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Frage von Guido S. •

Frage an Alexander Alvaro von Guido S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Alvaro,

schränkt Ihrer Meinung nach der Lissabon-Vertrag das Recht auf Dokumentenzugang ein?

Dies scheint zumindest die Meinung der EU-Kommission zu sein. Im letzten Oktober hatte ich nach Verordnung 1049/2001 Zugang zu Dokumenten eines abgeschlossenen Gerichtsverfahrens vor dem EuGH beantragt und vollständig, d.h. inklusive der Schriftsätze des Klägers erhalten.

Im Januar 2010 hatte ich dann einen entsprechenden Antrag für ein anderes abgeschlossenes Gerichtsverfahren gestellt und jetzt wird mir zu den Dokumenten des dortigen Klägers (also z.B. zur Klageschrift), obwohl diese bei der Kommission vorliegen, der Zugang verweigert.

Begründet wird diese Verweigerung mit dem neuen Artikel 15 Abs. 3 AEUV, der entgegen dem früheren Artikel 255 EU-Vertrag jetzt auch den Gerichtshof erwähnt. Im Ablehnungsbescheid des juristischen Dienstes der Kommission - auf meinen Zweitantrag erhielt ich keinerlei Reaktion heißt es dazu:

"Zwar wird durch Artikel 15 Absatz 3 AEUV das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union erweitert, doch wird in seinem vierten Abschnitt festgelegt, dass »[djieser Absatz [...] für den Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank und die Europäische Investitionsbank nur dann [gilt], wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen".
Somit ist klar, dass dem Gerichtshof vorgelegte Dokumente - wie in diesem Fall die
Schriftstücke der Antragsteller - auch nach der Anpassung der Verordnung (EG)
Nr. 1049/2001 an den Lissabon-Vertrag nicht unter die Regelung für den Zugang der
Öffentlichkeit zu Dokumenten fallen werden."

Teilen Sie diese Rechtsauffassung nach der der Lissabon-Vertrag zu einer Einschränkung der Bürgerrechte im Bezug auf Dokumentenzugang geführt hat und wenn nein, wären Sie bereit dies im EP zu thematisieren?

Mit freundlichem Gruß

Guido Strack

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Strack,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird das Recht der Bürger auf Zugang zu Dokumenten neben den bereits in Artikel 255 des EGV vorgesehenen Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auch für die Dokumente sämtlicher Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union gelten.

Eine Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (zur Umsetzung des ehemaligen Artikels 255 EGV) ist deshalb dringend erforderlich, um die Rechtslücke zu schließen, die seit dem 1. Dezember 2009 für Einrichtungen wie den Europäischen Rat, den Gerichtshof, die EZB oder Agenturen wie Europol und Eurojust besteht. Der Kommissionsvorschlag zur Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001, der derzeit von EP und Rat geprüft wird, geht allerdings nicht auf diese Aspekte ein, da er bereits im Jahr 2008, vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, erarbeitet wurde. Daher muss der ursprüngliche Text der Kommission dahingehend aktualisiert werden, dass die Auswirkungen des Artikels 15 AEUV in vollem Umfang berücksichtigt werden, so dass die neue Verordnung den rechtlichen Rahmentext bildet, in dem "die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für das Recht auf Zugang zu Dokumenten [der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union]" festgelegt werden (Artikel 15 AEUV).

Darüber hinaus sollte, wie der Juristische Dienst des EP zutreffend festgestellt hat, der neue Rechtsrahmen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon den demokratischen Grundsätzen der EU, wie sie in den Artikeln 9-12 EUV verankert sind, nachkommen und die Rechtssicherheit in diesem Bereich verbessern, indem in ihn gleichzeitig die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einbezogen wird, die die Kommission in ihrem Vorschlag von 2008 nicht berücksichtigen konnte. Unbeschadet künftiger Bestimmungen der EU, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 298 AEUV) erlassen werden, sollte besonderes Augenmerk auf die verschiedenen möglichen Aspekte der Transparenz im Rechtsetzungsverfahren und in den Verwaltungstätigkeiten gerichtet werden (wobei die besonderen Regelungen für den Gerichtshof, die EZB und die EIB zu berücksichtigen sind).

Aus diesem Grunde muss in der neuen Verordnung auch ein eindeutigerer, stärkerer und umfassenderer gemeinsamer Rechtsrahmen für den Umgang mit Informationen / Dokumenten festgelegt werden, die im Interesse der EU vertraulich zu behandeln sind (die sogenannten "EUCIDokumente", die derzeit den Artikeln 9 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 unterliegen). Da die Geheimhaltung von EU-Dokumenten ein Eingriff in die Grundrechte der Bürger ist, muss dies (gemäß Artikel 52 der Grundrechte-Charta) selbstverständlich über ein EU-Gesetz erfolgen, in dem die von allen Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union einzuhaltenden Regeln für die Zuerkennung und Aufhebung des Geheimhaltungsgrades von EU-Dokumenten verankert sind.

Diese Thematik wird gegenwärtig von dem Ausschuss Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), dem ich angehöre, sowie dem Ausschuss Konstitutionelle Fragen (AFCO) behandelt. Die Sicherstellung der Bürgerrechte in Bezug auf den Dokumentenzugang ist somit ein wichtiges Anliegen für das Europäische Parlament.

Ich hoffe, Ihnen hiermit einen Einblick in die gegenwärtige Situation gegeben zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Alexander Alvaro