Warum Familienministerin Schröder abgeordnetenwatch.de nicht den Deutschen Engagementpreis überreichte

In Sachen abgeordnetenwatch.de und Wiesbaden hatte es vergangene Woche schon genügend Schlagzeilen gegeben, nachdem uns die dortige CDU-Stadtverordnetenfraktion mit Klage drohte, sollten wir sie mit Profilseiten auf abgeordnetenwatch.de aufnehmen. Die Ehrung mit dem Deutschen Engamentpreis am Freitagabend war insofern ein versöhnlicher Wochenausklang.

von Martin Reyher, 06.12.2011

Die Verleihung des Deutschen Engagementpreises war am Freitagabend noch in vollem Gange, da meldete das Wiesbadener Tagblatt auf seiner Homepage (pdf):

 

Das allerdings war eine Ente, die die Lokalzeitung aus dem Wahlkreis von Kristina Schröder unbewusst in die Welt setzte, vermutlich, weil sie der offiziellen Pressemitteilung vertraut hatte, die schon im Vorfeld der Preisverleihung verschickt worden war. Überschrift: „Bundesministerin Kristina Schröder überreicht Deutschen Engagementpreis“. Das war allenfalls die halbe Wahrheit, wie sich herausstellen sollte.

In Sachen abgeordnetenwatch.de und Wiesbaden hatte es vergangene Woche schon genügend Schlagzeilen gegeben, nachdem uns die dortige CDU-Stadtverordnetenfraktion mit Klage gedroht hatte, falls wir sie mit Profilseiten auf abgeordnetenwatch.de aufnehmen sollten (mehr...) Die Ehrung mit dem Deutschen Engamentpreis am Freitagabend war insofern ein versöhnlicher Wochenausklang. Sechs Projekte wurden im Allianz-Forum am Pariser Platz in Berlin geehrt, darunter abgeordnetenwatch.de in der Kategorie Publikumspreis (mehr...), der letzten Auszeichnung des Abends.

Der Festakt war bis dahin reibungslos über die Bühne gegangen, Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hatte die ersten beiden Preisträger ausgezeichnet und gemeinsam mit Siegern und Laudatoren (u.a. Fernsehköchin Sarah Wiener) für Fotos posiert. Kristina Schröder ist nicht eben eine Anhängerin des öffentlichen Austausches mit Bürgerinnen und Bürgern über abgeordnetenwatch.de. Wer ihr als Wiesbadener Bundestagsabgeordnete eine Frage stellt, erhält diese standardisierte Antwort:

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich werde Ihnen diese allerdings nicht über Abgeordnetenwatch beantworten und möchte Ihnen dies auch kurz erklären. Abgeordnetenwatch ist eine Plattform, die als selbsternannter Mittler zwischen Abgeordneten und Bürgern auftritt. Abgeordnetenwatch liegt die (unausgesprochene) These zu Grunde, dass Bundestagsabgeordnete sonst nicht ansprechbar oder gar abgehoben und für Anliegen der Bürger nur unter öffentlichem Druck zugänglich seien. Ich habe für mich als demokratisch gewählte Abgeordnete jedoch den Anspruch, ohne einen Vermittler für Sie ansprechbar zu sein. Zu meiner Vorstellung von demokratischer Öffentlichkeit gehört es deshalb, dass ich Bürgeranfragen auf direktem Weg beantworte: in meiner Bürgersprechstunde, in meinem monatlichen Politikbrief, auf meiner eigenen Homepage und in meinen Antworten auf schriftliche Bürgeranfragen. Bitte schicken Sie Ihre Anfrage dazu an mich persönlich (kristina.schroeder@bundestag.de), damit ich Ihnen ohne Umwege antworten kann.

