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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Jörg S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Jörg S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Laut Datenschutzreport der Bundesregierung Ende der 90-er Jahre waren jährlich maximal 3 - 8 % der Asylbewerber anerkannt. Ist es zum 1. richtig, dass die nicht anerkannten keineswegs abgeschoben wurden, sondern sich nach wie vor in unserem Land aufhalten und ihr Lebensunterhalt aus unseren Steuergeldern finanziert wird und zum 2. unser soziales Netz auch durch diese Ausbeutung vor dem Zusammenbruch steht. Bei einer angenommenen Zahl von ca 1 Mio Asylbetrügern kommt bei einer angenommenen Summe von ca 800 EUR monatlich pro Kopf ein schönes "Sümmchen" zusammen.

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schneider,

namens Herrn Ströbele antworte ich auf Ihre Zuschrift an ´Kandidatenwatch´. Dabei erlaube ich mir, den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt aufzuklären und die erwähnten Fakten richtigzustellen.

1) Eingangs weise ich die von Ihnen verwendeten Begriffe "Asylbetrüger" und Ausbeutung nachdrücklich zurück.

2) Nicht anerkannte Asylantragsteller werden entgegen Ihrer Annahme regelmäßig sogleich ausgewiesen und auch abgeschoben, sofern sie nicht freiwillig ausreisen und kein Abschiebehindrnis vorliegt. Durch die materiellen Zuwendungen an nicht ausgereiste, abgewiesene Asylantragsteller steht "unser soziales Netz" entgegen Ihrer Annahme nicht vor dem Zusammenbruch.

3) Gegenüber der von Ihnen genannten Zahl beträgt die tatsächliche Schutzquote für Flüchtline in Deutschland insgesamt zwischen 15 - 20%.

Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration prüft drei Fallgruppen

· eine Asylanerkennung nach Art. 16a GG

· den Status als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

· das Vorliegen von menschenrechtlichen bzw. tatsächlichen Abschiebungshindernissen.

Die jeweiligen Anerkennungsquoten schwanken über die Jahre zum Teil
erheblich:

· 1995 wurden noch 9 % aller Antragsteller als_ Asylberechtigte_
anerkannt._ 2004 lag diese Quote bei 1,5%._

· 2001 wurden 16% als_ GFK-Flüchtlinge_ anerkannt. Im_ 1. Quartal
2005 liegt diese Quote bei 5%_.

· 2001 wurden 3% aller Antragsteller aus menschenrechtlichen bzw.
tatsächlichen Gründen_ Abschiebungsschutz_ gewährt._ 2004 lag diese
Quote bei 1,6%_

Wichtig ist, dass bei gerichtlichen Überprüfungen von Ablehnungsbescheiden des Bundesamtes in der Regel nochmals ca. 10% anerkannt werden.

Rechnet man diese Zahlen zusammen so ergibt sich: In den Jahren 2002-2005 wurde zwischen 15 - 20% aller Antragsteller als Flüchtlinge anerkannt oder ihnen zumindest aus menschenrechtlichen bzw. tatsächlichen Gründen Abschiebungsschutz gewährt.

4) Asylantragsteller, Ausreisepflichtige u.a. Flüchtlinge erhalten entgegen Ihrer Annahme nicht 800 EUR monatlich, sondern regelmäßig bloße Sachleistungen (Gemeinschaftsunterkunft, Kleidung, Verpflegungspakete etc) oder Warengutscheine im Gesamtwert von 184,07 EUR plus 40,90 EUR Taschengeld = zusammen 224,97 EUR, d.h. um 35 - 65% gegenüber der Sozialhilfe für Alleinstehende nach SGB XII bzw. ALG II/"Hartz IV" für Arbeitssuchende gekürzt. Diese Leistungen können im Ergebnis komplett verweigert bzw. eingestellt werden, wenn Ausländer nur zum Zweck des Leistungsbezugs nach Deutschland einreisten oder ihre Abschiebung vereiteln; hiervon machen z.B. mehrere Berliner Bezirke restriktiv Gebrauch, so daß sogar notwendige Krankenbehandlung z.T. nicht gewährt wird. Einen Überblick über Sozialleistungen an Flüchtlinge sowie die kontinuierliche Verschärfung von Leistungsvorrausetzungen und Verringerung des Leistungsumfangs erhalten Sie unter http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/gesetzgebung/KurzinfoAsylbLG-93-97-98-05.pdf

