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Frage von Akuim G. •

Frage an Jörg van Essen von Akuim G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr van Essen,

mein Fachbereich ist die Politikwissenschaft. Darf ich Ihnen eine Behauptung zukommen lassen, die ich für ungeheuerlich halte:

3. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat mit gültigem Urteil festgelegt: In der Bundesrepublik Deutschland ist es wegen andauernder, durch die hiesige Justiz nicht abzustellende Menschenrechtsverletzungen zu einem Stillstand der Rechtspflege gekommen. Damit sind Menschenrechtsverletzungen nicht nur an der Tagesordnung, sondern durch die Justiz der Bundesrepublik Deutschland auch noch gedeckt und nicht abzustellen.

Wie sehen Sie diesen Vorwurf ?
Ist er wahr ?

Mit freundlichen Grüßen, A. Göskesivas

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Antwort von
FDP

Guten Tag!

Vielen Dank für Ihre Zuschrift. Die Dauer von Gerichtsverfahren in Deutschland ist immer wieder Gegenstand von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verpflichtet den Staat, sein Justizwesen so zu gestalten, dass seine Gerichte allen Anforderungen des Artikels 6 gerecht werden, einschließlich der Pflicht, innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden. Der EGMR hat tatsächlich mehrfach gerügt, dass in Deutschland kein Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren bestehe (so z.B. EGMR, Große Kammer, Urteil v. 8.6.2006, AZ 75529/01 – Sürmeli./.Deutschland).

Der Urteilstenor wird jedoch durch die von Ihnen zitierte Behauptung in unrichtiger Weise dargestellt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Dauer der Gerichtsverfahren in Deutschland zufriedenstellend. Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass Verfahren unverhältnismäßig lange dauern und der Bürger dadurch in seinen Rechten aus Art. 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) sowie Art. 6 Absatz 1 EMRK verletzt ist.

Den Vorwurf allerdings, dass Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik Deutschland an der Tagesordnung sind und diese auch noch durch das Justizsystem gedeckt seien, empfinde ich als schier unerträglich. Ebenso kann ich den Vorwurf eines Stillstandes der Rechtspflege vor dem Hintergrund meiner langjährigen Tätigkeit als Oberstaatsanwalt nur als absurd bezeichnen.

Alle staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind verpflichtet, das Grundgesetz und die darin verankerten Menschenrechte zu achten. Sowohl Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt als auch die Rechtsprechung sind gemäß Art. 1 Absatz 3 GG an das geltende Recht gebunden.

Aus meiner langjährigen Tätigkeit als Oberstaatsanwalt in Nordrhein-Westfalen kann ich aus Überzeugung sagen, dass deutsche Gerichte grundsätzlich die Menschenrechte der Bürger schützen und als unabhängige Organe der Rechtspflege das Rechtsstaatsgebot achten. Sollte es dennoch zu einer Verletzung von Grundrechten kommen, eröffnet Art. 19 Absatz 4 GG jedem Bürger eine Rechtsweggarantie.

Als Jurist und zugleich überzeugter liberaler Politiker ist es mir stets ein besonderes Anliegen, dass Justizgewährleistungsansprüche der Bürger sichergestellt und geachtet werden. Deutschland hat die EMRK mit unterzeichnet und sich so der Rechtsprechung des EGMR unterworfen. Der FDP ist es immer wichtig, die Rechtsprechung des EGMR in unsere Arbeit einzubinden. Die FDP-Bundestagsfraktion verfolgt das Thema sehr genau. Ich möchte an dieser Stelle auch auf unsere kleine Anfrage zum Rechtsschutz gegen überlange Verfahren bei Gericht (BT-Drucksache 16/7558) verweisen. Einen Link zu dieser sowie der Antwort der Bundesregierung füge ich Ihnen im Folgenden bei:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/076/1607655.pdf

Ich finde es jedoch befremdlich, dass einschlägige unseriöse Internetauftritte, die sich die Verbreitung von Verschwörungstheorien zur Aufgabe gemacht haben, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für ihre Propagandazwecke verfälschen und missbrauchen.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg van Essen, MdB