Insofern waren wir gespannt auf die Verleihung des Publikumspreises durch die Bundesfamilienministerin. Wir wollten die Gelegenheit nutzen, Frau Schröder von den Vorzügen des öffentlichen Onlinedialogs zu überzeugen, aber zunächst kam erst einmal Laudatorin Cosma Shiva Hagen mit der Sesamstraße: „Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? - Wer nicht fragt, bleibt dumm,“ begann sie ihre Rede, eigentlich recht naheliegend bei einem Frageportal. „Doch wer fragt,“ fuhr die Schauspielerin fort, „möchte auch eine Antwort bekommen.“ Dies konnte man durchaus als Anspielung verstehen, oder auch ganz grundsätzlich. Und so ging es in der Laudatio weiter:

Jeder kann nachlesen, wie ernst ein Politiker die Bürgerfragen nimmt, ob er sie mit Floskeln abspeist oder die Frage sachgerecht beantwortet. Es entsteht ein digitales Wählergedächtnis. Das schafft Verbindlichkeit im Dialog von Bürgern und Politikern. … Man trifft nicht nur auf Fürsprecher, wenn man dafür sorgt, dass Politiker in der Öffentlichkeit befragt werden.

Das ist wohl wahr. Allerdings haben sich die allermeisten Bundestagsabgeordneten an die Bürgerfragen gewöhnt, rund 90 Prozent antworten. „Zehn Prozent fehlen allerdings noch“, erinnerte unser Kollege Gregor Hackmack in seiner Dankesrede, „darunter auch einige Prominente, zum Beispiel die Bundestagsabgeordnete aus Wiesbaden, unsere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Bei der Onlineabstimmung haben sich wahrscheinlich einige Userinnen und User gedacht: Vielleicht kann dieser Preis sie begeistern, endlich zu antworten. Wir würden uns freuen.“ Dem Applaus der rund 400 Gäste nach zu urteilen sahen diese das ähnlich. Der Wunsch müsste allerdings erst noch an Kristina Schröder übermittelt werden. Zum Zeitpunkt der Preisverleihung an abgeordnetenwatch.de war sie nicht mehr im Saal. Andere Termine, wie es hieß...

Update: Die Frankfurter Rundschau hat im Büro von Kristina Schröder nachgefragt, warum die Ministerin die Preisverleihung vorzeitig verließ:

Einer von Schröders Pressesprechern erklärte ihr Weggehen mitten im Festakt mit dem „knackevollen Terminkalender“. Ihr vorzeitiger Weggang habe „nichts mit Abgeordnetenwatch zu tun“, versicherte er. Auch sei die Entscheidung für die Preisvergabe im Internet gefallen.

Nicht richtig ist die Darstellung der FR, Schröder sei "nach dem fünften Preisträger nämlich plötzlich verschwunden". Die Familienministerin hatte die ersten beiden Projekte ausgezeichnet und die Veranstaltung danach verlassen. (Oben hatten wir geschrieben: "Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hatte die ersten Preisträger ausgezeichnet..." Zur Klarstellung haben wir nun das Wort "beiden" eingefügt.)

Ergänzung: Einige Userinnen und User haben Frau Schröder heute ihr Unverständnis über die Standardantworten mitgeteilt und uns dabei CC gesetzt. Eine Mail ist uns dabei ganz besonders aufgefallen, denn darin werden die Argumente (nicht nur im Fall von Kristina Schröder) äußerst anschaulich widerlegt. Die Absenderin ist damit einverstanden, dass wir ihr Schreiben hier im Blog veröffentlichen:

