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Frage von Jürgen W. •

Frage an Caren Marks von Jürgen W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Frau Abgeordnete Marks,

zunächst möchte ich mich für Ihre Antwort bedanken.
Ich habe mich intensiv mit Ihrer Antwort, welche Sie auf Abgeordneten-Check hinterlassen haben, befasst.
Sie geben da den EU-Gouverneursrat als Entscheidungsträger an. Deutschland hat wohl einen gewichtigen Einfluß in diesem Gremium.
Daher meine Frage :
Vergleichen Sie den Gouverneursrat mit dem Deutschen Bundestag oder setzen Sie ihn gleich bezüglich einer demokratischen Legitimation durch den wahlberechtigten Bürger ?
In gespannter Erwartung Ihres Demokratieverständnisses

und weiterhin nachdenklichen Grüssen

Jürgen Wagner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Herr Wagner,

ich vergleiche den Gouverneursrat, der nichts anderes ist als eine Konferenz von Finanzministern, nicht mit dem Deutschen Bundestag. Ein Vergleich zwischen mittelbar demokratisch legitimierten Exekutiv- und einem gewählten Legislativorgan verbietet sich von vorneherein. Positiv herauszustellen ist aber die Regelung, dass der deutsche Finanzminister keinen wesentlichen Fragen im Gouverneursrat zustimmen darf, ohne die Ermächtigung des Bundestages zu haben. Und da der Rat in vielen Fragen einstimmig beschließen muss, hat der Bundestag faktisch ein Vetorecht bei den Entscheidungen des Gouverneursrates. Hierüber ist ein hohes Maß demokratischer Legitimation hergestellt worden. Ich hoffe, dass dies meine Position klarstellt.

Da wir uns zuvor bereits über die Eurorettung ausgetauscht hatten, möchte ich Ihre Frage zum Anlass nehmen, mein Abstimmungsverhalten bei den jüngsten Beschlüssen zu erläutern. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir die Zustimmung zum Fiskalpakt nicht leicht gemacht habe. In der letztendlich notwendigen Güterabwägung habe ich mich jedoch zu einem „Ja“ entschlossen. Gleiches gilt für die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD hat die Entscheidungen zum Europäischen-Stabilitäts-Mechanismus (ESM) und zum Fiskalpakt mit großer Mehrheit mitgetragen. Ein „Ja“ der SPD zum ESM und Fiskalpakt ist jedoch mitnichten ein „Ja“ zur merkelschen Politik, die es bislang nicht vermocht hat, die krisengeschüttelte EU dauerhaft zu stabilisieren. Die Zustimmung der SPD zeigt vielmehr: Wir nehmen unsere Verantwortung für ein solidarisches und handlungsfähiges Europa auch als Oppositionspartei ernst und verfallen nicht in einen Euro-Populismus. Das kann sich Europa in dieser dramatischen Lage nicht leisten. Die Regierung Merkel hat bei den beiden Abstimmungen über ESM und Fiskalpakt wieder keine eigene Kanzlermehrheit erreicht. Dies ist ein weiterer Beleg für den desolaten Zustand dieser abgewirtschafteten Regierung.

Die zwei Instrumente gegen die Krise (ESM und Fiskalpakt) entsprechen sicher nicht in allen Belangen vollständig sozialdemokratische Vorstellungen. Insbesondere der Euro-Rettungsschirm ist jedoch ein zentraler Beitrag zur Krisenbewältigung. Das Überleben eines wirtschaftlich erfolgreichen und unseren Sozialstaatsprinzipien verpflichteten Europa ist wichtiger als eine Blockadepolitik, die der SPD – wenn überhaupt – nur kurzfristig Vorteile bescherte. Für uns ist aber auch klar: ESM und Fiskalpakt sind nur Etappenziele auf dem Weg zur Rettung der Eurozone. Für eine endgültige Lösung der Krise brauchen wir weitere Schritte in Europa.

Die SPD hat sich ihre Entscheidung beim Fiskalpakt wahrlich nicht leicht gemacht. Dies gilt auch für meine persönliche Entscheidungsfindung. Ein Vertrag, der in strikter Haushaltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung aller Probleme der Eurozone sieht, trägt alles andere als eine sozialdemokratische Handschrift. Ein kategorisches „Nein“ zum Fiskalpakt wäre aber das falsche Signal in der Krise: Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist unbestritten, dass die Euro-Staaten ihre gigantischen Schuldenberge in den Griff bekommen müssen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fängen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Und vergessen wir nicht: Sowohl im Bund als auch in einigen Ländern haben wir dazu beigetragen, Schuldenbremsen verfassungsrechtlich zu verankern. Und wir haben dabei durchgesetzt, dass eben nicht nur eine Verantwortung für die Ausgaben, sondern auch für die Einnahmen besteht. Daher ist die Behauptung vieler Kritiker, dass Schuldenbremsen automatisch zu Sozialabbau führen, so nicht richtig.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Noch nie hat sich ein Land mitten in einer Rezession aus einer Krise heraus gespart. Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschuldeten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Dem „nackten“ Fiskalpakt hätte die SPD nicht zustimmen können, da er die Krise eher verschärft als eingedämmt hätte. Deswegen haben wir hart mit der Bundesregierung verhandelt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergänzung des Fiskalpakts durch einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend gescheitert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialdemokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Oppositionspartei einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen. Wir haben im Einzelnen durchgesetzt:

1) Union und FDP haben die gerechte Besteuerung des Finanzsektors lange Zeit blockiert und damit verhindert, dass auch die Verursacher der Krise an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Dank uns wird die Finanztransaktionssteuer nun endlich kommen, leider nicht in allen, aber doch zumindest in voraussichtlich zehn Partnerländern. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

2) Wir haben erreicht, dass sich die Bundesregierung zu erheblichen Impulsen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa bekennt. Dazu gehört, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode gezielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Zudem darf es bei den Verhandlungen über den neuen EU-Finanzrahmen 2014-2020 zu keinen Kürzungen bei den Struktur- und Kohäsionsfonds kommen. Um zusätzliche Investitionen zu mobilisieren, soll das Kapital der Europäischen Investitionsbank erhöht und das Programm für europäische Projektanleihen aufgestockt werden. Insgesamt stehen damit rund 130 Milliarden Euro für Wachstumsimpulse zur Verfügung.

3) Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen auch unserer Forderung zugestimmt, ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen. Mit einer Jugendgarantie soll jedem Jugendlichen spätestens vier Monate nach Schulabschluss oder Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle angeboten werden. In den Mitgliedstaaten mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit sollen durch zeitlich befristete Lohnzuschüsse Anreize für Unternehmen gesetzt werden, Jugendliche auszubilden oder neu einzustellen. Die Bundesregierung wird sich ebenfalls dafür einsetzen, dass das bisher als Pilotprojekt laufende EURES-Programm zur Förderung der europaweiten Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf die Ausbildungsvermittlung erweitert und finanziell aufgestockt wird.

4) Die Bundesländer haben weiterhin bis 2020 Zeit, die Regeln der Schuldenbremse einzuhalten. Der Bund hat sich verpflichtet, die Kommunen im Sozialbereich finanziell um mehrere Milliarden Euro zu entlasten.

Wenn Sie mir Ihre Anschrift oder Emailadresse zukommen lassen, schicke ich Ihnen gern eine ausführliche Darlegung meiner Gründe, mit "Ja" gestimmt zu haben.

Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
Ihre
Caren Marks, MdB