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Frage von Detlev B. •

Frage an Peter Wichtel von Detlev B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wichtel,

am Mittwoch, den 7.9.2011 hat das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Urteil gefällt, das bei vielen Abgeordneten auf Zustimmung gestoßen ist.
Dies zeigt, daß das Grundgesetz tatsächlich von den gewählten Volksvertretern noch akzeptiert wird, auch wenn man oft genug den Eindruck hat, als ob die Regierung eine völlig andere Richtung einschlagen möchte (z.B. die Äußerung von Arbeitsministerin Frau von der Leyen vor wenigen Tagen).

Die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten zu einem gemeinsamen Deutschland liegt jetzt aber bereits mehr als 20 Jahre zurück.

In Artikel 146 des Grundgesetztes heißt es aber (Zitat):
"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.".

Wann soll es diese Verfassung geben ? Muß das Volk diese Verfassung fordern oder werden die Parlamentarier bzw. die Regierung von sich aus aktiv ? Wie soll dieser Vorgang ablaufen, damit Deutschland endlich eine echte Verfassung erhält oder gehen die Abgeordneten des Bundestages davon aus, daß das Grundgesetz sich bewährt hat und deshalb keine Verfassung notwendig ist ? Warum wird das Bundesverfassungsgericht nicht aktiv ? Oder sind die Damen und Herren dann arbeitslos, weil sie bei einer Verfassung nichts mehr zu tun hätten ?

Oder gilt doch der Plan von Frau von der Leyen, Deutschland zu einem Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Europa zu machen, weshalb sich eine Verfassung dann ebenfalls erübrigt ?

Ich bitte um Erklärung. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Detlev Bock

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Bock,

im Bezug auf Ihrer Frage zu Artikel 146 des Grundgesetzes kann ich Ihnen vorweg antworten - das Grundgesetz IST die legitimierte Verfassung des wiedervereinigten Deutschland.

Lassen Sie mich kurz auf die Hintergründe eingehen. In der Fassung vom 24. Mai 1949 lautete Art. 146 GG: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Damit wurde der transitorische und provisorische Charakter des Grundgesetzes festgehalten, bis Deutschland sich wiedervereinigen würde. Erst nach der erhofften Wiedervereinigung sollte es eine gemeinsame Verfassung geben. War in der alten Fassung des Grundgesetzes noch davon die Rede, „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“, hieß es nach dem Einigungsvertrag dann, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ habe. „Die Deutschen in den Ländern […] haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“ Auch Artikel 146 wurde - wie von Ihnen zitiert - nach dem Einigungsvertrag geändert.

In der Staats- und Rechtswissenschaft herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass das Grundgesetz alle Funktionen einer Verfassung erfüllt und sich im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Verfassung etabliert und gefestigt hat. Zudem wird das Grundgesetz auch den Legitimitätsanforderungen an eine Verfassung absolut gerecht. Interpretationen, die das Grundgesetz aufgrund Art. 146 GG immer als provisorisch charakterisieren, haben sich nicht durchsetzen können. Der Rechtswissenschaftler Klaus Stern, dessen Werk „Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band V“ ich Ihnen vor dem Hintergrund der Thematik überaus empfehlen kann, verdeutlicht, dass die Vorläufigkeit des Grundgesetzes mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 unzweideutig ihr Ende gefunden habe. „Das Grundgesetz konnte und wollte nach eigenem Verständnis zur konstituierenden Dauerordnung werden“, schreibt Stern. Auch die vom ersten gesamtdeutschen Bundestag und Bundesrat eingerichtete Gemeinsame Verfassungskommission hat im Jahr 1994 im Übrigen sowohl von einer neuen Verfassung oder einer Totalrevision als auch von einer Volksabstimmung abgesehen.
Um es abschließend erneut vereinfacht darzustellen – das Grundgesetz IST die Verfassung der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland.

Herzliche Grüße

Peter Wichtel