Innenministerium hält internes Regierungspapier zurück – doch das Dokument ist alles andere als brisant

Das Bundesinnenministerium verweigert die Herausgabe eines internen Regierungspapiers – angeblich, weil ein Bekanntwerden „nachteilige Auswirkungen“ auf die internationale Beziehungen haben könne. Ein Gericht folgt dieser Behauptung, ohne das Dokument je gesehen zu haben. Später stellt sich heraus: Der Inhalt ist alles andere als brisant – die Begründung des Ministeriums scheint vorgeschoben.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 15.08.2018
Symbolgrafik: Geheimes Dokument

Das Szenario, das das Bundesinnenministerium (BMI) als Antwort auf eine Anfrage nach internen Dokumenten beschwor, klang bedrohlich: Wenn es nach dem Informationsfreiheitgesetz seine Stellungnahme zum EU-US-Privacy Shield herausgeben müsste, könnten deutsche Interessen "empfindlich" geschädigt werden. Der Text der Stellungnahme sei mit französischen Kollegen an eine EU-Arbeitsgruppe gesendet worden. Eine "vertrauensvolle Arbeit" mit Frankreich und anderen EU-Mitgliedsstaaten sei bei einer Herausgabe gefährdet, das "Verhandlungsklima" auf EU-Ebene gestört.

Die Geschichte des BMI machte Eindruck. Nicht nur entschied das Ministerium, dass die Stellungnahme geheim bleiben muss. Auch das Verwaltungsgericht Berlin folgte im März 2018 der Entscheidung und urteilte, dass Antragssteller das Dokument nicht einsehen dürfen.

Dabei berief sich das Gericht auf die Begründung des Ministeriums. Es habe plausibel dargelegt, warum die Stellungnahme geheim bleiben müsse. Das Dokument selbst, um das es in der Klage ging, bekam das Gericht allerdings nicht zu sehen - wie üblich bei solchen Verfahren.

BMI gibt Dokument nicht heraus, EU schon

Stellungnahme Deutschland-Frankreich zum EU-US-Privacy-Shield

Hätte das Gericht das Dokument gesehen, hätte es vermutlich anders entschieden. Denn die Stellungnahme des BMI ist wahrlich unspektakulär. In vier knappen Absätzen beschreiben die Regierungen Deutschlands und Frankreich lediglich, dass ihnen Datenschutz besonders wichtig ist und sie die Implementierung des EU-US-Privacy Shields genau verfolgen werden (s. Foto).

Das geht aus einer Anfrage von FragDenStaat.de an die EU hervor. Die verfügte als Adressat nämlich auch über die Stellungnahme - und gab das Dokument ohne Murren heraus. Nachteil für die internationalen Beziehungen? Kein Thema für die EU. Normale Dokumente wie Stellungnahmen werden auf EU-Ebene grundsätzlich herausgegeben. Die Begründung des BMI für die Ablehnung war offensichtlich vorgeschoben.

Gerichte prüfen nicht Dokumente, sondern Begründungen

Bei der Beurteilung einer möglichen Herausgabe geheimer Dokumente haben deutsche Verwaltungsgerichte grundsätzlich ein Problem: Oft sehen sie die Dokumente selbst nicht an. Würden sie dies tun, würden sie automatisch Teil der Gerichtsakten und damit auch den Klägern zugänglich. "In-camera-Verfahren" bei Klagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, bei denen Gerichten Dokumente im Verborgenen einsehen, sind zwar theoretisch möglich, aber nicht üblich.

Also prüfen die Gerichte vor allem, ob eine Ausnahme plausibel erscheint. Das ist gerade im Zusammenhang mit internationalen Beziehungen günstig für Behörden. Denn wenn die Herausgabe eines Dokuments nach Ansicht von Behörden die internationalen Beziehungen gefährdet, können Gerichte dies nur eingeschränkt in Frage stellen.

Wie der Fall der BMI-Stellungnahme zeigt, lädt die Regelung allerdings zu Missbrauch ein: Wenn Ministerien auch für unbedenkliche Dokumente schwere Geheimnis-Geschütze auffahren, kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit den Ministerien offensichtlich nicht vertrauen. Die Gerichte sollten daher vor allem bei bestimmten Behörden grundsätzlich nicht nur prüfen, ob Ablehnungen plausibel erscheinen. Auch die Dokumente selbst sollten sie in Augenschein nehmen.

Das Bundesinnenministerium will von seiner Entscheidung, das Papier aus Geheimschutzgründen unter Verschluss zu halten, auch nach der Freigabe durch die EU nicht abrücken und verteidigte dies auf Twitter:

Tweet des BMI: "Wir stehen zu unserer Entscheidung, die ja auch gerichtlich bestätigt worden ist."

Arne Semsrott

Der Autor leitet unser Partnerprojekt FragDenStaat.de, über das Interessierte ganz einfach Dokumente von Behörden anfordern können.

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