Quizfrage: Warum konfrontiert jemand einen Bundestagsabgeordneten mit einer öffentlichen Anfrage, sagen wir, über den Sinn oder Unsinn von so manch einer Subvention?
a.) Weil er die Mailadresse des Abgeordneten erfahren möchte, an die er seine Kontaktdaten zur nicht öffentlichen Beantwortung seiner Frage schicken kann.
b.) Weil er eine ehrliche, öffentliche Antwort erwartet.
Hans-Jochen T. würde wahrscheinlich Option b. wählen. Doch da ist der Fragesteller bei der Bundestagsabgeordneten Ulrike Gottschalck an der falschen Adresse. Auf seine Frage nach dem Einsparpotential bei „unsinnigen Subventionen wie z. B die unterschiedliche Besteuerung von Speisen und Getränken beim Verzehr im Lokal und beim Verkauf über die Straße, Tiernahrung kontra Arzneimittel für Menschen“, erhielt er folgende Auskunft:
Da nicht jedes Thema auf einer öffentlichen Plattform wie abgeordnetenwatch.de diskutiert werden sollte, bitte ich Sie, mir Ihr Anliegen ganz einfach und direkt per E-Mail an ulrike.gottschalck@bundestag.de zu senden oder auf dem Postwege an Ulrike Gottschalck MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Ich freue mich auf den direkten Dialog mit Ihnen.
Man kann also sagen, dass die Frage von Herrn T. öffentlich unbeantwortet geblieben ist. Entsprechend "ungenügend" fiel die Antwortbilanz, die wir kürzlich für alle 622 Bundestagsabgeordneten berrechnet hatten, im Fall von Ulrike Gottschalck aus. An dem Gesamteindruck änderte auch eine weitere Antwort von Gottschalck nichts, in der sie begründete, warum sie einen öffentlichen Austausch mit Bürgern im Internet nun auf einmal ablehnt - im Wahlkampf hatten die Wähler von ihr noch eine Antwort erhalten.
Damit für alle Bürger auf den ersten Blick zu erkennen ist, von welchem Abgeordneten sie eine öffentliche Antwort erwarten können, weisen wir auf abgeordnetenwatch.de sog. Standard-Antworten aus. Das sind Antworten, in denen Abgeordnete mitteilen, dass sie - wie Ulrike Gottschalck - Bürgern über abgeordnetenwatch.de nicht antworten werden. Solche Mails haben für den Fragesteller denselben Erkenntniswert wie überhaupt keine Antwort - und werden in unserer Antwortstatistik deshalb auch entsprechend gewertet.
Über die Antwortbilanz der Abgeordneten Gottschalck und ihrer Kolleginnen und Kollegen aus Nordhessen berichtet am Montag (pdf) auch die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA). Heute veröffentlichte die HNA unter der Überschrift „Abgeordnete schlagen zurück“ (pdf) einen zweiten Artikel, in dem sich Ulrike Gottschalck zu ihrem Antwortverhalten äußert:
Die Kasseler SPD-Abgeordnete Ulrike Gottschalck erklärte, sie habe die ihr über die Internetplattform gestellte Frage sehr wohl beantwortet und werde „auch zukünftig alle Bürgeranfragen individuell und vertraulich behandeln“. „abgeordnetenwatch.de“ hatte behauptet, die 54-Jährige beantworte ihr gestellte Fragen nicht und stufte sie unter den 622 Bundestagsmitgliedern auf Platz 546 mit der Schulnote „Ungenügend“ ein.
Die HNA berichtete auch über den Abgeordneten Björn Sänger, der bis vergangene Woche erst eine von drei Bürgerfragen auf abgeordnetenwatch.de beantwortet hatte. Sänger vermutete gegenüber der Zeitung „ein technisches Problem bei der Übermittlung der Fragen“. „Wir werden den Übermittlungsweg überprüfen und versuchen sicherzustellen, dass die Fragen der Bürgerinnen und Bürger, die über diese Plattform an mich gerichtet werden, auch ankommen.“
Der Übermittlungsweg ist nun augenscheinlich überprüft: Zu Wochenbeginn erhielt Sänger zwei neue Fragen, die er prompt beantworte. Bürger können also auch künftig mit einer öffentlichen Antwort von ihm rechnen.
