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Frage von Ulrich H. •

Frage an Klaus Brähmig von Ulrich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

2009(9.11) und 2010(3.10) begehen wir zwei historische Jahrestage. Ist von der CDU zu erwarten, dass sie im Vorfeld ein Progamm vorlegt, wo sie Antwort auf all den Fragen gibt, die eigentlich durch den Einigungsvertrag schon längst hätten erfüllt sein müssen? Die Nichtumsetzung der Festlegungen des Einigungsvertrages betrachte ich als eindeutiger Rechtsbruch.
Ist diese Behauptung falsch?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Huse,

knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer bzw. der Deutschen Einheit ist eine Anpassung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West noch nicht in allen Teilen erreicht worden. Die Unzufriedenheit in Ost und West über den Stand der Deutschen Einheit hat viel mit den Hoffungen, die das beflügelte Wort von den „blühenden Landschaften“ und die geschönte Abschlussbilanz der DDR auf der jeweiligen Seite verursacht hat, zu tun.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich einleitend mit den angeblichen Versprechungen von Herrn Dr. Helmut Kohl beschäftigen. Am 20. Oktober 1990 hat der damalige Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in Rundfunk und Fernsehen vor weit über 20 Millionen Menschen Folgendes zum Thema Deutsche Einheit gesagt: „Vor uns liegt eine schwierige Wegstrecke. Wenn wir zusammenhalten und auch zu Opfern bereit sind, haben wir alle Chancen auf einen gemeinsamen Erfolg. Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen, durch die Politik der sozialen Marktwirtschaft werden schon in wenigen Jahren aus Brandenburg, aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, aus Thüringen blühende Landschaften geworden sein.“

Und der damalige Bundeskanzler sagte weiter: „Die wirtschaftlichen Probleme, dessen bin ich gewiss, werden wir lösen können. Gewiss nicht über Nacht, aber doch in einer überschaubaren Zeit.“

Die Medien und auch die Mehrheit der Deutschen haben nach meiner Auffassung diese Aussagen des Bundeskanzlers absichtlich und in unredlicher Weise auf das Versprechen der „blühenden Landschaften“ reduziert. Die Hinweise von Helmut Kohl auf eine schwierige und vielleicht auch längere Wegstrecke, die auch mit Opfern verbunden sein wird, sind aus der politisch-gesellschaftlichen Diskussion gestrichen worden.

Bei den wirtschaftlichen Kenndaten sind viele westdeutsche Politiker und auch Unternehmer umgekehrt den frisierten Daten der Stasi aufgesessen. So wurde den Menschen in Ost und West suggeriert, die DDR-Wirtschaft sei ein Schatz gewesen, den Westdeutsche mittels der Treuhand den Ostdeutschen geraubt hätten. Das ist mindestens gefährlicher Unsinn.

Die DDR stand an ihrem Ende vor der Gefahr des Staatsbankrotts. Lesen Sie dazu bitte das Geheimgutachten, das Planungschef Gerhard Schürer am 31.10.1989 an Egon Krenz übergeben hat. Dort heißt es: "Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen." Das Gutachten ist ausschließlich von SED-Genossen erstellt worden.

Weiterhin hätte man im Sommer 1990 bei der Einführung der D-Mark eigentlich für jeden Betrieb eine DM-Eröffnungsbilanz erarbeiten müssen, sozusagen eine große Inventur des Bestands der DDR-Wirtschaft. Tatsächlich aber lagen diese Eröffnungsbilanzen erst Mitte 1992 vor. Die immer wieder genannten 600 Mrd. DM Volksvermögen sind auf Aussagen des damaligen Treuhand-Chefs Detlev Rohwedder aus dem Herbst 1990 zurückzuführen. Der Grund für diese Äußerungen lag darin, dass die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten der sozialistischen Planwirtschaft völlig untauglich waren für eine realistische Bilanz. Die Treuhand musste also ihre Arbeit beginnen, ohne genau zu wissen, was sie da eigentlich besaß.

Als Handwerksmeister konnte man spätestens seit Mitte der 80er Jahre die verzweifelte Situation der DDR-Wirtschaft wahrnehmen. Es schmerzt mich um so mehr, dass die deutsche Öffentlichkeit noch immer nicht bereit ist zu würdigen, mit welchem Kräfteeinsatz und welchem Einsatz an Geld aus der ruinierten DDR-Wirtschaft doch noch gerettet worden ist, was gerettet werden konnte.

Die Treuhand hat das Produktivvermögen nicht etwa meistbietend versteigert, sondern Einzelverträge abgeschlossen, bei der die Käufer Garantien geben mussten für ihre Investitionen und für eine Mindestzahl an Arbeitsplätzen. Und sie hat industrielle Kerne erhalten, obwohl die westliche Industrie auch ohne diese Standorte den gesamtdeutschen Bedarf spielend hätte befriedigen können. Das ist die wirtschaftliche Wahrheit.

