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Kathrin Senger-Schäfer
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Frage von Alexander W. •

Frage an Kathrin Senger-Schäfer von Alexander W. bezüglich Kultur

Sehr geehrte Frau Senger-Schäfer,

im Neuen Deutschland v. 3.12.11 lese ich Ihre fulminante Kritik an der Umstellung des Finanzierungssystems für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Abgesehen davon, dass Sie eigentlich wissen müssten, dass es dabei nicht nur um die ARD geht und Sie sich insbesondere der Sorgen ostdeutscher Datschen-Besitzer annehmen, vermisse ich Ihre alternativen Vorschläge. Möchten Sie den Etat des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens reduzieren und damit die Akzeptanz der Privatsender verbessern? Bevorzugen Sie es, wenn nach wie vor GEZ-Vertreter von Tür zu Tür ziehen?
Auch dem Positionspapier Ihrer Partei v. 6.7.2008 entnehme ich keine Alternative zur Haushaltsgebühr, nur die - auch von mir unterstütze - Forderung nach großzügigen Befreiungsregelungen.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Weil,

haben sie vielen Dank für Ihre Frage. Es freut mich, dass Sie meinen Artikel gelesen haben, und ich nun Gelegenheit erhalte, kurz meine Argumente zu präzisieren.

Selbstverständlich umfasst der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht nur die ARD, sondern auch das ZDF und das Deutschlandradio. Das ist im Artikel auch deutlich benannt. Der Bezug allein auf die ARD ergibt sich aus der Tatsache, dass es ein Vertreter dieser Einrichtung war, der nach Angaben der Ministerpräsidenten der Länder stellvertretend für alle öffentlich-rechtliche Sendeanstalten die vermeintliche Freistellung der Ost-Lauben verkündet hatte.

Vom "Neuen Deutschland" war ich explizit um einen Artikel zu dieser Problematik angefragt worden. Unter dem Datum 10.05.2010 hatte ich dort bereits die Umrisse unseres Alternativvorschlages skizziert. Demnach stehen wir für die Fortentwicklung der gerätebezogenen Gebühr: Rundfunkgebühr soll nur der zahlen, der auch Rundfunk nutzt. Die Grundgebühr für Radios und neuartige Empfangsgeräte muss erhalten bleiben. Die Rundfunknutzung über Handys und PCs soll wie bei einem Online-Zeitungsabo mit einer zugeteilten PIN-Nummer freigeschaltet werden.

Ferner fordern wir die Ausweitung der Befreiungstatbestände auf Geringverdiener, für Bibliotheken, Hochschulen oder Feuerwehren, ebenso für Zweitwohnungen, Gärten, Arbeitszimmer oder Dienstwagen. Eine Gegenfinanzierung soll durch eine Übernahme der Gebühr durch die Träger von sozialen Leistungen erfolgen. Diesen Vorschlag hat übrigens auch Prof. Kirchhof unterbreitet.

Der Etat des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird durch eine Fortentwicklung des gerätebezogenen Modells keineswegs gekürzt. Solche Behauptungen entbehren jeglicher Sachgrundlage - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen aus der Gebühr gegenwärtig tatsächlich steigen.

Mit dem Übergang zur generellen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe hingegen sind weitreichende Folgen verbunden: Für 2,4 Millionen Beitragszahler, die bisher nur ein Radio und einen PC nutzten, verdreifacht sich die Gebühr. Für mehr als 775.000 Personen mit Behinderungen, die bislang von Rundfunkbeiträgen befreit waren, wurde der Nachteilsausgleich gestrichen. Künftig zahlen sie einen Beitrag in Höhe eines Drittels des vollen Betrags. Für mehr als 1,1 Millionen Inhaber von Zweitwohnungen, darunter Hunderttausende von Fernpendlern, die eine zweite Wohnung mieten, um Beruf und Lebensraum besser zu verbinden, sowie rund 1 Million Besitzer von privat genutzten Ferienwohnungen wird ein doppelter Beitrag verpflichtend vorgegeben. Für eine unbekannte Zahl bewusster Nichtnutzer von Radio und Fernsehen schließlich wird der Rundfunkbeitrag zur Zwangsabgabe. Auch für Betriebsstätten ergeben sich mit der Umstellung des Rundfunkfinanzierungssystems erhebliche Mehrkosten, da sich ihre Pauschalabgabe an der Anzahl ihrer Mitarbeiter hochrechnet. Zudem muss für jedes gewerblich genutzte Kraftfahrzeug ein Drittel des vollen Betrags an die GEZ abgetreten werden.

Besonders kritisch müssen die Neuerungen in der Rundfunkfinanzierung und Beitragseinzugspraxis aus datenschutzrechtlicher Perspektive betrachtet werden: Zum 01. Januar 2012 beginnt die Erhebung von Daten für das neue System. Alle volljährigen Personen in Deutschland müssen dann schriftlich alle Tatsachen gegenüber den zuständigen Landesrundfunkanstalten anzeigen, die Grund und Höhe der Beitragspflicht betreffen. Darunter: Vor- und Familienname sowie frühere Namen, unter denen eine Anmeldung bestand; Tag der Geburt; Vor- und Familienname oder Firma und Anschrift des Beitragsschuldners und seines gesetzlichen Vertreters; gegenwärtige Anschrift jeder Betriebsstätte und jeder Wohnung, einschließlich aller vorhandenen Angaben zur Lage der Wohnung; letzte der Landesrundfunkanstalt gemeldete Anschrift des Beitragsschuldners; vollständige Bezeichnung des Inhabers der Betriebsstätte; Anzahl der Beschäftigten der Betriebsstätte; Datum des Beginns des Innehabens der Wohnung, der Betriebsstätte oder des beitragspflichtigen Kraftfahrzeugs; Anzahl und Zulassungsort der beitragspflichtigen Kraftfahrzeuge.

Zum Abgleich der vorhanden Datensätze von 40 Millionen Haushalten kommt es zudem zu einer pauschalen Datenübermittlung von allen volljährigen Personen durch die Einwohnermeldeämter. Weiterhin wird der GEZ mit dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) eingeräumt, Auskünfte - ohne Kenntnis der Betroffenen - unter anderem von privaten Adresshändlern, Inkassounternehmen, Versicherungen und selbst Vermietern sowie weiteren staatlichen Stellen einzuholen. Es entstünde ein bundesweites Melderegister, zu dem nach aktueller Rechtslage nahezu jeder Sachbearbeiter Zugriff hätte. Die GEZ würde faktisch zur "Supermeldebehörde", so der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig.

Auch wird der externe Beauftragtendienst der Landesrundfunkanstalten, über dessen dubiose Fahndungsmethoden und aggressives Verhalten es immer wieder Beschwerden gibt, nicht abgeschafft. Es steht zu befürchten, dass dieser künftig vor Ort auszuforschen hat, welche Raumeinheiten zum Wohnen oder Schlafen geeignet sind und wer alles zu einer Wohnung gehört.

Ich bin mir sicher, dass sie einen anderen Blick auf die Folgewirkungen des Modellwechsels - auch in Hinsicht auf daraus resultierende negative Auswirkungen auf die noch bestehende breite Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bevölkerung - erhalten, sobald Sie einen Blick in den tatsächlichen Text des neuen Rundfunkbeitragsstaatsvertrags nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Senger-Schäfer