Portrait von Gregor Amann
Gregor Amann
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gregor Amann zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Thomas S. •

Frage an Gregor Amann von Thomas S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Amann,

was hielten Sie davon, wenn in einem "zweiten Anlauf" alle Europäer über die Europäische Verfassung abstimmen könnten?

Wie stehen Sie zur Einführung von Volksentscheiden usw. auf Bundesebene? Das Thema wurde ja in der Regierungszeit Schröder hin und wieder zum Thema. Allerdings hatte ich irgendwie den Eindruck, dass Rot-Grün und insbesondere Rot dieses Projekt eher halbherzig betrieben.

Mit freundlichen Grüßen aus Frankfurt-Rödelheim

Thomas Sanders

P.S.: Ihren Auftritt bei der Veranstaltung der "Rödelheimer Runde" fand ich übrigens sehr gut. Auch dass Sie am Ende noch mal deutlich gesagt haben, dass es bei der Direktwahl um eine Entscheidung zwischen Ihnen und Herr Frank geht. Die anderen Kandidaten fanden das sicher nicht gut, aber es entspricht der Wahrheit.

Portrait von Gregor Amann
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Sanders,

lassen Sie mich Ihre zweite Frage zuerst beantworten. Ich habe da eine sehr klare Meinung: Ich unterstütze Volksentscheide auch auf Bundesebene, da ich sie für ein legitimes und sinnvolles Instrument der Entscheidungsfindung in einer Demokratie halte!
Allerdings habe ich eine grundsätzliche Einschränkung: Wenn sich an einer Volksabstimmung nur eine kleine Minderheit, sagen wir 10 oder 20% der Abstimmungsberechtigten, beteiligen, dann fehlt diesem Abstimmungsergebnis in meinen Augen die demokratische Legitimation. Aus diesem Grund bin ich dafür, dass Volksabstimmungen nur dann für Regierung und Parlament bindend sind, wenn eine bestimmte Mindestbeteiligung erreicht wird (z.B. mindestens 50% der Wahlberechtigten - aber über die genaue Höhe dieses Quorums lasse ich gerne noch mit mir diskutieren). Solange diese Mindestbeteiligung nicht erreicht wird, sollte die endgültige Entscheidung weiterhin dem demokratisch gewählten Parlament vorbehalten sein.
Nun, zu Ihrer Frage zur Abstimmung über die EU-Verfassung. Hier ist die Lage m.E. komplizierter als es auf den ersten Blick erscheint. Betrachten wir uns beispielsweise die französische Abstimmung: Die französischen Wahlberechtigten sollten darüber abstimmen, ob sie für oder gegen den vorgelegten EU-Verfassungsentwurf sind und um dies entscheiden zu können, bekam jeder französische Haushalt ein Exemplar dieser Verfassung in den Briefkasten geworfen. Die EU-Verfassung, das weiß vielleicht nicht jeder, der hier mitliest, hat den Umfang eines kleinen Buches, denn auf den vielen, vielen Seiten dieser Verfassung wird u.a. umfassend geregelt, welches EU-Verfassungsorgan welche Rechte und Pflichten besitzt und wie diese voneinander abgegrenzt werden etc. Selbstverständlich hat nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Franzosen (das weiß man von entsprechenden Umfragen) überhaupt in dieses Buch reingeschaut, geschweige denn es von vorne bis hinten gelesen. Wenn man dies weiß, dann wird klar, dass die französische Wahlbevölkerung im Grunde eine andere Frage beantwortet hat als ihr eigentlich gestellt wurde; die Mehrheit der Franzosen/innen, die an dieser Volksabstimmung teilgenommen haben, verstanden den Inhalt der an sie gerichteten Frage nämlich so: "Sind Sie für eine weitergehende Vereinigung (und Ausweitung) der EU oder geht Ihnen der Einigungsprozess zu schnell voran?" Und auf diese vermeintliche Frage hat die Mehrheit der teilnehmenden Franzosen/innen mit "Nein" geantwortet. Mit dem genauen Inhalt der Verfassung aber, nach dem eigentlich gefragt wurde, hatte sich nur eine kleine Minderheit in Frankreich ernsthaft auseinandergesetzt.
Mich bringt dies zu der Überzeugung, dass Volksabstimmungen (nur) dann sinnvoll sind, wenn es darum geht, die Wähler/innen über grundsätzliche Richtungsänderungen in der Politik entscheiden zu lasen, wie beispielsweise: " Sind Sie für oder gegen den Betrieb von Atomkraftwerken in diesem Land?" oder "Sind Sie dafür oder dagegen, dass Deutschland in der EU (oder NATO o.ä.) bleibt oder nicht?" oder "Sind Sie für oder gegen die Aufnahme weiterer Länder in die EU?" etc. Nicht geeignet für Volksabstimmungen ist aber m.E. die tatsächliche Entscheidung über einen längeren, komplizierten Text wie ihn die EU-Verfassung darstellt; dies würde ich den dafür gewählten Parlamentariern überlassen.
In diesem Sinne bin ich nicht für ein Referendum über die EU-Verfassung als solche, aber sehr wohl für einen Volksentscheid, der grundsätzlich klären soll, ob die Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass der Einigungsprozess der EU beschleunigt oder verlangsamt (oder gar gestoppt) werden soll.
Zuletzt darf ich Ihnen auch noch für Ihre freundlichen Worte zu meinem "Auftritt" in Rödelheim danken. Leider stelle ich zunehmend fest, dass erschreckend viele Wähler sich kaum mit dem System der Erst- und Zweitstimme auskennen. Von einem Mitglied der "Linkspartei" wurde mir hinterher gesagt, meine Bemerkung am Schluss (die Ihnen gefiel) sei "arrogant" gewesen. Tatsache ist aber, dass - ganz egal, wie sehr einem der/die Kandidat/in einer kleineren Partei auch gefällt - bei der Erststimme nur der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt und aufgrund des geltenden Mehrheitswahlrechts alle anderen Stimmen nichts bewirken. Wer also seine Erststimme einem Kandidaten/in einer der kleineren (chancenlosen) Parteien gibt, verhilft damit möglicherweise genau dem Kandidaten zum Wahlsieg, mit dem er/sie am wenigsten Gemeinsamkeit hat. Sie kennen sich offensichtlich damit aus, Herr Sanders, aber ich hoffe, dass sich bis zum 18.9. auch noch andere mit dieser Frage beschäftigen.

Mit freundlichen Grüßen,

Gregor Amann