Portrait von Birgitt Bender
Birgitt Bender
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Birgitt Bender zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Anke N. •

Frage an Birgitt Bender von Anke N. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Bender!

Ich habe einige Fragen zu dem Thema Regressverfahren für Ärzte.
Mit wie vielen bereits regressierten Ärzten haben Sie schon persönlich gesprochen ?
Meinen Sie wirklich ,daß der betroffene Arzt dieses Verfahren psychisch und finanziell leicht bewältigt?Gibt es auch andere Länder in Europa,in denen Ärzte genauso abgestrafft werden ? Wissen Sie ,daß Regresse immer mit deutlicher Verspätung ausgesprochen werden ,ohne das Fehler zunächst korrigiert werden können.
Der Arzt muß aufschreiben können,was er für den Patienten am besten hält.Der Zahler-also die Krankenkasse- muß mit dem Patienten dann aushandeln,was sie bereit ist zu erstatten. Das funktioniert woanders auch so. Das gesamte Risiko für die Verordnung ,und das triftt im großen Maße die Hausärzte,liegt beim Arzt. Alle anderen verdienen dabei weiter (Apotheker,Großhandel, Pharmazeutische Industrie,Masseure, Ergotherapeuten,Logopäden usw.)
Das ist ein perverses System.Viele wären schon längst ausgestiegen,wenn die Finanzen so gut bei den Ärzten wären,wie Sie und Ihre Kollegen es sich vorstellen.

Portrait von Birgitt Bender
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Dr. Ney,

gerade weil meine KollegInnen und ich in regelmäßigem Kontakt mit ÄrztInnen und VertreterInnen von Ärzteverbänden stehen, haben wir Grünen das Thema Regresse parlamentarisch aufgegriffen. So wurden wir etwa auf dem grünen Ärztetag, zu dem wir im Mai 2011 nach Berlin eingeladen hatten (einen Bericht finden Sie unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/gesundheit/dok/381/381062.aerztliches_berufsbild_im_wandel.html ) mehrfach auf dieses Thema angesprochen.

Dass Wirtschaftlichkeitsprüfungen und mögliche Regresse im konkreten Einzelfall psychisch und physisch sehr belastend sind, ist unstrittig. Aus den Berichten, die uns von Ärztinnen und Ärzten erreichen, wird deutlich, dass es in der konkreten Ausgestaltung der Prüfverfahren mit Sicherheit Verbesserungsbedarf gibt, etwa bei der Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Diese müssen jedoch größtenteils vor Ort geklärt werden, da die bundesgesetzlichen Vorgaben den Rahmen vorgeben, den dann Kassen und Ärzte vor Ort konkretisieren. Die Bundesregierung plant im Versorgungsstrukturgesetz im Bereich der Richtgrößen und der Wirtschaftlichkeitsprüfungen Deregulierungen und Flexibilisierungen, die wir Grünen unterstützen. So soll das Prinzip „Beratung vor Regress“ gestärkt und Regresse bei Überschreitungen des Richtgrößenvolumens in den ersten beiden Jahren begrenzt werden. Ebenso ist vorgesehen, dass Versicherte den Anspruch erhalten, notwendige Heilmittelbehandlungen bei Bedarf langfristig genehmigt zu bekommen. Solche langfristigen Heilbehandlungen sollen zukünftig nicht den Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei ÄrztInnen unterliegen.

Ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem ist darauf angewiesen, dass Prüfmechanismen existieren, die den Aspekten Qualität und Wirtschaftlichkeit nachgehen. Dabei muss aber auch wahrgenommen werden, dass Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regresse nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. Nach den uns vorliegenden Zahlen waren im Jahr 2007 2,7 % der Praxen von Richtgrößenverfahren und 0,7 % der Praxen von Regresse betroffen. Im Jahr 2008 waren es 0,5% der ärztlichen Praxen. Daher bin ich bei der Bewertung der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage (Drucksachennummer 17/6879 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/068/1706879.pdf ) zu folgender Bewertung gekommen:

