Warum mich der Bonner Widerstand gegen "abgeordnetenwatch.de" nicht überzeugt

Brauchen wir abgeordnetenwatch.de auf kommunaler Ebene? Die Ratsparteien in Bonn meinen: Nein. Doch der Jurist Prof. Dr. Raimond Wimmer vetritt eine andere Meinung.

von Martin Reyher, 15.08.2011

Schon vor dem Start von abgeordnetenwatch.de für Bonn in der vergangenen Woche haben die Fraktionsgeschäftsführer von CDU, FDP und SPD klargestellt: Sie sind dagegen, dass Bürger den Mitgliedern des Stadtrates öffentlich Fragen stellen können. Denn erstens sei man in Bonn schon transparent, und zweitens würde dies einen ehrenamtlichen Kommunalpolitiker überfordern. Am Samstag berichtete der Bonner General-Anzeiger über die Kontroverse und bat den Juristen Prof. Dr. Raimund Wimmer um eine Einschätzung. Wimmer, der öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität lehrte und bis zu seinem Ruhestand Partner in einer Bonner Anwaltskanzlei war, widerspricht den Fraktionsgeschäftsführern. abgeordnetenwatch.de fördere Beteiligung, schaffe Kontrolle - und der Arbeitsaufwand sei Kern des Mandats. Im Folgenden dokumentieren wir den vollständigen Beitrag von Prof. Wimmer, der im General-Anzeiger lediglich in gekürzter Fassung wiedergegeben war:

Von Prof. Dr. Raimund Wimmer, Bonn

These: Abgeordnetenwatch ist überflüssig, weil die Ratsmitglieder ohnehin dicht an den Problemen der Bürger seien und diese schon jetzt hinreichende Mitwirkungsmöglichkeiten hätten.

Die Vertrautheit von Ratsmitgliedern mit den Problemen und Bedürfnissen der Bürger ist naturgemäß unterschiedlich gut.

Die bisherigen Mitwirkungsmöglichkeiten und Kommunikationswege zu den gewählten Ratsmitgliedern sind insbesondere Teilen der jüngeren Generation fremd – manche lesen keine Lokalzeitung, schreiben keine Leserbriefe, gehen nicht in Bürgerversammlungen und schon gar nicht in Rats- oder Ausschusssitzungen, meiden politische Parteien. Aber auch diese Mitbürgerinnen und Mitbürger sind kommunal interessiert oder interessierbar und zudem im Internet zuhause.

Abgeordnetenwatch macht Überlegungen und Anliegen von Bürgern sowie die Motivation und das Verhalten einzelner Stadtverordneter öffentlich und damit für Interessierte rational nachvollziehbar, auch kontrollierbar („light is the great policeman“). Es lädt zur Diskussion und allgemeinen Teilhabe an den diskutierten Problemen ein. Es gibt Bürgern die Chance, die Meinungsbildung „ihrer“ gewählten Mandatsträger zu beeinflussen.

These: Abgeordnetenwatch nötigt Ratsmitsglieder zu öffentlicher Kommunikation, selbst wenn sie eine solche gar nicht wollen.

Nein. Niemand muss auf das System eingehen. Es gibt Mandatsträger, die sich ihm dauerhaft verweigern. Allerdings werden sie dann von Bürgern nach den Gründen gefragt.

These: Manche Angelegenheiten eignen sich nicht zur öffentlichen Erörterung.

Das ist richtig. Das angefragte Ratsmitglied wird dann erklären können, warum das so ist.

These: „Wir haben schon gleichwertige Systeme in Bonn“

Nein. Soweit Stadtverordnete per mail befragbar sind, stehen die Fragen und Antworten nicht für jedermann nachlesbar im Netz. Ausnahme: Der Bonner Oberbürgermeister. Aber darüber, ob er eine Frage öffentlich nachlesbar beantworten soll, müssen andere Nutzer erst abstimmen. Das ist ein für Bürger schwer durchschaubares und kompliziertes System, das eher abschreckt als ermutigt.

These: Das öffentliche Beantworten von Bürgerfragen über abgeordnetenwatch.de ist ein zu großer Arbeitsaufwand.

Dieser Arbeitsaufwand gehört m.E. zum Kern des Ratsmandates. Allerdings ist die Anzahl der Anfragen (leider) nach den bisherigen Erfahrungen aus den Länderparlamenten und anderen Kommunen ohnehin noch gering, jedenfalls für „normale“ Ratsmitglieder. Mehr Anfragen gibt es an Fraktionsvorsitzende, Ausschussvorsitzende und Sprecher für bestimmte Sachfragen. Diese könnten sich aber helfen lassen, z.B. von den (z.T.)hauptberuflichen Fraktionsgeschäftsführern.

These: „Dann muss ich mich ja öffentlich festlegen“

In der Tat, und das ist auch gut so. Und wenn ein Ratsmitglied dann später seine Meinung ändert, wird es dafür nachvollziehbare Gründe geben. Wenn es diese offenlegt, macht das sein Handeln gegenüber den Wählern glaubwürdig.

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