Regierungsbeamte arbeiten im Sonderurlaub als Lobbyist

Zahlreiche Regierungsbeamte arbeiten in ihrem Sonderurlaub für Unternehmen und Wirtschaftsverbände – teilweise in Leitungspositionen und mehrere Jahre lang. Interessenkonflikte mag die Große Koalition nicht erkennen, im Gegenteil: Selbst der Lobbyjob eines Staatsdieners bei Volkswagen sei "im besonderen Interesse der Bundesregierung".

von Martin Reyher, 02.05.2018
Politiker sprechen hinter verschlossenen Türen miteinander.

Für einen Beamten des Bundes gelten eine ganze Reihe an Maßgaben. So hat er dem „ganzen Volk“ zu dienen, das „Wohl der Allgemeinheit“ zu beachten und Vorbild zu sein – selbst in seiner Freizeit. „Innerhalb und außerhalb des Dienstes“, so verlangt es das Bundesbeamtengesetz (BBG), muss ein Staatsdiener „der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert.“

Man fragt sich, wie derlei Grundsätze mit einem Lobbyjob in der Automobilwirtschaft zu vereinbaren sind.

Vor vier Jahren räumte ein hochrangiger Beamter seinen Schreibtisch im Auswärtigen Amt (AA), um Erfahrungen in der freien Wirtschaft zu sammeln. Anstatt in der Behörde Akten zu studieren, ist der Staatsdiener seitdem beim Volkswagen-Konzern für's internationale Lobbygeschäft zuständig – als Leiter „Konzern Außenbeziehungen International" (inzwischen Leiter "Internationale und Europäische Politik"). Anfang 2018 übernahm der beurlaubte Außenamtsmitarbeiter dann sogar kommissarisch den Posten des Cheflobbyisten der Volkswagen Gruppe, nachdem der frühere Regierungssprecher Thomas Steg im Zuge des Abgasskandals über die umstrittenen Affenversuche gestolpert war.

Bilfinger, Siemens, Telekom

Der VW-Lobbyist mit Beamtenstatus ist ein Extrembeispiel, ein Einzelfall ist er nicht. Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage listet mehrere Dutzend Staatsdiener auf, denen Bundesministerien und -behörden seit Anfang 2004 Sonderurlaub für eine Tätigkeit in Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Organisationen bewilligt haben. Einige Beispiele:

  • Ein Beamter aus dem Bundesverkehrsministerium steht seit 2016 bei dem Großkonzern Bilfinger auf der Gehaltsliste. In welcher Abteilung der Staatsdiener für Bilfinger will das Verkehrsministerium nicht sagen. Der Sonderurlaub ist bis 2020 bewilligt.
  • Ein Beamter aus dem Bundeswirtschaftsministerium war von 2009 an zwei Jahre lang als „Leiter einer Repräsentanz“ in der „Automobilbranche“ tätig, konkretere Angaben zum Arbeitgeber macht das Ministerium nicht. Anschließend kehrte er an seinen Behördenschreibtisch zurück.
  • Ein Beamter des Auswärtigen Amtes erhält sein Gehalt seit 2015 vom Siemens-Konzern, wo er im Bereich „Internationale Beziehungen“ untergekommen ist. Überhaupt fällt auf, dass es Beamte aus dem Außenamt besonders gern zu Dax-Unternehmen zieht. Neben VW und Siemens wechselten Staatsdiener in den vergangenen Jahren auch zu Daimler und der Telekom, jedes Mal mit dem Einsatzgebiet „Internationale Beziehungen“. Die beiden Letztgenannten kehrten anschließend ins Ministerium zurück.

Wertvolle Kontakte für Lobbyanliegen

Für die Wirtschaft ist das Gastspiel der Staatsdiener ein Glücksfall, selbst wenn sie für deren Gehaltskosten aufkommen müssen. Denn Unternehmen und Interessenverbände gewinnen auf diese Weise wertvolle Kontakte, bei denen sie später nur noch durchklingeln brauchen, wenn sie im Ministerium ein Anliegen vortragen möchten.

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Selbst Beamte aus dem Auswärtigen Amt, das sonst eher nicht im Fokus der Lobbyisten steht, nehmen international ausgerichtete Konzerne gerne auf, schließlich versteht sich der Bundesaußenminister auf Reisen immer auch als oberster Interessenvertreter der deutschen Industrie.

