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Willi Zylajew
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Frage von Moritz S. •

Frage an Willi Zylajew von Moritz S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Zylajew,

seit Monaten wird in den Medien lediglich die Eurokrise thematisiert. Ohne jeden Zweifel ist es derzeit auch das wichtigste Thema. Leider kommt aber ein anderes, ebenfalls sehr wichtiges Thema zu kurz. ACTA - Falls Sie sich noch nicht eingehend mit diesem Thema beschäftigen konnten, möchte ich Ihnen den Wikipediaeintrag ans Herz legen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Anti-Counterfeiting_Trade_Agreement

Mir ist es unerklärlich, wie man eine solche Vereinbarung unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln konnte. Die darin enthaltenen Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums, verletzen, zumindest nach meiner Rechtsauffassung, dass Deutsche Grundgesetz!

Nach wie vor werden verschiedene Protokolle, unklare Formulierungen des Vertrages betreffend, nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dennoch soll es nun auch in Deutschland ratifiziert werden.

Wie stehen Sie zu ACTA und wie werden Sie bei der Ratifizierung stimmen? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch - der Schutz des geistigen Eigentums ist vollkommen richtig und wichtig, dennoch ist und kann ACTA nicht die Lösung sein. Insbesondere dann nicht, wenn alles hinter verschlossenen Türen passiert!

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Moritz Schillings

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Schillings,

vielen Dank für Ihre Email vom 29.02.2012 bezüglich ACTA, zu der ich im Folgenden gerne Stellung beziehe.

Beim Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) handelt es sich um ein internationales Abkommen, das vor allem einen weltweit anerkannten Standard im Urheberrecht schaffen soll. Bevor ich auf Einzelheiten in Ihrer Email eingehe, lassen Sie mich zunächst einige grundsätzliche Gedanken formulieren.

Das Internet verändert unbestreitbar unsere Gesellschaft. Es hat die Kommunikation revolutioniert und macht eine weltweite Vernetzung möglich, die noch vor 20 Jahren undenkbar war. Wissen ist fast unbegrenzt abrufbar und die Äußerung von Meinungen und die Beteiligung an Diskussionen sind enorm vereinfacht worden.

Es gibt aber auch Schattenseiten des Internets, die ich als Abgeordneter ebenso kritisch beobachte, wie die Chancen. Eines dieser Probleme ist die Piraterie von geistigem Eigentum. Sie schreiben mir, dass „der Schutz des geistigen Eigentums vollkommen richtig und wichtig“ ist. Auch ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass Schriftsteller, Schauspieler, Musiker, Journalisten u.a. ein Recht darauf haben, dass ihre Arbeit geschützt wird. Dafür brauchen wir klare Rechtslagen. Da das Internet ein weltweites Netz ist, müssen zwingend internationale Regeln gefunden werden. Deutschland ist Mitglied der Europäischen Union. Die EU-Kommission hat das Abkommen verhandelt. Dies macht Sinn, weil so die Arbeit zunächst auf einer Ebene gebündelt und dort konzentriert bearbeitet werden konnte. Das Mandat für die Verhandlungen hat die EU von den demokratisch gewählten Regierungen der EU-Staaten bekommen. Während der laufenden Verhandlungen wurde die EU-Kommission durch das ebenfalls demokratisch gewählte Europäische Parlament kontrolliert: sowohl durch Anfragen, Resolutionen und Debatten im Plenum und weitere öffentliche Gremien.

ACTA ist objektiv betrachtet keine bürokratische „Hinterzimmergeburt“ fernab der Öffentlichkeit. Subjektiv wird dies jedoch so empfunden. Dies hat meines Erachtens zwei Gründe:

1. Die EU ist trotz aller Bemühungen in der Öffentlichkeit kaum präsent. Unsere Medien ignorieren Vorgänge jenseits der Spitzentreffen fast vollständig. Dies macht es schwierig, die Öffentlichkeit zu informieren. Das Internet böte eine Chance, die Arbeit der EU transparent darzustellen. Das Problem ist, es nehmen nur wenige Menschen trotz aller Transparenz zur Kenntnis.

2. Nachdem die ACTA-Diskussion die Nationalstaaten erreichte und über den ausgehandelten Entwurf debattiert wurde, geriet das Thema von jetzt auf gleich ins Bewusstsein der Bürger und die Medien. Schnell gab es Gruppen, die sich in ihren Freiheitsrechten bedroht fühlten. Zum Teil ließen die Proteste vermuten, der Untergang des Abendlandes stünde bevor. Es ist die Natur unserer Medien, dass die pointiertesten Meinungen eine größere Resonanz finden als sachliche und abgewogene Positionen.

Ich empfehle dringend Gelassenheit in der Debatte. Es sind keine Menschenrechte bedroht. Über Einzelpunkte kann man sich streiten, aber im Kern ist ACTA zumindest ein erster ernstzunehmender Versuch, internationale Regeln zu schaffen.

Richtig ist, dass die einzelnen Verhandlungsrunden von ACTA nicht öffentlich waren, sondern vertraulich geführt wurden. Aber: Verhandlungen von internationalen Verträgen werden regelmäßig nicht öffentlich geführt. Das Verfahren im Falle von ACTA war also kein Sonderfall, sondern entspricht der gängigen Praxis. Die EU-Kommission hat die Öffentlichkeit nach jeder der elf Verhandlungsrunden über den aktuellen Verhandlungsstand unterrichtet. Diese Berichte sind online immer abrufbar gewesen. Das nun vorliegende Vertragswerk finden Sie hier: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf .

Erst wenn das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der EU-Staaten in öffentlichen Sitzungen grünes Licht für ACTA geben, kann es tatsächlich angewendet werden. Insofern liegt der Ball nun bei uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Auch wir müssen uns zunächst in das Thema einarbeiten. Man muss kritisch eingestehen, dass die gesetzgebenden Organe das Thema Internet und seine Folgen lange nicht beachtet haben. Notwendige rechtliche Anpassungen geschehen daher immer verspätet, sie sind jedoch notwendig.

Es ist keine Freiheitsberaubung, wenn Gesetze, die im realen Leben gelten, auch auf das Internet angewendet werden. Diebstahl ist Diebstahl und Betrug ist Betrug. Ich möchte keinen rechtsfreien Raum und auch kein anarchisches Netz, in dem jeder macht, was ihm gefällt. Dies wäre eine falsch verstandene Freiheit. Denn es gibt auch eine Verantwortung anderen gegenüber. Es gilt auch im Internet die goldene Regel: Die eigene Freiheit endet da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Wer sich in der digitalen Welt überlegen fühlt, kann daraus keine Sonderrechte ableiten.

Derzeit kann ich nicht erkennen, warum ACTA gegen das Grundgesetz verstoßen sollte, wie sie schreiben. Im Zweifelsfall wird unser Bundesverfassungsgericht sich mit dem Vertragswerk befassen müssen.

Mit freundlichen Grüßen
Willi Zylajew MdB