wie wird sich der ländliche Raum entwickeln, wenn so viele Grundschulen
geschlossen werden, wie dies die CDU/SPD-Landesregierung in Sachsen-Anhalt
vorhat?
Wenn die Schule nicht mehr im Dorf ist, werden noch mehr Menschen abwandern. Für junge Familien wird es wenig attrativ sein, sich im ländlichen Raum anzusiedeln. Daher muss jetzt vermehrt nach Kompromissen gesucht werden. Diese könnten sein: Schulverbünde, Außenstellen oder Schulen mit mehreren Standorten.
4 Kann bzw. soll aus Ihrer Sicht die SchulentwicklungsVO des Landes vom
30.5.2013 aufgehoben werden? Bitte begründen Sie Ihre Auffassung.
Eine Aufhebung der SchulentwicklungsVO ist wünschenswert. Dagegen stehen die Landesregierung und die CDU-SPD Mehrheit im Landtag.
5 Welche Chancen sehen Sie, die Schließung vieler Grundschulen in
Sachsen-Anhalt zu verhindern?
Ich sehe dafür eine gewisse Chance, obgleich die Landesregierung bisher auf ihren falschen Prioritäten beharrt. Neben unserer Opposition im Landtag ist das Engagement der Bürger vor Ort und die eigene Suche der Schulen nach Lösungen (Schulverbünde, Außenstellen oder Schulen mit mehreren Standorten) gefragt. Die Proteste gegen die geplanten Kürzungen im Hochschulbereich zeigen, dass man die Landesregierung zu gewissen Kurskorrekturen zwingen kann.
Mit freundlichen Grüßen aus Halle/Saale
Ihr
Dr. Sebastian Kranich