5) In Deutschland leben entgegen Ihrer Annahme auch nicht 1 Million Menschen, die derzeit nicht in ihre Heimatländer ausreisen können, sondern nach vorsichtigen Schätzungen, die allerdings sehr varieren, nur etwa 200.000. Schon daher sind die geldwerten Leistungen an diesen Personenkreis weit geringer als Sie annehmen.

Abschließend bekräftige ich, daß Deutschland nach Herrn Ströbeles Überzeugung auch künftig Zuwanderung und mehr Integrationsangebote braucht : nicht nur angesichts seiner demografischen Alterungstendenz sowie zur kulturellen Bereicherung in einer globalisierten Welt, sondern auch zur wirtschaftlichen Prosperität Deutschlands und zur Absicherung bzw. Genesung der hiesigen Sozialversicherungssysteme.

Ich begrüße Sie

i.A. Christian Busold

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihre Fragen an Herrn Ströbele. Er hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.

Zu 1. Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden, werden deshalb nicht abgeschoben, weil Abschiebehemmnisse der Abschiebung entgegenstehen. Sonst wird abgeschoben. Insofern ist der Begriff "Asylbetrüger" nicht nur deshalb fehl am Platz, weil er diffamierend ist, sondern auch weil er überhaupt sachlich falsch ist.
Wenn von Betrug o.ä. die Rede ist, können Sie nur 2 Kategorien nennen:
a) diejenigen, die Asyl erhalten unter Vorhalt falscher Tatsachen. Z.B. jemand gibt an, er werde verfolgt und sei gefoltert worden , ist es aber gar nicht. Dies kann es praktisch kaum geben, das umgekehrte ist dagegen häufig bekannt: dass trotz nachgewiesener Verfolgung und Folter nicht anerkannt wird, weil die Staatlichkeit dieses Tuns in Frage gestellt wird.
b) diejenigen, die sich illegal in Deutschland aufhalten (keine Papiere haben), diese haben aber keinen Zugang zu den sozialen Systemen, bekommen also auch kein Geld.

Mit dem Gesagten wird hoffentlich klar, dass es diese "Asylbetrüger" gar nicht gibt. Sondern es gibt eine große Zahl von Menschen, die hier bleiben dürfen, weil es Abschiebehemmnisse gibt wie Kriege oder gewaltsame Auseinandersetzungen in ihren Heimatländern. Nur einem Bruchteil davon wird aber politisches Asyl gewährt, weil man hofft, die anderen später - wenn die Situation in deren Herkunftsländern sich stabilisiert hat, wieder rückführen zu können. Daher die von Ihnen eingangs genannten Zahlen.

Zu 2. Unser soziales Netz steht nicht durch Asylsuchende vor dem Zusammenbruch.
Setzen sie die von Ihnen genannten Zahlen einfach ins Verhältnis: die sozialen Sicherungssysteme haben ein Volumen von jährlich ca. 400 Mrd. Euro. Die Transferleistungen, die der Westen Deutschlands jährlich an den Osten überführt, haben ein Volumen von mehr als 50 Mrd. Euro. Zum Vergleich: die Entwicklungshilfe aller Länder des Globus zusammen hat auch nur ein Volumen von ca. 80 Mrd. Euro! Da fallen die von Ihnen genannten Zahlen, selbst wenn sie stimmen würden, kaum ins Gewicht. Unsere sozialen Sicherungssysteme haben schwere Probleme durch den Rückgang der Lohnarbeit, aber sicher nicht wegen Asylsuchenden.

Mit freundlichen Grüssen

Dietmar Lingemann