Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Wahlfälschung in bayerischer Gemeinde (Update)

Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt wegen des Verdachts auf Wahlfälschung in der niederbayerischen Gemeinde Geiselhöring. Bei der Kommunalwahl im März hatten auffallend viele auswärtige Erntehelfer eines Großbauern per Briefwahl abgestimmt  - dessen Frau und weitere Familienmitglieder waren auf der CSU-Liste ungewöhnlich stark nach vorne gewählt worden. [Ergänzung vom 19.9.2014: Am Mittwoch durchsuchten Ermittler Räumlichkeiten auf dem Spargelhof. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft richten sich nun offiziell gegen die CSU-Kommunalpolitikerin und vier weitere Verdächtige / Ergänzung vom 2.10.2014: Die Kommunalwahlen wurden vom Landratsamt für ungültig erklärt, s. Updates.]

von Martin Reyher, 27.03.2014

Warum interessierten sich Hunderte Erntehelfer aus Osteuropa für die Kommunalwahl am 16. März in der bayerischen Gemeinde Geiselhöring? Knapp zwei Wochen später steht der Verdacht der Wahlfälschung im Raum. Denn möglicherweise hatten 460 Saisonarbeiter die Briefwahlunterlagen nicht selbst oder nicht aus freien Stücken ausgefüllt. Die Sprecherin der zuständigen Kommunalaufsicht im Landratsamt Straubing-Bogen, Birgit Fischer-Rentel, sagte am Donnerstag gegenüber abgeordnetenwatch.de: "Wir haben Auffälligkeiten gefunden und den Fall mit Bitte um Überprüfung auf mögliche strafrechtlich relevante Handlungen der Staatsanwaltschaft in Regensburg übergeben". Zu der Art der Auffälligkeiten wollte Fischer-Rentel keine Angaben machen. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Briefwahlunterlagen mit demselben Kugelschreiber ausgefüllt wurden. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Regensburg bestätigte abgeordnetenwatch.de die Aufnahme der Ermittlungen.

Wer hinter der möglichen Wahlfälschung steckt, ist bislang nicht bekannt. Wer von ihr vermutlich profitierte, dagegen schon: die Ehefrau sowie weitere Angehörige des Spargelgroßbauern, die für die CSU kandidierten. Der Landwirt beschäftigt und beherbergt 482 Erntehelfer aus Osteuropa. 460 von ihnen nahmen per Briefwahl an der Kommunalwahl teil (oder eben nicht), fünf weitere gaben ihre Stimme direkt ab.

Nach einem Bericht des Straubinger Tagblatt waren einigen Wahlbeobachtern am Abend des 16. März überraschende und starke Ergebnisveränderungen aufgefallen, nachdem sie die Briefwahlunterlagen ausgezählt hatten. Plötzlich waren CSU-Kandidatinnen und -Kandidaten nach vorne gewählt worden, die vorher noch weiter hinten auf der CSU-Wahlliste gelegen hätten. Dem Bayerischen Rundfunk zufolge handelte es sich dabei um die Frau des Spargelgroßbauern, eine Mitarbeiterin, einen Cousin, den Freund der Tochter sowie einen Nachbarn.

Ein ähnlich auffällige Stimmenvermehrung gab es auch bei der Bürgermeisterwahl am selben Tag. Nach Auszählung der Briefwahlunterlagen gewann der CSU-Herausforderer, der nach Angaben der Wahlbeobachter zuvor noch deutlich zurückgelegen hatte. Am Ende siegte der CSU-Bürgermeisterkandidat mit 303 Stimmen Vorsprung vor dem Amtsinhaber von den Freien Wählern. Ausschlaggebend könnten die Stimmen der 465 Erntehelfer gewesen sein.

Ungeachtet der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auf Wahlfälschung prüft das Landratsamt nun, ob die Saisonarbeiter aus Osteuropa überhaupt wahlberechtigt waren. Dafür müssten sie mindestens zwei Monate vor der Wahl mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen, d.h. gemeinsam mit ihrer Familie, in Geiselhöring gelebt haben.

Dass ausländische Erntehelfer sich für die Kommunalpolitik in der niederbayerischen Provinz interessieren, ist nach einer Umfrage des Lokalportals regio-aktuell24.de unter Landwirten aus der Region eher ungewöhnlich. Das Portal schreibt:

[Ihre] Erntehelfer würden kaum an gesellschaftlichen Ereignisse teilnehmen, geschweige denn sich für die politische Situation vor Ort interessieren. Im übrigen würden sie ja auch die Kandidaten nicht kennen, außer sie seien in ihrem Arbeitsumfeld. Unisono konnten die Befragten sich keinen Reim darauf machen, warum ausgerechnet Erntehelfer in Geiselhöring anders wären.

