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Rita Schwarzelühr-Sutter
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Frage von Paul E. •

Frage an Rita Schwarzelühr-Sutter von Paul E.

Sehr geehrte Frau Schwarzelühr-Sutter,

mit etwas Verwunderung habe ich festgestellt, dass Sie zuletzt sowohl für de Griechenland Rettung als auch für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt haben. Mich würden Ihre Motive hierfür interessieren. Leider gehen beide Entscheidungen komplett gegen meine Einschätzung und Überzeugung von sinnvoller Politik und ich werde mich nach einer alternativen Repräsentative umsehen müssen.

Danke und freundliche Grüße
Paul Ehrheim

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Ehrheim,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu meinen Positionen bezüglich des Hilfsprogramms für Griechenland und der Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten. Sie sprechen zwei Abstimmungen an, um welche die öffentlichen Debatten sehr intensiv geführt wurden. Gerne möchte ich Ihnen erklären, warum ich mich nach Abwägungen der Vor- und Nachteile so entschieden habe.

Bezüglich des Hilfsprogramms für Griechenland war das ESM-Hilfsprogramm um es kurz zu fassen die bessere Lösung sowohl für Griechenland, als auch für Europa als Ganzes und für Deutschland im Speziellen. Die Alternativen wären wesentlich schlechter gewesen.

Die griechische Regierung hat am 08. Juli einen Antrag auf ein dreijähriges Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gestellt. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Mitgliedsländer der Eurozone am 12./13. Juli auf einen Kompromiss verständigt, unter welchen Bedingungen ein neues Hilfsprogramm möglich wäre. Das griechische Parlament hat diesen Kompromiss am 15. Juli mit großer Mehrheit gebilligt.

Der aktuelle Vorschlag für ein drittes Anpassungsprogramm unterscheidet sich hinsichtlich der Programmdauer, des Programmvolumens und der angekündigten Möglichkeit für weitere Schuldenerleichterungen maßgeblich von der Verlängerung des zweiten Anpassungsprogramms. Er stellt damit eine echte Möglichkeit dar, Griechenland mit Hilfe seiner europäischen Partner auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen.

Wichtig ist aus meiner Sicht: Im Zentrum der Eurogipfel-Erklärung stehen nicht pure Haushaltsvorgaben und Sparziele, sondern strukturelle Verbesserungen der griechischen Wirtschaft und Verwaltung. Griechenland muss im eigenen Interesse endlich in die Lage versetzt werden, Steuern einzutreiben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen, den Bürgern ein leistungsfähiges und finanzierbares Sozialsystem zu bieten und das teilweise oligarchische und verkrustete Wirtschaftssystem aufzubrechen. Nur dann können Staatseinnahmen und Investitionen dauerhaft steigen sowie dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen. Nur dann kann das skandalöse Missverhältnis zwischen dem Reichtum einer traditionellen Elite und der deutlich zugenommenen Armut in der griechischen Bevölkerung endlich beendet werden. Und nur dann können die Verpflichtungen Griechenlands gegenüber seinen Gläubigern auch erfüllt werden.
Im Übrigen wurde der eingeschlagene Reformweg der Syriza-Regierung durch die Wähler in Griechenland bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 20. September bestätigt. Ich hoffe sehr, dass die vereinbarten Maßnahmen dazu führen, dass in den nächsten drei Jahren der grundlegende Umbau des griechischen Staates voran kommt und Griechenland dann wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Griechenland muss jetzt harte Reformen einleiten, aber es braucht auch schnelle und spürbare Investitionen, um wirtschaftlich gesunden zu können.
Die Frage wäre zudem, was eine vernünftige Alternative dargestellt hätte. Die Alternative zu einer weiteren Chance für Griechenland wäre nämlich ein umgehender Staatsbankrott Griechenlands und ein ungeordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gewesen. Diese Alternative barg aus meiner Sicht die deutlich größeren Gefahren. In Griechenland wären die Folgen verheerend gewesen: ein Zusammenbruch des Bankensystems, die medizinische Versorgung wäre nicht mehr gewährleistet gewesen, noch mehr Arbeitsplätze wären vernichtet worden, viele Griechinnen und Griechen wären weiter in die Armut abgesunken und hätten dann humanitäre Hilfe aus EU-Mitteln erhalten müssen.

Aber auch die Folgen für Deutschland wären dramatisch gewesen. Selbst wenn ein „Grexit“ für Deutschland und die Eurozone kurzfristig ökonomisch verkraftbar wäre – die langfristigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für unseren Kontinent wären es womöglich nicht. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land in Europa. Gerade deswegen haben wir am meisten zu verlieren. Kein anderes Land profitiert so von der europäischen Einigung, vom Binnenmarkt und vom Euro wie wir. Hinzu kommt: Die Krisen unserer Zeit werden wir nur bewältigen, wenn Europa geschlossen und gemeinsam agiert.

