Wurde ein früherer Staatssekretär mit dem Segen des Verteidigungsministeriums Chef einer Lobbyagentur?

Wurde der frühere Staatssekretär Stéphane Beemelmans mit dem Segen des Verteidigungsministeriums Geschäftsführer einer Lobbyagentur? Eigentlich muss das Ministerium einem Beamten bei Interessenkonflikten den Wechsel in die Wirtschaft untersagen – doch das geschah im Fall Beemelmans nicht. Warum? Das Haus von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schweigt zu dem pikanten Seitenwechsel.

von Martin Reyher, 01.12.2014

Heute trat der frühere Rüstungs-Staatssekretär Stéphane Beemelmans seinen Dienst als Geschäftsführer der Lobbyagentur EUTOP Berlin GmbH an (abgeordnetenwatch.de berichtete). Doch nach den Buchstaben des Gesetzes hätte dieser Wechsel eigentlich gar nicht stattfinden dürfen.

Weitgehend unbekannt ist eine Karenzzeitregelung für Beamte, die auch beamtete Staatssekretäre wie Beemelmans einschließt und auf die STERN-Reporter Hans-Martin Tillack kürzlich aufmerksam machte: Wer aus dem Staatsdienst in die freie Wirtschaft wechseln will, muss dies seiner Dienstbehörde bis zu fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst mitteilen. Besteht ein möglicher Interessenkonflikt, ist "die Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung [...] zu untersagen." So steht es im Bundesbeamtengesetz, Paragraph 105.

Einen potentiellen Interessenkonflikt kann niemand ernsthaft bezweifeln

Dass im Fall des früheren Staatssekretärs Stéphane Beemelmans zumindest ein potentieller Interessenkonflikt vorliegt, kann niemand ernsthaft bestreiten. Bis zu seiner Entlassung im Februar durch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen war Beemelmans knapp drei Jahre als beamteter Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium tätig, davor arbeitete er als Abteilungsleiter im Bundesinnenministerum. Der frühere Topbeamte kennt deswegen nicht nur die internen Prozesse im Regierungsapparat, sondern auch die zentralen Akteure – einen besseren Türöffner hätte EUTOP Berlin für seine Kunden - nach eigenen Angaben "zahlreiche EURO STOXX-, DAX- und MDAX-Konzerne" - gar nicht finden können. Auf ihrer Homepage wirbt die Lobbyagentur u.a. damit, "Interessen, Wissen und Erfahrungen in die politischen Entscheidungsprozesse" einzubringen.

Im Verteidigungsministerium war Beemelmans u.a. für den Bereich Ausrüstung zuständig. Kurz vor seiner Entlassung kam heraus, dass er beim Jagdflugzeug "Eurofighter" eine Zahlung von 55 Millionen Euro am Bundestag vorbei an die Industrie freigegeben hatte. Wie hat man es sich vorzustellen, sollte künftig einmal der Turbinenhersteller MTU, an den das Geld floss, als Kunde bei Beemelmans neuem Arbeitgeber EUTOP anklopfen? Wird der frühere Staatssekretär dem potentiellen Kunden dann eine Absage erteilen - wegen persönlicher Befangenheit? Das wäre jedenfalls die positive Variante.

"Kein Kommentar", heißt es auf Nachfrage aus dem Verteidigungsministerium

Angesichts der Offensichtlichkeit dieses möglichen Interessenkonfliktes stellt sich die Frage, wieso das Bundesverteidigungsministerium den pikanten Wechsel seines früheren Staatssekretärs an die Spitze der Lobbyagentur EUTOP Berlin nicht untersagte.

  • Möglichkeit 1: Beemelmans unterließ es, dem Ministerium seine neue Tätigkeit anzuzeigen. Das ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht völlig auszuschließen.

  • Möglichkeit 2 ist da schon sehr viel wahrscheinlicher: Das Verteidigungsministerium hatte gegen den Lobbyjob seines früheren Spitzenbeamten nichts einzuwenden.

abgeordnetenwatch.de bat das Haus von Ursula von der Leyen vergangene Woche mehrfach um Stellungnahme. U.a. wollten wir wissen, warum das Verteidigungsministerium offensichtlich keinen Interessenkonflikt darin erkennt, wenn ein hochrangiger Beamter Geschäftsführer einer Lobbyagentur wird. Auf eine schriftliche Anfrage vom vergangenen Mittwoch reagierte das Ministerium mit Schweigen. Auch ein telefonische Nachfrage am Freitagmittag blieb ohne rechte Erkenntnis: In dem kurzen Telefonat äußerte der zuständige Sprecher Befremden darüber, dass eine solche Frage überhaupt aufgeworfen wird. Weitere Angaben zur Sache wollte er mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz nicht machen, eine erbetene schriftliche Bestätigung seiner Aussagen verweigerte der Sprecher.

Am Montagmittag bequemte das Ministerium sich dann doch zu einer knappen schriftlichen Mitteilung, nachdem abgeordnetenwatch.de in einer weiteren Mail eine Frist bis 14 Uhr gesetzt hatte. "Wie schon bereits telefonisch erläutert, gehe ich von Ihren Verständnis aus, dass zu den von Ihnen angesprochenen Personalmaßnahmen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Angaben gemacht werden können," schrieb der Ministeriumssprecher.

Wir fassen also zusammen: Das Verteidigungsministerium hat offenbar kein Problem damit, dass ein hochrangiger Beamter a.D. mit besten Kontakten in den Regierungsapparat als Türöffner zu einer Lobbyagentur wechselt. Und das Bundesbeamtengesetz, das einen solchen Wechsel eigentlich unterbinden soll, entpuppt sich als eine Farce.

Update I (2.12.2014):
Lobbycontrol macht darauf aufmerksam, dass das Verteidigungsministerium 2010 einem früherem Generalleutnant die Tätigkeit in einem Lobbyverein untersagte, und fragt: Warum geschah dies nicht im Fall Beemelmans?

Auf seiner Homepage schreibt Lobbycontrol:

Im Jahr 2009 übernahm der frühere Generalleutnant der Bundeswehr Heinz Marzi den Posten des Cheflobbyisten des neu gegründeten Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft (BDSV). Im November 2010 stellte das Verteidigungsministerium einen Interessenkonflikt zwischen seiner neuen Tätigkeit als Lobbyist und seinem ehemaligen Posten bei der Bundeswehr fest und verbot Marzi daraufhin seine Tätigkeit als Geschäftsführer des BDSV. Daraufhin musste Marzi seine Tätigkeit als Lobbyist für die Rüstungsindustrie beenden. Marzi klagte gegen die Entscheidung. Das Verfahren wurde im Februar 2011 laut Auskunft des Verteidigungsministerium vom Verwaltungsgericht München eingestellt. Dass Marzi seinen Posten verlassen musste, halten wir für eine richtige Entscheidung. Warum aber Beemelmans seine neue Funktion bei EUTOP annehmen darf, erscheint damit umso fragwürdiger.

Update II (2.12.2014):
Die Nachrichtenagentur dpa berichtet über unsere Kritik im Fall Beemelmans:


Die Organisation abgeordnetenwatch.de betonte am Dienstag: "Dass ein Spitzenbeamter kurz nach seinem Ausscheiden Türöffner für eine Lobbyagentur wird, ist skandalös". Das Verteidigungsministerium müsse erklären, warum es in dem Wechsel keinen Interessenkonflikt sehe. "Ansonsten hätte es ihn untersagen müssen", sagte abgeordnetenwatch.de-Sprecher Roman Ebener.

Update III (3.12.2014)
Inzwischen gibt es erste Reaktionen aus der Politik. Grünen-Rüstungsexpertin Agnieszka Brugger sagte Handelsblatt Online: „Das Verteidigungsministerium sollte eine Stellungnahme nicht verweigern, sondern glaubhaft darlegen, warum aus ihrer Sicht hier kein Interessenkonflikt besteht“. Der häufige Wechsel von Politikern und Spitzenbeamten in führende Positionen in der Wirtschaft und intransparente Lobbyarbeit seien auch ein Grund für die zunehmende Politikverdrossenheit in Deutschland. „Mit solchen Vorgängen muss daher transparent und offen umgegangen werden. Nur so können die Menschen sich eine unabhängige Meinung bilden.“ Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, erklärte: „Die darin zum Ausdruck kommende Selbstbedienungsmentalität ist Ausdruck einer in Jahrzehnten gewachsenen Verfilzung von Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie“. Aus keinem Ministerium wechselten mehr Beamte zu ihren vormaligen Auftragnehmern. Buchholz forderte daher vehement eine Verschärfung des Beamtenrechts.

Update IV (20.9.2016):
Nach knapp zwei Jahren hat Beemelmans seine Tätigkeit bei EUTOP aufgegeben und wird zum 1. November 2016 Vorstand bei der ÖPP Deutschland. Die ÖPP Deutschland wurde 2008 gegründet und berät öffentliche Auftraggeber bei der Beratung und Begleitung öffentlich-privater Partnerschaften sowie bei der Verwaltungsmodernisierung.

 

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