Nachtrag vom 10.8.2010: SPIEGEL ONLINE berichtet über einen britischen Abgeordneten, der das Internetportal "38 degrees" zur Löschung seiner Mailadresse auffordert, um nicht weiterhin die Mails zahlreicher Bürgern zu erhalten. In diesem Zusammenhang kommt auch abgeordnetenwatch.de zur Sprache. In dem Artikel heißt es:
Doch einige der Berliner Parlamentarier haben sich noch nicht an die neue Kommunikationsform gewöhnt. So sorgte kürzlich eine Abgeordnete für Aufsehen. Sie weigerte sich, eine Bürgeranfrage zum Einsparpotential bei Subventionen öffentlich zu beantworten, "da nicht jedes Thema auf einer öffentlichen Plattform wie Abgeordnetenwatch.de diskutiert werden sollte", wie sie schrieb. Prompt wurde ihre Antwortbilanz mit "ungenügend" eingestuft. Solche Bewertungen sind für viele Parlamentarier Antrieb, sich schnell um Bürgeranfragen zu kümmern...
Kommentare
In eigener Sache: Warum Abgeordnetenwatch die Kommentar-Funktion abgeschaltet hat
Rolf am 06.08.2010 um 18:59 Uhr
PermalinkMan sollte eine Antwortpflicht einführen, wo dem Abgeordneten empfindliche Strafen drohen, wenn er diese nicht wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet.
debe am 07.08.2010 um 01:51 Uhr
Permalink@Rolf: Eine solche Pflicht führt relativ schnell zu einem Sturm an Anfragen auf die Politiker, die man ärgern möchte. Das halte ich für keine praktikable Lösung.
Die hier vorgenommene Methode, Antworten zu zählen und öffentlich mehr oder weniger antwortbereite Politiker zu benennen, ist gut, solange eine brauchbare Anzahl sich (auch) hier profilieren möchte. Pseudo-Antworten müssen dann logischerweise abgestraft werden.
Frau Gottschalck hat aber entweder das Konzept der öffentlichen Frageplattform nicht verstanden oder boykottiert es. Mir fallen leider wenig schmeichelhafte Gründe ein, warum ein Politiker das bewusst tun sollte - unvorteilhaft für ihn oder sie wäre es etwa, wenn die Qualität ihrer Bürgerarbeit sie öffentlich blossstellen würde oder sie schlicht mit dem Formulieren von Antworten regelmässig überfordert wären. Denkbar wäre auch, dass ein Politiker sich morgen nicht an seinen (nachweisbaren) Worten von gestern messen lassen will. Das möchte ich ihr nicht unterstellen, sondern lediglich mein Unverständnis äussern.
Lob für Herrn Reyher, der das polemische Schlussfolgern den Kommentatoren überlässt :-)
Björn Sänger am 07.08.2010 um 13:19 Uhr
PermalinkIn der Tat scheinen die technischen Probleme jetzt behoben zu sein, denn die Anfragen über diese Plattform kommen an. Von den an mich gerichteten drei Fragen hat mich nur eine erreicht, die ich auch zeitnah beantwortet habe. Was mit den anderen beiden Fragen passiert ist, wissen wahrscheinlich die technischen Götter, auf meinen Rechnern sind sie jedenfalls nicht eingegangen. Vielleicht hat der Spamfilter zugeschlagen.
Im übrigen ist der direkte Weg der Kommunikation immer der bessere, das weiss jeder, der als Kind einmal "Stille Post" gespielt hat. Und selbstverständlich gibt es Fragen, auf die man öffentlich nicht antworten kann. Da gebe ich der Kollegin Gottschalk Recht. Hier einen Zwang zur Antwort aufzubauen - und sei es durch die Anprangerung des Antwortverhaltens - untergräbt meines Erachtens das grundgesetzlich gesicherte freie Mandat. Ich halte diese Praxis für sehr fragwürdig.
Peter Wachs am 07.08.2010 um 16:39 Uhr
PermalinkEinen Zwang kann es sicher nicht geben, schließlich leben wir in einer Demokratie und noch nicht wieder in einer sozialistischen Diktatur.
Andererseits sollte eigentlich wirklich jeder Politiker solche Bürgerfragen ernst nehmen und sie auch -öffentlich- beantworten. Jeder Bundestagsabgeordnete hat übrigens auch ein Büro mit eigenen Mitarbeitern, die ihn dabei unterstützen können. Gelegentliche Beleidigungen, etc. braucht er dabei nicht hinzunehmen. Mit guten Antworten kann er auch Wählerstimmen gewinnen.
Die Benotungen des Antwortverhaltens finde ich klasse. Das Ergebnis zeigt ja auch, dass es in praktisch allen Parteien Poltiker gibt, die sowas vernünftig machen und - halt die Anderen!
Britta am 07.08.2010 um 16:55 Uhr
Permalink@Björn Sänger:
Respekt, dass Sie sich als Abgeordneter an der Diskussion hier beteiligen. Das Problem ist allerdings nicht, dass sich manche Fragen nicht öffentlich per Mail beantworten lassen, sondern dass manche Abgeordnete - wie Frau Gottschalck - grundsätzlich kein Interesse haben, Fragen öffentlich zu beantworten. Es kann mir niemand erklären, dass man die Frage "Warum werden Subventionen nicht einfach abgeschafft" einem Bürger nicht plausibel vermitteln kann (Lobbyisten etc.). Besonders bedenklich stimmt, dass Frau Gottschalck im Kampf um Wählerstimmen VOR der Bundestagswahl noch der Meinung war, dass sich Bürgerfragen sehr wohl öffentlich beantworten lassen. Kein Wunder, dass sich Bürger von der Politik abwenden wenn sie merken, dass sie und ihre Meinung nur vor Wahlen interessieren.