Das zweite Thema, das Sie ansprechen, ist die am 16. Oktober beschlossene Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (ehemals Vorratsdatenspeicherung). Mit dem letzte Woche verabschiedeten Gesetz wird eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also Email – eingeführt.

Oberste Richtschnur aller Regelungen sind für uns die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofs. Die nun verabschiedeten Leitlinien sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver als die CDU/CSU es wollte:

Gespeichert werden müssen nur genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Telefon-kommunikation anfallen (Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats, im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen). Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden.

Für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden, gilt eine deutlich kürzere Speicherfrist von vier Wochen. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil über Funkzellendaten der Aufenthaltsort des Mobilfunknutzers bestimmt werden kann und wir nicht wollen, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden.

Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden. Für Personen und Institutionen, die anonyme Hilfe und Beratung anbieten, stellen wir sicher, dass Verbindungsdaten zu ihren Anschlüssen überhaupt nicht gespeichert werden; das betrifft die Telefonseelsorge oder ähnliche Einrichtungen. Wichtig ist aber, noch einmal klarzustellen: Viele andere Berufsgruppen, bei denen es auch ein Berufsgeheimnis zu wahren gilt, arbeiten nicht anonym: Rechtsanwälte, Journalisten oder Ärzte arbeiten nicht anonym. Das Berufsgeheimnis will hier nicht die Anonymität schützen, sondern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Mandanten oder - bei Ärzten - zum Patienten. Deshalb schreiben wir ins Gesetz, dass für alle Berufsgeheimnisträger ein umfassendes Erhebungs- und Verwertungsverbot, also auf der Zugriffsebene, gilt. Solche Verbote kennt das Gesetz auch schon heute, zum Beispiel bei so gravierenden Eingriffen wie der akustischen Wohnraumüberwachung. Auch dort bietet das Erhebungs- und Verwertungsverbot umfassenden Schutz - das wurde bisher auch nicht kritisiert -, und genau diesen Schutz wird es zukünftig auch bei den Verkehrsdaten geben.

Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, d.h. nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Im Vergleich zu der vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist der neue Straftatenkatalog deutlich reduziert worden. Der Abruf von Daten ist nur für schwerste Straftaten möglich. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Diensteanbieter zur Folge.

Die Leitlinien enthalten zudem eine datenschutzrechtliche Verbesserung zur geltenden Rechtslage: Das Gesetz wird die Befugnis der Ermittlungsbehörden zum Abruf der genannten Daten abschließend regeln. Speichert ein TK-Anbieter die Daten über den verpflichtend vorgegebenen Zeitraum auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage, z.B. zu Zwecken der Vertragserfüllung, weiterhin, so ist der Abruf nach diesem Gesetz dennoch nach Ablauf der 10 bzw. 4 Wochen untersagt.

Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Diensteanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn ein Diensteanbieter mit den gespeicherten Daten Datenhandel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu geschaffenen Tatbestand der Datenhehlerei. Darüber ist in den letzten Wochen einiges geschrieben worden. Wenn einerseits der Pool gespeicherter Daten erweitert wird, dann müssen andererseits diese Daten in Zukunft wirksamer geschützt werden. Das sind wir zum einen den Betroffenen schuldig, zum anderen ist das aber auch eine Erkenntnis aus der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft. Der Vorwurf, damit würden auch Whistleblower kriminalisiert, trifft nicht zu. Datenhehlerei gilt nur für gestohlene Daten, die zum Beispiel durch einen Hackerangriff erbeutet werden. Ein Whistleblower besitzt aber in der Regel seine Informationen völlig rechtmäßig. Der entscheidende Punkt bei ihm ist die Weitergabe der Information, aber diese Weitergabe ist weder für den Whistleblower eine Datenhehlerei noch für denjenigen, der die Information entgegennimmt.

Weiterhin wird sichergestellt, dass Journalisten durch den neuen Straftatbestand nicht beeinträchtigt werden. Ihre Tätigkeit wird von diesem Straftatbestand nicht erfasst. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Journalist schon bei der Beschaffung der Daten eine konkrete Veröffentlichung vor Augen oder einen Artikel in der Schublade hat. Geschützt werden zwar nicht die rein privaten Aktivitäten eines Journalisten, aber es reicht, wenn die Handlungen der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung münden können.
Sowohl die sog. „Griechenlandrettung“ als auch die „Vorratsdatenspeicherung“ sind komplexe Themen, bei denen es sich die SPD-Fraktion nicht leicht gemacht hat. Aus den oben dargelegten Gründen bin ich jedoch davon überzeugt, dass wir zu sach- und lösungsorientierten Ergebnissen gekommen sind, denen ich zugestimmt habe.

Mit freundlichen Grüßen

Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB

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