„Diese Daten zeigen, dass die tatsächliche Zahl der Regresse in deutlichem Widerspruch zur wahrgenommenen Existenzbedrohung in der Ärzteschaft stehen. Da die Bundesregierung für Heilmittel mit einer geringeren Betroffenheit rechnet, scheint die Wahrscheinlichkeit, aktuell von Regressen betroffen zu werden, in der Ärzteschaft deutlich überschätzt zu werden. Anders gesagt: Wer als Arzt verantwortlich mit dem Rezeptblock umgeht, hat nach den aktuell vorliegenden Zahlen keine Strafzahlung zu befürchten.
Die Bundesregierung bleibt eine Antwort schuldig, welche Entwicklungen es bei Regressen im Zeitablauf gibt. Auffällig ist, dass die uns von Ärzten geschilderten Fälle insbesondere Zeiträume vor 2007 betreffen, sich jedoch bis heute ziehen, da der Klageweg beschritten wurde. Erfahrungen aus der Vergangenheit könnten einen realistischen Blick auf die aktuelle Entwicklung verstellen.
Die Bundesregierung enthält sich einer eigenen Bewertung der Situation und verweist auf die Position der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Lieber hätte die Bundesregierung bei der KBV umfassende und solide Daten zum Umfang der Wirtschaftlichkeitsprüfungen sowie zur Verteilung der Regresse auf Arztgruppen, auf die Kassenärztliche Vereinigungen, auf die Höhe der Forderungen oder auf die Verteilung von städtischen und ländlichen Regionen erfragen und zur Verfügung stellen sollen. Ebenso fehlen Informationen über Widersprüche und gerichtliche Auseinandersetzungen. Statt für Transparenz zu sorgen, akzeptiert die Bundesregierung die bestehende Intransparenz. Dies trägt nicht dazu bei, dass Ärztinnen und Ärzte das Prüfungs- und Regressrisiko realistisch einschätzen können.“

Wie Sie sehen, sind wir mit der Antwort der Bundesregierung unzufrieden, da sie sehr allgemein gehalten ist. Sie verweist auf die Bundesländer und schweigt sich zu verschiedenen der angefragten Aspekte wie z.B. Beratung oder Praxisbesonderheiten aus. Daher werden wir den bündnisgrünen Landtagsfraktionen vorschlagen, in den Bundesländern parlamentarische Anfragen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung und Regressen von ÄrztInnen zu stellen. Wir erhoffen uns hiervon die Transparenz, die das Bundesgesundheitsministerium nicht geliefert hat.

Ärztinnen und Ärzte durchlaufen eine lange Ausbildung und nehmen eine anspruchsvolle Tätigkeit wahr, die aus meiner Sicht gut und angemessen honoriert werden sollte. Angesichts der offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes und des Bundesgesundheitsministeriums ist zu vermuten, dass dies der Fall ist. Laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums betrug im Jahr 2009 das durchschnittliche Arzthonorar (ohne PsychotherapeutInnen) aus der gesetzlichen Krankenversicherung 219.000 €. Hinzu kommen Einnahmen aus der privaten Krankenversicherung. Die GKV hat auf der Basis der Verteilung der vom Statistischen Bundesamt erhobenen Daten (Fachserie 2 Reihe 1.6.1, erschienen 2009, Daten 2007) hochgerechnet, dass die Arzthonorare inklusive der Einnahmen aus der Behandlung privat Krankenversicherter im Jahr etwa 313.000 € betrugen.
Das Statistische Bundesamt kam für 2007 zum Ergebnis, dass der Reinertrag einer Arztpraxis (Einnahmen abzüglich aller Praxisaufwendungen, die laut steuerlicher Gewinnermittlung abzugsfähig sind) 142.000 € beträgt (130.000 € bei Einzelpraxen und 160.000 € je Inhaber bei Gemeinschaftspraxen).
Dabei bestehen selbstverständlich Unterschiede zwischen den Arztgruppen. Diese sind jedoch nicht politisch festgelegt, sondern Ausdruck der Verteilung(skämpfe) innerhalb der Ärzteschaft.
Zum Vergleich: Das durchschnittliche Jahresarbeitsentgelt (brutto) beträgt 2011 etwa 30.000 € und ist im Vergleich zu 2010 um etwa 2.000 € gesunken.

Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender