Diener zweier Herren: Wie Großkanzleien die Bundesregierung in der Eurokrise beraten

EFSF, ESM, Bankenrettung - in Krisenzeiten vertraut die Regierung auf die Ratschläge großer Wirtschaftskanzleien. Jetzt wurden die Namen zweier Unternehmen bekannt, die die Bundesregierung in der Eurokrise beraten haben. Angaben über die Höhe der Honorare für die Top-Anwälte will die Regierung nicht machen.

von Martin Reyher, 25.07.2012

Er könne im Finanzministerium "nicht noch einen Experten für Kirschblütenbestäubung vorhalten", sagte Peer Steinbrück einmal, weswegen er als Ressortchef regelmäßig externe Fachkräfte engagierte, und zwar nicht nur in Fragen der Kirschblütenbestäubung: In Sachen Bankenrettung beispielsweise entstand während Steinbrücks Amtszeit kaum ein Gesetzentwurf ohne die Mitwirkung außerministerieller Berater. Allein im Jahr 2008 summierten sich die Rechnungen des Finanzministeriums für Anwalts- und Beratungshonorare auf 12,5 Millionen Euro.

An der Lage hat sich seitdem wenig geändert. Es ist Krise, und zu deren Bewältigung vertraut auch die schwarz-gelbe Bundesregierung auf die Expertise hoch spezialisierter Fachleute aus der Privatwirtschaft. Aus einer Antwort der Bundesregierung an den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler geht nun hervor, auf wessen Dienste die Regierung in der Eurokrise zurückgreift:

Die Bundesregierung hatte externen Sachverstand in Form von Gutachten, Studien oder sonstigen Beratungsleistungen ... von der Firma Freshfields Bruckhaus Deringer eingeholt,

schrieb Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter am 18. Juni 2012 an den "sehr geehrten Kollegen" Gauweiler. Die internationale Großkanzlei habe ihre Expertise in das "sogenannte Gesamtpaket zur Sicherung der Finanzstabilität in der Eurozone" eingebracht. Konkret ging es laut Kampeter um die "europaweite Einführung von Klauseln in die allgemeinen Bedingungen für Staatsanleihen, die eine Änderung der vereinbarten Leistung sowie die Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger (Anleihebedingungen) durch Mehrheitsentscheidungen ermöglicht."

Beim vorläufigen Euro-Rettungsschirm EFSF und dem dauerhaften ESM ließ sich die Bundesregierung außerdem von der Kanzlei Hengeler Müller beraten, wie aus Kampeters Schreiben, das abgeordnetenwatch.de vorliegt, hervorgeht. Die Anwälte hätten an der "Dokumentation und Vorbereitung der Einsatzfähigkeit des Euro-Rettungsschirms" und bei der Änderung des EFSF-Rahmenvertrags mitgewirkt.

Über die Höhe der Beraterhonorare schweigt der Staatssekretär in seiner Antwort. Diese unterlägen dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, eine "unbefugte Offenlegung eines Honorars" durch Amtsträger stehe unter Strafe. Selbstverständlich sei bei den Auftragsvergaben an Freshfields und Hengler Müller alles mit rechten Dingen zugegangen.

Insbesondere Freshfields Bruckhaus Deringer, mit rund 2.500 Anwälten eine der weltweit größten Wirtschaftskanzleien, ist so etwas wie der Haus- und Hofadvokat der Bundesregierung:

  • Die Gesetzentwürfe und die Verordnung zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz – unter Finanzminister Steinbrück komplett von den Freshfields-Anwälten ausgearbeitet.
  • Der Schuldenschnitt für Griechenland - unter Beteiligung von Freshfields-Anwälten als Berater des Bundesfinanzministeriums zustande gekommen.
  • Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) - maßgeblich von Freshfields beraten.
  • Die dem Finanzministerium unterstellte Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) - bei den Griechenland-Hilfen juristisch von Freshfields vertreten.

Ein solches Outsourcing ist seit längerem übliche Praxis. Zu Zeiten des Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg wurde einmal versehentlich ein kompletter Gesetzentwurf auf dem Originalbriefpapier der mit der Ausarbeitung beauftragten Wirtschaftskanzlei Linklaters in Umlauf gebracht. Für die Öffentlichkeit erwies sich dieser Fauxpas dagegen als wahrer Glücksfall. Denn so geriet ins allgemeine Bewusstsein, worüber die Beteiligten eigentlich ungern sprechen: dass nämlich die Politik bereit ist, mit der Gesetzgebung einen Kernbereich des staatlichen Handelns aus der Hand zu geben.

Während ein Ministerialbeamter gegenüber dem Staat zur Loyalität verpflichtet ist, sind private Großkanzleien wie Freshfields Dienstleister, die ihre Expertisen jedem zur Verfügung stellen der bereit ist, die happigen Stundensätze der Top-Anwälte zu zahlen. Das sind nicht in erster Linie die Ministerien, sondern vor allem Bankhäuser und Unternehmen - also die von staatlichen Entscheidungen oftmals direkt oder indirekt Betroffenen. Beispiel Energiepolitik: Beim umstrittenen Atomvertrag von 2010 (u.a. Verlängerung von AKW-Laufzeiten, Einführung einer Brennelementesteuer) saßen für die vier AKW-Betreiber die Anwälte von Freshfields Bruckhaus Deringer am Verhandlungstisch. Diese hätten, so zitiert ZEIT online einen Insider, den Vertrag zwischen der Bundesregierung und den Atomfirmen "maßgeblich gestaltet". Zwei der Unternehmen, E.ON und RWE, klagten später mit dem juristischen Beistand der Freshfields-Anwälte gegen die Brennelementesteuer - und damit gegen die Bundesregierung.

"Weder bei Linklaters noch den Juristen von Freshfields Bruckhaus Deringer," so brachte es einmal die Frankfurter Rundschau auf den Punkt, "handelt es sich um neutrale Sachverständige, auf deren Rat man notfalls ohne Bedenken zurückgreifen könnte. Beide sind vielmehr, wie andere Wirtschaftskanzleien, eng mit dem Geldgewerbe verbandelt und letztlich mitverantwortlich für die Finanzkrise, deren Folgen sie jetzt beheben helfen sollen."

Interessenskonflikte? Viele Großkanzleien jedenfalls scheinen kein Problem mit ihrer Rolle als Diener zweier Herren zu haben. In der Lobbypedia der Organisation LobbyControl wird dies anhand konkreter Beispiele eindrucksvoll beschrieben:

Recherchen in der Juristen-Datenbank www.juve.de zeigen, dass auch bei den einzelnen Vergabeentscheidungen vor allem Freshfields den Bund und Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) beriet. Bei seinen Stammkunden, Deutsche Post (Verkauf der Postbank an die Deutsche Bank) und HSH Nordbank (30 Mrd. Euro Garantien, Absicherung von Ausgabe von HSH-Anleihen), wechselte Freshfields die Seiten und vertrat die Antragssteller. Bei der Absicherung der HSH-Anleihe übernahm für sie die Kanzlei Linklaters die Beratung der SoFFin, die u.a. den Antragssteller HypoReal Estate schon zweimal erfolgreich vertreten hatte. Bei der Bearbeitung der zwei Commerzbank-Anträgen trat die Kanzlei Lovells als Berater der Bundesregierung bzw. des BMF in Erscheinung, der SoFFin wurde einmal mehr durch Freshfields beraten. Ebenso bei der Vergabe von Bürgschaften in Höhe von 4 Mrd. Euro an die Aareal Bank. Besonders brisant - Freshfields-Partner Gunnar Schuster, hier die SoFFin beratend, war nach Informationen von JUVE in der Vergangenheit in mehreren Fällen für die Aareal Bank tätig.

Zurück zum Ausgangspunkt: der Sache mit der Kirschblütenbestäubung, wie Peer Steinbrück die Privatisierung in der Gesetzgebung einst so niedlich umschrieb. Früher war er es, der die Bestäubungsexperten engagierte, inzwischen ist es umgekehrt: Nun holen Beratungsunternehmen wie Freshfields oder KPMG den Ex-Minister und früheren Auftraggeber zu sich ins Haus: Als Vortragsredner. Geschätztes Honorar: 20.000 Euro pro Auftritt.

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Mitarbeit: Mathias Rakow

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