Sowohl der unterlegene Amtsinhaber von den Freien Wählern als auch der siegreiche CSU-Bürgermeisterkandidat haben die Wahl inzwischen angefochten. Sollten die Ermittlungsbehörden eine Wahlfälschung feststellen, würde das Landratsamt prüfen, ob es dadurch zu Auswirkungen auf das Wahlergebnis kam. Im Fall einer solchen "Wahlverdunklung" wäre die Wahl ungültig und die Menschen in Geiselhöring müssten erneut abstimmen.


Update vom 24.6.2014:
Das Landratsamt Straubing-Bogen schreibt heute in einer Pressemitteilung:

Nach Rücksprache mit den Ermittlungsbehörden kann frühestens Mitte Juli mit verwertbaren Erkenntnissen für das Landratsamt bezüglich der Entscheidung über eine mögliche Ungültigkeit der Wahl in Geiselhöring gerechnet werden.

Update vom 19.9.2014:
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Regensburg richten sich nun offiziell gegen die CSU-Kommunalpolitikerin und vier weitere Verdächtigen. Der Ehefrau des Spargelbauers wird Wahlfälschung und Verleitung zu einer falschen eidesstattlichen Versicherung vorgworfen.

Nach Angaben des zuständigen Landratsamtes Straubing-Bogen hätten 350 der abgegeben Stimmzettel nicht berücksichtigt werden dürfen: die Briefwähler seien entweder nicht wahlberechtigt gewesen oder ihre Stimmzettel seien einem Schriftgutachten zufolge "entgegen der eidesstattlichen Versicherung nicht persönlich gekennzeichnet" gewesen.

Am Mittwoch hatten Ermittler Räumlichkeiten des Hofes sowie weitere Wohn- und Geschäftsräume in der bayerischen Gemeinde durchsucht. Laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks sollen die sichergestellten Unterlagen für einen Handschriftenvergleich mit den möglicherweise gefälschten Wahlzetteln genutzt werden. Zudem erhoffen sich die Ermittler Erkenntnisse über den tatsächlichen Wohnort der Erntehelfer.

Das Landratsamt und die Bezirksregierung will in den kommenden Tagen bekannt geben, ob die Stadtrats- und Bürgermeisterwahlen sowie die Kreistagswahl wiederholt werden muss. Dies gilt als wahrscheinlich.

Update vom 2.10.2014:
Das Landratsamt Straubing-Bogen hat heute in Abstimmung mit der Regierung von Niederbayern die Stadtrats- und Bürgermeisterwahl in Geiselhöring vom 16. März 2014 für ungültig erklärt. In einer Pressemitteilung des Landratsamtes heißt es:

Aufgrund der Wahlteilnahme von Personen, die ihren Lebensmittelpunkt nicht rechtzeitig vor der Wahl in Geiselhöring hatten, sowie durch die Manipulation einer größeren Anzahl von Stimmzetteln hätten mindestens 350 Stimmzettel bei der Auszählung nicht gewertet werden dürfen. Dies hätte bei der Stadtratswahl Änderungen in der Sitzverteilung und in der Reihenfolge der Bewerber zur Folge haben können. Bei der Bürgermeisterwahl wäre eine andere Stimmenverteilung zwischen den beiden Bewerbern Herbert Lichtinger und Bernhard Krempl möglich gewesen. Da die beanstandeten Stimmzettel keinen konkreten Wählern zugeordnet werden können, war eine Berichtigung der Wahlergebnisse als weniger schwerwiegende Maßnahme nicht möglich.
Die Bescheide wurden an sämtliche betroffene Bürgermeister- und Stadtratsbewerber versandt. Mit Bekanntgabe der Entscheidungen endet die Wahl- bzw. Amtszeit der Stadträte und des Bürgermeisters.
Bis zum Amtsantritt des neuen Bürgermeisters führt ein vom Landratsamt Straubing-Bogen eingesetzter Beauftragter die Geschäfte der Stadt Geiselhöring. Die Aufgaben des Beauftragten beschränken sich auf laufende und unaufschiebbare Geschäfte.
Das Landratsamt Straubing-Bogen hat Regierungsrat Josef Rothammer mit der Führung der Geschäfte beauftragt.


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