Olaf Kittelmann am 08.08.2010 um 14:18 Uhr
PermalinkDie Damen und Herrn Abgeordneten sollten einmal nicht vergessen, dass sie vom Volk gewählt wurden und dass sie ihren Wählern Rechenschaft schuldig sind und dass ihre nicht unüppigen Diäten von den Steuerzahlern aufgebracht werden, die in der privaten Wirtschaft Tag für Tag den Reichtum dieses Landes erwirtschaften. Das sollte sich Frau Gottschalck mal vor Augen führen.
H Wendholt am 09.08.2010 um 09:17 Uhr
PermalinkDie Abgeordneten sind mit der Vielzahl der diversen Themen total überfordert. So staune ich jedesmal, wenn ein Resort von einem Minister zum anderen wechselt. Die sogenannten Vollblutpolitiker und sonstigen Wahlprotegees verblüffen durch Imkompetenz und Aussitzerei (seit Kohl Methode). Wahrer Sachverstand kann sich in den Parteien nicht entwickeln, da wie in der Schule der/die mit dem größten Herrschaftsanspruch das Sagen hat. Unsere Parteienlandschaft wird sich von den grossen Volksparteien zu vielen Kleinparteien wandeln ist meine Prognose. Alle Volksparteien haben durch Wahlbetrug und sonstige Machenschaften das Parteiensystem ausgereizt.
Maria am 09.08.2010 um 15:12 Uhr
Permalink@ H Wendholt: Wie sollen sich die großen Volksparteien denn in viele Kleinparteien umwandeln, wenn der Beschluss dazu aus den Ersteren kommen muss? Ich tendiere eher zu der Vermutung, dass alles noch viel größer wird. Irgendwann können sich die europäischen Bürger mit einer handvoll EU-Parteien herumärgern! Das Ganze fängt mit der Großindustralisierung von Landwirtschaft und Fischerei in Europa an und hört bei der Standardisierung der Schulbankgröße und Sitzhöhe für Möbel auf. Ich bezweifle, dass die EU sich noch aufhalten lässt und demnach, dass sich in Zukunft Kleinparteien in Deutschland bilden werden.
Matthias Daum am 09.08.2010 um 21:24 Uhr
PermalinkWas für ein Quatsch hier geschrieben und welche Phrasen gedroschen werden ist schon interessant.
Wer Frau Gottschalck kennt, weiß dass sie nicht einfach abtaucht, sondern Fragen und Anregungen ernst nimmt.
Es ist aber der Zeitgeist, der von Personen - und insbesondere von Politikern fordert, immer auf alles sofort und öffentlich zu reagieren und sich zu beteiligen. Facebook, Twitter, Wer kennt wen, VZ hier, "Freunde" da und noch einen Blog schreiben. Und dann gründet sich ein Verein, der es sich zur Aufgabe macht "Transparenz" zu schaffen. Der "wertet" die Statistiken aus und stellt fest, 0 Antwort auf 1 Frage = 0% = schlecht. Eine Kollegin hatte eine Vielzahl von Fragen erhalten und 11 nicht beantwortet. Das war aber noch gut! So viel zu dieser Auswertung. Quantität statt Qualität. Wo ist die nächste Sau, die sich durchs Dorf treiben lässt?
Wann sollen diese Politiker noch für ihr Geld effektiv arbeiten? Zwischen dem Twittern und dem Benachrichtigten der "Freunde"?
Jeder, der heute eine Frage an einen Politiker hat - egal welcher Partei er/sie angehört - kann sich über die Homepage an ihn oder sie wenden.
Dazu braucht es keinen Verein. Das System ist einfach zu stark manipulierbar. Beispielsweise lässt sich durch einen Flashmop die gesamte Infrastruktur eines Politikerbüros lahm legen - mit dem Ergebnis, dass die Fragen nicht beantwortet, aber sinnlos Kapazitäten gebunden werden. Ist es das, was die Menschen und die Gesellschaft will? Hauptsache die Statistik stimmt mit einer 90%-igen Antwortquote?
Ich halte das für vollkommen übertrieben. Wenn ich ein Problem oder eine Frage habe, wende ich mich direkt an die örtlichen Abgeordneten und nicht profilneurotisch (und ggf. noch feige unter Nicknamen) über die Öffentlichkeit.