41x machten Beamte wichtige Gründe geltend

 

 

 

 

 

Grafik: Beispiele für Wechsel von Beamten in die Wirtschaft

 

 

 

 

 

Um einen Bundesbeamten für eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft freizustellen, braucht es nach den Vorschriften der Sonderurlaubsverordnung (SUrlV) nicht nur einen wichtigen Grund, auch allzu lang sollte der Ausflug nicht dauern. „Für mehr als drei Monate,“ so heißt es in der Verordnung, „kann Sonderurlaub unter Wegfall der Besoldung nur in besonders begründeten Fällen [...] genehmigt werden.“ Davon freilich gab es in den vergangenen Jahren eine ganze Menge.

41 Beamtinnen und Beamte des Bundes haben seit 2004 ihrem Dienstherrn eine besondere Begründung für einen extralangen Sonderurlaub vorgelegt. Die Gründe müssen überaus gewichtig gewesen sein, denn im Regelfall, so die Bundesregierung in ihrer Antwort an die Linksfraktion, bestehe ein „öffentliches Interesse an der vollen Dienstleistung des Beamten/der Beamtin“.

Was eine längerfristige Abwesenheit der Staatsdienern erforderlich gemacht hat, ist der Regierungsantwort nicht zu entnehmen, dafür aber die Dauer des jeweiligen Sonderurlaubs. Für sechs Jahre wurde etwa ein Beamter aus dem Bundesforschungsministerium beurlaubt, um bis 2023 in der Geschäftsführung eines nicht näher bezeichneten Arbeitgebers aus der Abfallwirtschaft mitzuwirken. Bei einem Staatsdiener aus dem Wirtschaftsministerium endet der Sonderurlaub im kommenden Jahr – dann gehörte er der Geschäftsführung eines nicht genannten Spitzenverbandes insgesamt sieben Jahre an.

VW-Lobbyjob "im besonderen Interesse der Bundesregierung"

Regierungsbeamte und die Wirtschaft

In der Regierungsantwort werden neben dem Sonderurlaub auch Nebentätigkeiten von Beamten in der Wirtschaft aufgeführt. Ein Mitarbeiter des Finanzministeriums ließ sich beispielsweise für die Jahre 2017 bis 2022 einen Job im Verwaltungsbeirat des Versicherers Signal Iduna genehmigen.

Darüber hinaus entsendet die Regierung Beamte in die Privatwirtschaft. So waren drei Mitarbeiter des Entwicklungshilfeministeriums beim Lobbyverband BDI tätig – im Schnitt jeweils zwei Jahre lang. Für ihr Gehalt kamen in dieser Zeit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf.

Die Große Koalition kann an derlei Tätigkeiten ihrer Beamtinnen und Beamten nichts finden – selbst dann nicht, wenn es Berührungspunkte zwischen dem Ministerium eines beurlaubten Staatsdieners und seinem neuen Arbeitgeber in der Wirtschaft gibt. Dass zwei Mitarbeiter aus dem Bundeswirtschaftsministerium längere Zeit für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) arbeiteten, während das Ministerium am „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ mitwirkte, hält die Regierung sogar für wünschenswert. Dies entspreche dem vom Gesetzgeber gewünschten Personalaustausch zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft.

Sogar den Lobbyjob des Außenamtsmitarbeiters bei Volkswagen hält die GroKo für begrüßenswert. Dessen herausgehobene Position bei einem "global tätigen deutschen Unternehmen" sei "im besonderen Interesse der Bundesregierung": Die Tätigkeit diene "der Steigerung der Kompetenzen im Außenwirtschafts- und Managementbereich, der Außenwirtschaftsförderung sowie dem besseren gegenseitigen Verständnis von Wirtschaft und Bundesregierung", heißt es in der Regierungsantwort.

Doch mitunter gehen die Wechselabsichten eines Staatsdieners selbst der Bundesregierung zu weit. Als ein BKA-Mitarbeiter 2012 einen Sonderurlaub beantragte, legte der Dienstherr sein Veto ein. Der Beamte wollte den lukrativen Job als Sicherheitsdirektor bei der Fédération de Football Association, kurz: FIFA, antreten – und zwar unbefristet.

Die Antwort der Bundesregierung zu den Tätigkeiten der Beamten in Unternehmen, Verbänden und Organisationen:

Das ZDF-Magazin Frontal21 in der Satire-Rubrik "Toll" über die Sonderurlaube von Regierungsbeamten (8. Mai 2018):

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