Dazu kommt auch noch die ökologische Katastrophe, die am Ende der DDR vorgefunden wurde und schnell aufgearbeitet werden musste. Wer kennt in der Region um Pirna nicht den Wismut Sanierungsbetrieb in Königstein-Leupoldishain. Seit 1991 beschäftigt sich die

Wismut GmbH mit Stillegungs-, Sanierungs- und Rekultivierungsarbeiten von Uranerzgewinnungs- und Uranerzaufbereitungsbetrieben. Allein in den zu meinem Wahlkreis gehörigen Standort Königstein/Leupoldishain wurden bis Ende 2007 weit über 500 Mio. € investiert. Diese Investition war alternativlos, denn eine Ausschwemmung von Uran war zu befürchten. Damit wäre die gesamte Trinkwasserversorgung des oberen Elbraums um Dresden gefährdet gewesen. Es ist den ost- und westdeutschen Menschen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelungen, die Altlasten bzw. Unterlassungen der SED in den Bereichen, Verkehr, Wirtschaft und Umwelt gemeinsam zu schultern. Dabei erhielten Investitionen, die in die Zukunft weisen, eine wirtschaftliche Gesundung ermöglichen bzw. Umweltkatastrophen abwenden, Vorrang vor sozialem Konsum. Eines der Themengebiete, die gern exemplarisch genannt werden, wenn es um die Angleichung der Lebensverhältnisse geht, ist beispielsweise die Rente. Fast jährlich wird von den Gewerkschaften oder der Links-Partei die sofortige Rentenangleichung zwischen Ost und West gefordert. Die Union unterstützt im Grundsatz die Forderung nach einer Angleichung der Renten in Ostdeutschland an die Renten in Westdeutschland. Allerdings hängt die Angleichung der Renten ganz wesentlich von der Einkommenssituation der Beschäftigten ab.

Die Erhöhung der unterschiedlichen aktuellen Rentenwerte in Ost und West ist an die Einkommensentwicklung der Beschäftigten gekoppelt., wenn die Einkommen der Beschäftigten im Osten stärker steigen als im Westen, dann steigen auch die Renten im Osten stärker als im Westen. In dem Maße, wie sich die Einkommen angleichen, gleichen sich auch die aktuellen Rentenwerte an, dieser Prozess hat 1992 begonnen und sich unter der unionsgeführten Bundesregierung bis Ende 1998 deutlich beschleunigt (Anstieg des aktuellen Rentenwerts (Ost) von 1992 von 23,57 DM auf 40,87 DM im Jahr 1998).

Durch die Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung vor allem in den Jahren 2001 bis 2005 hat sich der Aufholprozess zunächst stark verlangsamt und stagnierte seit 2003 bei einem Verhältnis von etwa 87,9 Prozent. Allerdings gibt es auch hier seit 2007 wieder eine Trendwende. Denn die Rentenanpassung richtet sich weithin nach der Lohnentwicklung der Aktiven jeweils aus dem Vorjahr. Wir haben nicht vor, diesen Regelmechanismus zu verändern.

Eine sofortige oder stufenweise Angleichung der Ost- an die Westrenten, abgekoppelt von der Lohnentwicklung, scheidet auch aus finanziellen Gründen aus. Eine Rentenangleichung würde die Rentenkasse zusätzlich mit rd. 6 Milliarden Euro belasten. Dies entspräche einer Beitragssatzsteigerung um rund 0,6 Prozentpunkte. Damit würden die bisherigen Erfolge bei der Stabilisierung der Lohnnebenkosten weitgehend zunichte gemacht. Die Entlastung des Faktors Arbeit ist aber Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung.

In diesem Zusammenhang muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Beitragseinnahmen in den neuen Bundesländern schon derzeit nicht ausreichen, um die Rentenausgaben im Osten zu finanzieren. Der Finanztransfer von West nach Ost lag 2006 bei rd. 13 Milliarden Euro.

Deshalb gilt: Nur mit einer Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung können wir die
Rentenkasse konsolidieren und sind höhere Löhne machbar, von denen zeitversetzt auch die Rentner profitieren. Dann kommt auch der Rentenangleichungsprozess wieder in Gang. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund setzt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch Sozialreformen. Auch hier gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Sehr geehrter Herr Huse,

wie Sie sehen ist vieles wünschenswert, aber die Politik sollte nicht in einen Wettlauf des Populismus eintreten. Eine differenzierte Angleichung der Lebensverhältnisse wird kommen, aber Sie setzt eine gute wirtschaftliche Entwicklung der Länder in Ost und West voraus. Mit Neiddiskussionen oder unrealistischen Forderungen zur möglichst schnellen Angleichung der Lebensverhältnisse werden wir sicher keinen Erfolg haben.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Brähmig