Sehr geehrte Frau Ministerin Schröder, Sie schreiben: "Abgeordnetenwatch ist eine Plattform, die als selbsternannter Mittler zwischen Abgeordneten und Bürgern auftritt. Abgeordnetenwatch liegt die (unausgesprochene) These zu Grunde, dass Bundestagsabgeordnete sonst nicht ansprechbar oder gar abgehoben und für Anliegen der Bürger nur unter öffentlichem Druck zugänglich seien. Ich habe für mich als demokratisch gewählte Abgeordnete jedoch den Anspruch, ohne einen Vermittler für Sie ansprechbar zu sein." Ich sehe das anders. Es gibt viele Bürger, deren Schwellenangst so hoch ist, dass sie sich gar nicht in die Sprechstunden der Politiker trauen oder einen Brief schreiben. Durch die Fragen, die auf Abgeordnetnwatch veröffentlicht werden, liest man nicht nur die Fragen, sondern man stellt oft fest, dass andere Bürger in bestimmten Situationen genauso ratlos sind, wie man selbst. Man kriegt auch die Antworten der Politiker mit, bzw. kann sich eine Nachricht schicken lassen, wenn zu bestimmten Fragen eine Antwort des Politikers eingetroffen ist. Diese Möglichkeit gibt es nicht, wenn ein Bürger Ihnen eine Mail schreibt oder in die Bürgersprechstunde kommt. Sie äußern weiter: "Zu meiner Vorstellung von demokratischer Öffentlichkeit gehört es deshalb, dass ich Bürgeranfragen auf direktem Weg beantworte: in meiner Bürgersprechstunde, in meinem monatlichen Politikbrief, auf meiner eigenen Homepage und in meinen Antworten auf schriftliche Bürgeranfragen. Bitte schicken Sie Ihre Anfrage dazu an mich persönlich (kristina.schroeder@bundestag.de), damit ich Ihnen ohne Umwege antworten kann." Es gibt in der Tat Fragen, die auch ich nicht bei Abgeordnetenwatch stellen würde, da diese zu persönlich sind, allerdings weiß ich nicht, wie man sich an jeden Politiker wenden kann und welches sein politischer Schwerpunkt ist. Das erfahre ich bei Abgeordnetenwatch, auch in welchen Ausschüssen er aktiv ist. Warum können Politiker nicht zusätzlich ihre @ Adresse oder Daten zu den Bürgersprechstunden bei Abgeordnetenwatsch bekannt geben und es dem Bürger überlassen, welchen Weg er beschreiten will. um mit dem Politiker seiner Wahl in Kontakt zu treten? Ich bin Pädagogin und arbeite immer noch, inzwischen als Rentnerin ehrenamtlich, mit so genannten randständigen Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen (Sprayer). Ich kann Ihnen mitteilen, dass eine Anzahl dieser Klienten durch Abgeordnetenwatch Politik und Politiker näher gebracht wurden und sie sich nicht nur danach in politische Veranstaltungen trauten, sondern sich auch Parteien angeschlossen haben. Die Moderatoren von Abgeordnetenwatch achten nicht nur auf die Wortwahl der Fragenden, sondern sogar auch darauf, falls durch Namensgleichheit der Politiker der Fragende den Falschen angeschrieben hat und fragen per Mail zurück, ob man wirklich den richtigen Aprechpartner ausgewählt hat, bevor sie die Frage frei schalten. Vielleicht hilft Ihnen meine Mail Ihren Standpunkt noch einmal zu überdenken und Parteikollegen zu motivieren, sich zu beteiligen. Sie erreichen im Medienzeitalter über Abgeordnetenwatch vorrangig jüngere Bürger, die mit dem Medium Internet vertraut sind. Meine PC- u. Internetkenntnisse habe ich vor Jahren von meinen Klienten vermittelt bekommen und ich bin froh und dankbar, dass ich damit umgehen kann. Gerade Sie, als Familienministerin, sollten Interesse daran haben, dass junge Menschen von der Lebenserfahung der Senioren und Senioren vom Elan der Jugendlichen profitieren. Abgeordnetenwatch ist ein Medium, was generationsübergreifend neutral informiert und verbindet. Wir brauchen auch auf anderen Ebenen generationsübergreifende Projekte, um Menschen vor der Vereinsamung zu schützen. Für Ihr Amt wünsche ich Ihnen alles Gute und eine geruhsame Adventszeit.

 

Unsere Kollegen Boris Hekele und Gregor Hackmack (Mitte) bei der Preisverleihung am Freitag in Berlin. Links neben ihnen Laudatorin Cosma Shiva Hagen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder war zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem anderen Termin. Foto: Marc Darchinger

 

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