Christina Fritsch
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Christina Fritsch zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Holm M. •

Frage an Christina Fritsch von Holm M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Werte Frau Fritsch,

am vergangenen Wochenende wurde mitten in Freital ein Umsiedlerheim (darunter auch kleine Kinder) mit Steinen und Flaschen von offensichtlich rechtsgerichten Jugendlichen angegriffen. Dabei wurden drei Bewohner verletzt, die Polizei griff nicht ein. Dies ist nicht der erste gewaltsame Übergriff von rechts-extremen Jugendlichen auf wehrlose Opfer in ihrem Wahlkreis. In der Folge führte die Tat zur Selbstjustiz der Bewohner und Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen. So fremdenfeindlich und unsicher, stelle ich mir keine Touristenregion vor und potentielle Besucher sicherlich auch nicht.

Wie stellen Sie sich zur örtlichen Situation?
Was gedenken Sie vor Ort zu tun.
Wie kann man ihrer Meinung nach, langfristig das gesellschaftliche Klima im Landkreis Sächsische Schweiz zum positiven ändern?

Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Merkel,

nicht nur ich als Freitalerin bin entsetzt über die Vorgänge am Wochenende des 13./14. August. Ich bin entsetzt im doppelten Sinne. Einerseits kann ich nicht verstehen, wie bei einem so geringen Ausländeranteil in Freital (vermutlich) rechts gerichtete Jugendliche einen Überfall auf das Aussiedlerheim verüben. Andererseits kann ich aber auch nicht den Racheakt von Jugendlichen aus dem genannten Heim auf Besucher auf einem Stadtteilfest gut heißen. Gewalt löst nun mal keine Probleme.

Und offensichtlich haben wir Probleme in Zusammenleben zwischen Inländern und Ausländern, zwischen Rechten und Linken; und das nicht nur in den Gebieten mit hohem Ausländeranteil, sondern auch in den Regionen mit hohem Anteil von rechten Gruppierungen.

Mein Wahlkreis umfasst die Landkreise Sächsische Schweiz und Weißeritzkreis. Einerseits ist die NPD gemeinsam mit ihren Vorfeldorganisationen dabei, den Landkreis Sächsische Schweiz zu einer nationalsozialistischen Modellregion zu entwickeln. Andererseits ist die NPD drauf und dran, das gleiche Projekt auch im Weißeritzkreis zu realisieren. Dabei ist auffällig, dass insbesondere die Jugend anfällig gegenüber den Werbeversuchen der NPD ist.

Nun muss man das Folgende wissen: Im Landkreis Weißeritzkreis, zu dem Freital gehört, wurden die Haushaltmittel des Landkreises unter der Verantwortung des Landrates Greif (CDU) für die Unterstützung der Jugendarbeit seit dem Jahr 2003 um mehr als 50 % gekürzt. Im Ergebnis haben sowohl die bekannten freien Träger wie AWO, Diakonie und andere ihre Projekte und Dienste teilweise einstellen müssen. Aber auch Träger wie Pro Jugend e.V. und vergleichbare andere mussten ihre Arbeit einschränken und Mitarbeiter entlassen. Das Ergebnis ist, dass Jugendarbeit nur noch in einem deutlich reduzierten Maße stattfinden kann. So wie sich der Staat - hier der Landkreis - aus diesem wichtigen Feld zurückzieht, füllt die NPD diese Lücke aus (vgl. dazu auch hier im kandidatenwatch.de Pkt. 5 der Antwort von Herrn Leichsenring vom 16.08.05 auf die Frage von Herrn Schultz). Die für dieses Engagement der NPD erforderlichen Gelder stammen jedenfalls nicht aus öffentlichen Kassen.

Das Ergebnis ist, dass der demokratische Staat- wegen fehlender Gelder die Jugend den rechten Parteien überlässt, mit allen Konsequenzen, die dieses Verhalten hat. Ich skizziere nur dies: Die zwölf bis fünfzehn Jahre alten Jugendlichen, die heute an Wanderungen, Grillfesten und AG-Arbeit der NPD teilnehmen, werden zur Bundestagswahl in vier bw. Acht Jahren mit ziemlicher Sicherheit NPD wählen. Dabei spielt es vermutlich keine Rolle, ob diese Jugendlichen von heute später auch NPD-Mitglieder werden.

Wie unsensibel die Verantwortlichen in Freital mit der Problematik im Ganzen und dem konkreten Problem des Überfalls auf das Aussiedlerheim in Einzelnen umgehen, zeigt der folgende Presseausschnitt:

Freitals Oberbürgermeister Klaus Mättig (CDU) zeigt sich geschockt von den Geschehnissen. …… Dass der Angriff aufs Aussiedlerheim das Werk rechtsradikaler Freitaler ist, mag auch er nicht recht glauben. „Ich würde das lieber unter der Rubrik Fußballrandale einordnen“, sagt er. „Sollten die Ermittlungen einen rechten Hintergrund ergeben, wäre das für mich als Oberbürgermeister eine furchtbare Enttäuschung.“

Man könnte verzweifeln, wenn es da nicht engagierte Bürger gäbe, die ihre gesamte Freizeit daran setzen, dieser Gefahr zu begegnen. Ich nenne da nur das „Netzwerk Sachsen gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“, das unlängst mit dem Regine-Hildebrandt-Preis ausgezeichnet wurde.

Und auch dies ist ein kleiner Mutmacher:

„Ich finde es schrecklich, dass Freital durch diese Gewaltvorgänge wieder Negativschlagzeilen macht“, sagt der Hainsberger Pfarrer Christian Burkhardt, der als Parteiloser in der SPD-Stadtratsfraktion arbeitet. Er hatte Anfang dieses Jahres eine gemeinsame Ratserklärung gegen Rechtsextremismus und Gewalt initiiert.

Sollte ich in den Deutschen Bundestag gewählt werden, werde ich alle Träger der Jugendarbeit in meinem Wahlkreis gemeinsam mit anderen demokratischen Kräften, z.B. Vertretern der Kirchen, der Gemeinden und der Schulen, an einen Tisch holen. Mit ihnen will ich beraten, wie wir finanzielle Mittel und Kräfte bündeln können, um interessante und attraktive Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche unterbreiten zu können. Aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ können Initiativen finanziert werden, die Kinder- und Jugendarbeit gestalten. Wenn es gelingt, die Kinder und Jugendlichen an demokratische Kräfte zu binden, haben rechte Rattenfänger keine Chance. Derartige Programme müssen aber sicher über viele Jahre hinweg kontinuierlich laufen, wenn sie zu dauerhaften Erfolgen führen sollen.

Sehr geehrter Herr Holm, wessen Herz voll ist, dessen Mund geht über. Bitte entschuldigen Sie die emotionale Antwort auf Ihre wohltuend sachliche Frage zu einem entsetzlichen Vorgang.

Mit freundlichen Grüßen

Christina Fritsch