Daher schreibe ich auch immer unter meinem vollständig Klarnamen!
Matthias Daum
Mark Wolf am 30.11.2011 um 19:29 Uhr
Antwort auf von Matthias Daum
PermalinkZu einem Flashmob braucht es kein Portal wie abgeordnetenwatch.de, das geht auch so.
Ich kann mir nur denken, daß mancher eine Frage nicht öffentlich beantworten will, weil a) irgendjemand ihn der Lüge überführt, b) ihm seine eigene Antwort peinlich sein könnte und er sich weniger Stimmen bei der nächsten Wahl davon verspricht oder c) er grundsätzlich niemanden Rechenschaft ablegen will und sich nicht als Vertreter des Volkes sieht sondern als selbstherrlicher Mandatsträger.
Alle 3 Gründe sind so negativ, daß damit naturgemäß niemand in Verbindung gebracht werden will.
Und noch was: Sie müssen keine Angst davor haben, später mit Ihrer Antwort konfrontiert zu werden. Halten Sie es einfach mit Adenauer: "Was geht mich mein geschwätz von gestern an" oder so ähnlich.
Ralf Weber am 09.08.2010 um 22:42 Uhr
Permalink@Matthias Daum:
> Jeder, der heute eine Frage an einen Politiker hat – egal welcher Partei er/sie angehört – > kann sich über die Homepage an ihn oder sie wenden.
Warum bitte soll ich mich als Wähler zwingen lassen, einen Abgeordneten über dessen Website zu fragen? Das wäre ja so als wenn Du Deinem Chef sagen würdest: Wenn Sie was von mir wollen, kontaktieren Sie mich bitte künftig nur noch per Telefon.
Hier wird etwas Grundlegendes vergessen: Abgeordnete sind unsere Volksvertreter, sie haben uns Auskunft zu geben - und es ist uns Bürgern überlassen, auf welchem Weg wir den Kontakt zu unseren Repräsentanten suchen. Es kann ja sein, dass ich will, dass mein Abgeordneter öffentlich seine Meinung sagt - für jeden überprüfbar.
Es geht eben nicht darum, "Freunde" wie bei Facebook zu sammeln, sondern als Politiker für Menschen ansprechbar zu sein - auch welchem Weg auch immer sie es wollen.
YoungSocialist am 09.08.2010 um 23:31 Uhr
PermalinkGrundsätzlich fragt man Abgeordnete im öffentlichem Rahmen, z.B. bei Abgeordnetenwatch, weil man gerade eine öffentliche Äußerung des Abgeordneten haben möchte, die dann im gesamten Netz lesbar und dadurch leichter überprüfbar wird.
Wagt ein Abgeordneter eine öffentlche Antwort nicht, dann weiß er, dass seine Antwort vermutlich dem kritischen Blick vieler User nicht wird standhalten können.... Falls der Abgeordnete also nicht dazu in der Lage ist, ordentliche Antworten zu formulieren, die auch die kritischsten Leser befriedigen, ist er vielleicht falsch auf seinem Posten.
Ich plädiere dafür, dass die Antworten der Abgeordneten, die sich nicht öffentlich äußern wollten, privat angefragt werden und hinterher dennoch hier im Portal veröffentlicht werden. Für diesen Fall sollte Abgeordnetenwatch Möglichkeiten schaffen. Ein Abgeordneter hat die Verantwortung gegenüber dem Volk, transparent auf Bürgerfragen zu antworten, überprüfbar für jeden.
Gruß
Wolfgang am 27.11.2010 um 13:56 Uhr
PermalinkDass Standardantworten mit Hinweis auf einen persönlichen eMailverkehr als unbeantwortet gelten, finde ich absolut in Ordnung. Früher wurde die Frage als "beantwortet" gehandelt. Zur Änderung dieser Klassifizierung hatte ich schon vor Jahren eine entsprechende Bitte an Abgeordnetenwatch gesandt.
Herzlichen Glückwunsch zu der richtigen Entscheidung!
Bernd Koch am 15.08.2016 um 16:50 Uhr
PermalinkVor sehr langer Zeit hatte ich bereits eine recht heftige Auseinandersetzung mit dieser herausragenden Abgeordneten in derselben Sache. Es ist ihr, nach einem kurzen positiven Zwischenspiel bei Abgeordnetenwatch, offenbar nicht zu vermitteln, dass es zu ihrem selbstverständlichen Aufgabenkatalog gehört, den fragenden Bürgern Rede und Antwort zu stehen.Dabei sorgt das Moderatorenteam von Abgeordnetenwatch dafür, dass die Formen der Höflichkeit und die Sachlichkeit gewahrt bleiben. Machen Sie der Kasseler SPD klar, dass Sie öffentlich zur Abwahl dieser Zierde des Bundestages aufrufen werden! .